blue News in London Tote Hose trotz Harrys Skandal-Buch

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

10.1.2023

Heute Morgen kamen Harrys Memoiren auch in London in den Bücherläden an. Der Ansturm hielt sich jedoch in Grenzen.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

10.1.2023

Oh Schreck, ich bin zu spät. Die U-Bahn ist hängengeblieben, und so komme ich erst um fünf nach neun beim grossen Waterstones-Laden am Piccadilly an, der gemäss Homepage um 9 Uhr die Pforten öffnet.

Das Schaufenster ist in ganzer Breite mit Harrys Konterfei ausgelegt. Appetitlich sind die Bücher auf dem runden Tisch im Foyer ausgelegt. Rundum wartet ein halbes Dutzend Radio- und TV-Teams auf Kunden, die sie über die Gründe ihres Kaufes ausquetschen können. Die Reporter haben so etwas wie eine Schlange gebildet.

Der Laden ist ziemlich ausgestorben, besonders im Foyer, und so werden die gleichen Opfer von Kamera zu Kamera weitergereicht. Es handelt sich dabei um eine elegante Frau mittleren Alters und zwei Teenager.  Ich begebe mich zur Kasse, um einige Fragen zu stellen. Die Verkäuferin zeigt sich regelrecht begeistert, aus ihrem gelangweilten Frühmorgenschlummer geweckt zu werden.

«Wie läuft das Buch?», frage ich. «Ah», entgegnet sie traurig, «leider haben wir strikten Order, über derlei Dinge keine Auskunft zu geben.» Es stellt sich heraus, dass der Laden wegen des erwarteten Ansturmes schon um acht Uhr geöffnet worden war – eine Tatsache, welche die Homepage erstaunlicherweise tunlichst verschwiegen hat. Viele Leute sieht man aber auch jetzt nicht. «Es regnet», meint die Verkäuferin zur Erklärung.

Autor Hanspeter Düsi

Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussball-Spezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie blue News und die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».

Der ganze Royal-Klamauk geht an einem vorbei

Später lese ich im «Evening Standard», dass um acht Uhr bloss eine einzige Person vor den Pforten dieses Ladens gewartet habe. Die BBC-Homepage wiederum weiss zu berichten, dass Harry-Fans in der W.H.Smith-Filiale in der Victoria Station schon um Mitternacht bedient worden seien. Die Fotos belegte die Präsenz von mindestens einer Kundin – sie ist umgeben von einem Dutzend Fotografen. Aber ist es wirklich eine Kundin? Warum hält sie dann eine Rolle mit «Half Price»-Klebern in der Hand?

Endlich haben die Kameras im Waterstones-Foyer genug Futter gehamstert. Die elegante Dame ist mit zwei Exemplaren zur Kasse geschritten. Ich fange sie beim Ausgang ab. «Darf ich sie auch noch kurz belästigen, bitte?» Sie lacht: «Auf einen mehr oder weniger kommt’s jetzt auch nicht mehr drauf an.» Sie habe das Buch gekauft, weil sie auch mal die andere Seite hören wolle. Ja, sie komme aus Australien. Die Queen, schliesslich noch immer das Oberhaupt ihres Heimatstaates, habe sie geliebt, aber der ganze Rest könne ihr eigentlich gestohlen bleiben.

Der Overkill hat in Grossbritannien Antipathien ausgelöst

Auf dem Heimweg in der U-Bahn lese ich die Zeitung («Guardian» und «Times»). Es ist der dritte Tag hintereinander, an welchen diese voll sind von Enthüllungen und Analysen aus dem dank eines Fauxpas in Spanien vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangten Memoirenband. Heute drehen sich alle Stories darum, wie Harry seiner Stiefmutter Camilla vorwerfe, eine von Ehrgeiz getriebene Opportunistin zu sein, die Harry benützt habe, ihren eigenen Ruf zu stärken.

Auch die beiden Mädchen, Engländerinnen, stellen sich bereitwillig meinen Fragen. Nein, selbstverständlich würden sie das Buch nicht kaufen, der ganze Royals-Klamauk gehe komplett an ihnen vorbei. Sie seien von den Kameras nur angefallen worden, weil sie kurz vor dem Bücherstand stillgestanden seien.

Am Anfang hegte ich den starken Verdacht, dass der «Leak» des Buches in Tat und Wahrheit eine kalkulierte PR-Übung war, um zusätzliche Vorschuss-Publicity zu erwirken. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Denn der Overkill, der seither über die Medien hereingebrochen ist, hat zumindest in Grossbritannien eher Antipathien ausgelöst. Kurz vor dem Erscheinen des Buches führte das renommierte Meinungsforschungsinstitut YouGov eine neue Popularitätsumfrage über die Royals durch. Die Resultate stehen in der heutigen Times. Danach hatten schon zu dem Zeitpunkt nur noch 26 Prozent der befragten Briten einen positiven Eindruck von Harry. Im November 2017 hatten ihn noch 81 Prozent gemocht. Zum Vergleich: Charles liegt heute bei 60 Prozent, William und Kate bei etwa 75 Prozent.

Auf dem Heimweg besuche ich noch kurz den Quartierbücherladen in Queen’s Park, einer wohlbetuchten Gegend mit supercoolen Restaurants und «Studios» aller Art. Der Manager zeigt sich erstaunt: Schon drei Exemplare habe er verkauft an diesem Morgen, dabei habe er eigentlich mit null gerechnet. Dazu kämen noch vier Vorbestellungen. Dabei habe er sich ernstlich überlegt, das Buch überhaupt nicht ins Sortiment aufzunehmen. Dafür gibt es einen guten Grund: Zum vollen Preis kostet der Schmöker für britische Verhältnisse exorbitante 28 Pfund (32 Franken). Die grossen Ketten wie Waterstones, WH Smiths und natürlich Amazon verscherbeln ihn für 14 Pfund. «Schön, dass es doch noch Leute gibt, die es bei uns kaufen», meint der Manager. «Es liegt ihnen wohl daran, einen unabhängigen Laden zu unterstützen.» So hat Harry mit «Spare» zumindest etwas Gutes erreicht.


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Auf Netflix war bereits eine mehrteilige Dokumentation erschienen. Im Mittelpunkt von Harrys und Meghans Vorwürfen steht die Behauptung, dass vor allem die britische Sensationspresse «teuflisch» ist.

10.01.2023