Am Freitag beginnt im Crucible Theatre im englischen Sheffield die Snooker-WM. Mit Alexander Ursenbacher hat sich erstmals ein Spieler aus dem deutschsprachigen Raum für das Hauptfeld qualifiziert.
«I'm over the moon», sagte Alexander Ursenbacher in akzentfreiem Englisch, nachdem er sich am späten Montagabend in einem Snooker-Krimi gegen Andrew Higginson als erster Schweizer den Platz im 32er-Tableau des Hauptfelds einer WM gesichert hatte. Der 24-Jährige aus Rheinfelden hatte Nervenstärke bewiesen, nachdem er bereits 6:2 geführt hatte. Im letzten Frame gewann er nach unentschiedenem Spielstand den Showdown um die schwarze Kugel – im Fachjargon «Respotted Black» genannt – und siegte mit 10:8. «Ich war überrascht, wie gut ich mit dem Druck umgehen konnte», so die Nummer 86 des Rankings.
Die Schweiz, die nur gut 50 lizenzierte Spieler und 13 Klubs hat, ist erst die 19. Nation, die einen WM-Teilnehmer im Snooker stellt. Die Sportart, deren Anfänge auf das 19. Jahrhundert in Indien zurückgehen, wird von Spielern aus Grossbritannien und Irland dominiert. Seit 1977 – seither findet die WM in Sheffield statt – haben mit zwei Ausnahmen nur Akteure aus diesen Ländern den Titel geholt. Auch in Asien ist die Sportart verbreitet, in Sheffield stehen drei Chinesen und zwei Thailänder im Haupttableau. Der einzige Kontinentaleuropäer neben Ursenbacher ist der Norweger Kurt Maflin – ein geborener Engländer.
Los geht es für Ursenbacher erst am Dienstag, wenn der Junioren-Europameister von 2017 bei seiner Premiere im «Home of Snooker» in der 1. Runde auf den Engländer Barry Hawkins, die Nummer 15 der Welt und WM-Finalist von 2013 trifft. Beendet wird die Partie am Mittwoch. «Ich hoffe, ich werde beim Einmarsch nicht weinen müssen», sagte Ursenbacher mit einem Lachen. «Ich wollte schon immer einmal im Crucible spielen.» 2017 blieb ihm dies noch verwehrt, da er in der letzten Qualifikationsrunde scheiterte.
Auf die Karte Snooker gesetzt
Die WM-Premiere Ursenbachers ist in Fachkreisen allerdings keine Überraschung. «Insider trauten ihm dies seit längerem zu», sagte Franz Stähli, seit zehn Jahren Präsident von Swiss Snooker. «Aber er ist noch nirgends. Das Ziel muss sein, dass er sich über einen längeren Zeitraum in den Top 50 etabliert.» Grössen wie Ronny O'Sullivan, der schon mehr als zehn Millionen Pfund Preisgeld verdient hat, attestieren dem einzigen Schweizer Profi aber Potenzial. Den fünffachen Weltmeister aus England hatte Ursenbacher am Welsh Open 2019 bereits einmal besiegt.
Stähli kennt Ursenbacher seit Juniorenzeiten. Als «ruhigen introvertierten und sehr angenehmen Menschen» beschreibt er den Aargauer. «Alexander ist sehr fokussiert und lernfähig, kann aber auch sehr stur sein.» Bereits als Teenager setzte Ursenbacher alles auf die Karte Snooker, verzichtete auf eine Lehre und finanzierte sich seinen Traum mit Gelegenheitsjobs und dank der Unterstützung seiner Eltern. Er lebt noch immer zuhause in Rheinfelden und pflegt einen bescheidenen Lebensstil.
Dank 20'000 Pfund Preisgeld zahlen sich die drei Erfolge in der Qualifikation in Sheffield aber auch finanziell für Ursenbacher aus. Und die Chancen sind intakt, dass das Abenteuer eine Fortsetzung findet. «Alexanders Vorteile sind, dass er eingespielt ist und dass das Crucible nicht wie gewohnt mit Zuschauern gefüllt sein wird», sagte Stähli. Wegen der Coronavirus-Pandemie greifen die 16 Gesetzten in Sheffield ohne Spielpraxis ins Geschehen ein.
Der Präsident von Swiss Snooker traut Ursenbacher sogar den ganz grossen Coup zu. «Allerdings müsste schon alles perfekt zusammenpassen», so Stähli. Erfahrung und Routine sind im Snooker enorm wichtig – und in Sheffield im Kampf um den WM-Titel aufgrund der besonderen Umstände womöglich entscheidend. Erst zwei Qualifikanten schafften es dort, am Ende auch den Titel zu gewinnen: Der Waliser Terry Griffiths 1979 und der Engländer Shaun Murphy 2005.
Eröffnet wird die WM, die ursprünglich Ende April hätte beginnen sollen, am Freitag, wenn der englische Titelverteidiger Judd Trump gegen Tom Ford antritt. Erstmals seit dem Lockdown sind in Grossbritannien an einem Indoor-Event wieder eine beschränkte Anzahl Zuschauer zugelassen, was von einzelnen Spielern stark kritisiert wurde.