«Horizon: Forbidden West» Spiel des Jahres? Eher das Spiel des Jahrhunderts

Von Domagoj Belancic

12.2.2022

«Horizon: Forbidden West» perfektioniert das einzigartige Konzept seines Vorgängers. Das postapokalyptische Abenteuer ist deshalb nicht nur ein heisser Anwärter auf das Spiel des Jahres, sondern auch eines der besten Playstation-Games aller Zeiten.

Von Domagoj Belancic

Mit dem 2017 erschienenen Vorgänger «Horizon: Zero Dawn» hat das Entwicklerstudio Guerilla Games bereits ein solides, wenn auch nicht überragendes, Open-World-Abenteuer für die Playstation 4 abgeliefert. Schon damals punktete das Spiel vor allem mit seinem einzigartigen Setting.



In der postapokalyptischen Welt von «Horizon» haben blutrünstige Killer-Roboter fast die gesamte Menschheit ausgelöscht und die Herrschaft über die Erde errungen. Hunderte von Jahren nach diesem katastrophalen Ereignis leben Menschen in abergläubischen Stämmen zusammen, die die Roboter entweder als todbringende Dämonen verteufeln oder als Gottheiten anbeten.

In der Rolle der rothaarigen Stammeskriegerin Aloy, konnten Spieler im ersten Teil die Welt vor einer erneuten Roboterinvasion retten. Im lang erwarteten Nachfolger verschlägt es die sympathische Protagonistin nun in den «verbotenen Westen», wo eine noch viel grössere Bedrohung und ungeahnte Widersacher auf sie warten.

Ausgezeichnetes Open-World-Storytelling

Storytechnisch erwartet Fans im Verlauf des rund 40 bis 50 Stunden langen Abenteuers eine wilde Achterbahnfahrt mit zahlreichen schockierenden Wendungen und spannenden neuen Charakteren, die die Geschehnisse aus dem Vorgänger in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen.

Das eigentliche Highlight des Games ist aber nicht die hervorragend erzählte Hauptstory, sondern die unglaublich liebevoll inszenierte Spielwelt, die im Gegensatz zum Vorgänger das narrative Potenzial des postapokalyptischen Settings endlich richtig ausschöpft. Noch nie hat sich eine derart grosse Open-World so lebendig und «echt» angefühlt.

Das liegt vor allem an den verschiedenen Stämmen und Siedlungen, die Aloy auf ihrer Reise durch den Westen antrifft. Jede Ortschaft sprüht nur so vor Leben und fühlt sich wie ein eigener kleiner Mikrokosmos an, in dem es unzählige spannende Geschichten zu entdecken gibt. Jede noch so kleine Nebenmission zieht den Spieler mit einzigartigen Charakteren noch weiter in den Bann und bringt zugleich spürbare Konsequenzen für Aloy und die jeweiligen Siedlungen mit sich.

Die lebhaften Siedlungen setzen mit der detailverliebten Umsetzung neue Massstäbe für Open-World-Games.
Die lebhaften Siedlungen setzen mit der detailverliebten Umsetzung neue Massstäbe für Open-World-Games.
Sony Interactive Entertainment

Entdeckungstour durch den verbotenen Westen

Aloy kann auf ihrer Mission wieder auf zahlreiche Gadgets zählen, die ihr das Leben in der unbarmherzigen Wildnis um einiges leichter machen. Im Zentrum des Technik-Repertoires der Kriegerin steht, wie schon im Vorgänger, das kleine «Focus»-Gerät, mit dem Aloy ihre Umgebung scannen und nach wertvollen Informationen und lebenswichtigen Ressourcen absuchen kann.



Neu im Gepäck ist unter anderem ein Enterhaken, mit dem sich die Protagonistin an bestimmten Punkten in der Umgebung hochziehen kann, sowie ein Gleitschirm, mit dem weite Distanzen in der Luft zurückgelegt werden können.

Ebenfalls überarbeitet wurde die Klettermechanik. Im Gegensatz zu den fest vorgegebenen und schmalen Kletterrouten im ersten Spiel, kann sich Aloy nun an bestimmten Wänden komplett frei ihren eigenen Weg in die Höhe bahnen. Diese scheinbar kleinen Änderungen geben dem Spieler in der Summe viel mehr Bewegungsfreiheit und laden dazu ein, die weitläufige Welt noch genauer zu erforschen.

Abwechslungsreiches Kampfsystem

Natürlich muss sich Aloy im Verlauf ihres Abenteuers wieder diversen Robotermonstern stellen, die ihr den Garaus machen wollen. Das bewährte Kampfsystem fühlt sich in «Forbidden West» insgesamt noch abwechslungsreicher und ausgefeilter an. Die Bandbreite an Maschinentypen wurde im Vergleich zum ersten Spiel nochmal deutlich erhöht und zwingt den Spieler immer wieder, Aloys beträchtliches Waffenrepertoire strategisch geschickt einzusetzen und laufend zu erweitern.

Mit dem bereits erwähnten «Focus»-Gerät kann Aloy die Blechmonster nach angreifbaren Schwachpunkten scannen und so die richtigen Waffen für den Kampf vorbereiten. Die meisten Maschinen müssen nämlich zunächst mit elementarer Munition (wie beispielsweise Feuerpfeilen, Eisbomben oder elektrischen Speeren) betäubt werden, bevor ihnen mit gezielten Schüssen überhaupt signifikanter Schaden zugefügt werden kann.

Das Anvisieren der Schwachstellen fühlt sich dank der neu implementierten Bewegungssteuerung viel intuitiver und präziser als im Vorgänger an. Das grobe Zielen mit dem rechten Analog-Stick kann optional mit kleinen Bewegungen des PS5-Controllers ganz genau nachjustiert werden. Vor allem bei flinken Robotern und menschlichen Gegnern erweist sich diese Kombination oft als Riesenvorteil.

Um gegen solch mächtige Roboter bestehen zu können, muss Aloy ihre Fähigkeiten, Waffen und Rüstungen immer wieder upgraden.
Um gegen solch mächtige Roboter bestehen zu können, muss Aloy ihre Fähigkeiten, Waffen und Rüstungen immer wieder upgraden.
Sony Interactive Entertainment

Jägerin und Sammlerin

Ganz typisch für Open-World-Spiele, gibt es in der riesigen Welt von «Forbidden West» natürlich eine Menge an zusätzlichen Aktivitäten, sammelbaren Gegenständen und versteckten Items zu entdecken. Wer ab und zu einen Blick auf die detaillierte Übersichtskarte wagt, kann von der schieren Anzahl an offenen Optionen schnell überwältigt werden.

Im Vergleich zu anderen Open-World-Spielen fühlen sich die meisten Aktivitäten aber tatsächlich lohnenswert an, weil sie dem Spieler Zugang zu wichtigen Waffenupgrades, Fähigkeiten und spannenden Hintergrundinformationen verschaffen. So können beispielsweise an bestimmten Orten im Spiel Daten über Roboter gesammelt werden, mit deren Hilfe Aloy Maschinen temporär umprogrammieren und gegen ihre Artgenossen hetzen kann. Einige Roboter können mit dieser Methode sogar dauerhaft gezähmt und geritten, beziehungsweise geflogen, werden.

Besonders motivierte Spieler, die wirklich alles entdecken und freischalten wollen, werden locker über 100 Stunden in das Game investieren können.

Wer keine Lust mehr auf das Jagen und Sammeln hat, kann sich die Zeit auch in einem süchtig machenden Brettspiel vertreiben.
Wer keine Lust mehr auf das Jagen und Sammeln hat, kann sich die Zeit auch in einem süchtig machenden Brettspiel vertreiben.
Sony Interactive Entertainment

Ein Fest für die Sinne

Auch grafisch hat «Forbidden West» riesige Fortschritte im Vergleich zum Vorgänger gemacht. In der getesteten PS5-Version sehen die abwechslungsreichen Landschaften mit der atmosphärischen Beleuchtung und dichten Vegetation einfach nur atemberaubend schön aus und lassen den Spieler mit einer ausgezeichneten Weitsicht sogar kilometerweit in die Ferne blicken.

Kombiniert mit den komplett überarbeiteten und extrem nuancierten Gesichtsanimationen der menschlichen Protagonisten, ist «Horizon: Forbidden West» wohl das hübscheste Open-World-Spiel aller Zeiten.

Leider bleibt auch die schönste Spielwelt nicht ganz vor nervigen technischen Problemen verschont. Im Verlauf meines Abenteuers habe ich von visuellen Glitches, bis hin zu Komplettabstürzen und endlosen Ladeschleifen alles erlebt. Die seltenen Bugs sind zwar nervig, können aber den überragenden Gesamteindruck des Spiels zum Glück nicht allzu sehr trüben. Einige technische Probleme sollen übrigens schon mit dem Day-One-Patch behoben werden. Wer aber auf Nummer sicher gehen will, speichert lieber einmal zu viel als zu wenig ab, um sicher keinen Spielfortschritt zu verlieren.