Spielekritik Teil 2 «Marvel's Avengers»: Heldenhaft in den Loot-Frust

Von Pascal Wengi

11.9.2020

Im Endgame wissen die Superhelden von Marvel nicht so recht zu überzeugen.
Im Endgame wissen die Superhelden von Marvel nicht so recht zu überzeugen.
Square Enix

Im ersten Teil der Spielekritik zu «Marvel's Avengers» haben wir uns auf den Solo-Teil konzentriert, der durchaus überzeugen konnte. Doch wie sieht es mit dem Endgame und dem Multiplayer-Teil aus?

Teil 1 der Spielekritik findet man hier.

Wer den Abspann der Kampagne zu Gesicht bekommt, der steht laut Entwickler Crystal Dynamics gerade erst am Anfang seines Abenteuers. Denn nach der Einzelspieler-Story hat man alle sechs Helden freigeschaltet, den Heliträger repariert und somit vollen Zugriff auf alles, was das Spiel zu bieten hat.



Am Einsatzpult kann man dann zwischen sogenannten Initiativen wechseln. Das sind im Grunde eigene Kampagnen mit zusammengehörenden Missionen. Zum Release des Spiels steht eine neue Initiative zur Verfügung oder man spielt nochmals die Storymissionen durch. Weitere Initiativen sollen laut Entwickler laufend hinzugefügt werden und so immer neue Inhalte bieten, dazu aber später mehr.

Mit den Avengers um den Globus

Die Initiativen-Karte zeigt alle verfügbaren Missionen inklusive der empfohlenen Heldenstärke. Alle Missionen lassen sich entweder als Einzelspieler, mit K.I.-Begleitern oder mit Freunden und Fremden zu viert bestreiten.

Dabei besucht man die bekannten Schauplätze aus der Story nochmals, aber mit anderen Zielen und Aufgaben. Hier zeigen sich dann auch sehr markante Unterschiede zur Kampagne, denn durchgescriptete Action oder Zwischensequenzen fehlen komplett. Dafür warten die Missionen mit standardisierten Aufgaben auf die Spieler. Entweder man muss einen Punkt gegen Gegnerhorden verteidigen, Stellungen halten, ein Elite-Team ausschalten oder eine gewisse Anzahl Objekte zerstören.

Etwas mehr Abwechslung  bieten dann Raids, mehrstufige Missionen, mit besonders schweren Gegnern, mehr Abwechslung im Missionsdesign und Anforderung ans Teamplay. Diese Missionen sind aber erst für Charaktere auf höheren Leveln und sehr geübte Spieler gedacht. Den Weg in den Endlevel-Bereich verbringt man vor allem mit vielen Wiederholungsmissionen in den immer gleichen Gebieten. Im Grunde ist das aber nicht weiter tragisch, denn dieses System kennt man von so manchem Onlinespiel. Die Jagd nach besserer Ausrüstung hält die Spieler dabei meist doch irgendwie bei Laune.

Das Loot-Problem

Bei «Marvel's Avengers» ist das leider nicht so. Der Loot ist einfach nicht interessant und hat nur Einfluss auf Charakterstatistiken. Wer also bei einem «Avengers»-Spiel mit Loot denkt, er könne einen legendären Repulsor-Handschuh von Tony Stark finden und diesen mit Stolz seiner Ausrüstung hinzufügen, der irrt.



Zwar kann man einen legendären Repulsor-Handschuh finden, aber optisch und gameplaytechnisch hat dieser keinen Einfluss. Die legendäre Version gibt einfach etwas mehr Punkte für die Heldenwertung und ein bis zwei passive Buffs, wobei auch eine nicht legendäre Version ein bis zwei Buffs mit sich bringt. Die Jagd nach Beute wird damit zum reinen Zahlenspiel. Es gibt sogar eine Funktion, automatisch die beste Ausrüstung anzulegen, wodurch das Spiel einfach die Objekte mit dem höchsten Wert wählt. Allein dieses Feature zeigt, wie schlecht das Beutesystem durchdacht ist. Denn nichts ist langweiliger, als Zahlen hinterherzujagen.

Das Loot-System hätte definitiv mehr Potenzial gehabt.
Das Loot-System hätte definitiv mehr Potenzial gehabt.
Bild: Square Enix

Mehr Mut zu Originalität

Hier hätte sich Crystal Dynamics mehr einfallen lassen müssen, denn die Jagd nach Loot sollte ja der Motivator sein, wenn die Missionen schon repetitiv und unkreativ gestaltet sind. In einem Universum wie diesem hätte man ja auch zig Möglichkeiten gehabt.

Warum kann Iron Man beispielsweise nicht verschiedene Versionen seines Arc-Reaktors finden? Oder Captain America setzt alte und neue Schilde zu unterschiedlichen Zwecken ein? Für originellen Loot oder Skins kann man die Spieler sogar zahlen lassen. Aber so ist das ganze System einfach so etwas von einfallslos, langweilig und unmotivierend. Es ist eins zu eins dasselbe unsichtbare Loot-System wie in «Anthem» und wir wissen alle, wohin das führte. Macht bitte irgendetwas mit dem Loot. Irgendetwas, einfach nicht nackte Zahlen und zufällige passive Buffs wie andere gescheiterte Loot-Shooter.

Allein schon Iron Mans Arc-Reaktor hätte so viel Potenzial für interessante Ausrüstungsgegenstände geboten.
Allein schon Iron Mans Arc-Reaktor hätte so viel Potenzial für interessante Ausrüstungsgegenstände geboten.
Square Enix

Die Katze im Sack gekauft?

Wer «Marvel's Avengers» trotz unmotivierender Loot-Spirale länger geniessen möchte, der kann auf regelmässig neue Inhalte seitens der Entwickler hoffen, die laufend ergänzt werden sollen. Dies ist im Grunde eine Art Kredit der Spieler an die Entwickler. Man kauft ein Spiel mit wenig Inhalt zum Vollpreis und bekommt dafür laufend weitere Inhalte nachgeliefert.

Langfristig kann so ein Prinzip sehr im Sinne der Spieler sein, wie «Destiny 2» das etwa beweist und seine Spielerbasis auch Jahre nach dem Release noch kräftig mit Inhalten beliefert. Wie das Ganze aber auch ausgehen kann, hat vor mehr als einem Jahr «Anthem» gezeigt. Schnell wurde die Roadmap verworfen und Spieler warten seit dem Release auf versprochene, neue Inhalte, wobei man mittlerweile einsehen muss, dass es mehr brauchen wird als einfach neue Inhalte, um «Anthem» noch zu retten.

Ohne den Teufel an die Wand zu malen, kann so etwas auch den «Avengers» drohen. Bleiben gute Absatzzahlen aus, dann wird wohl auch nicht viel Fokus auf die Entwicklung neuer Inhalte gelegt, vor allem nicht, wenn diese kostenlos erscheinen sollen. Eine genaue Roadmap, welche Inhalte wann zu erwarten sind, gibt es bisher nicht. Auch nicht in welchen Abständen diese erscheinen sollen oder für wie lange.

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