Hungers neues Album «Ich mochte den Underdog immer mehr als den Prinzen»

tsch

4.9.2018

Sophie Hunger wechselt mit ihrem neuen Album «Molecules» die Seiten. Statt Folk und Jazz gibt's Elektropop, was aber nicht als Verlust komplexer Genialität zu verstehen ist.

Sie hat offenbar keine Lust mehr auf viersprachige Texte, verkopfte Band-Arrangements und die Rolle als ewiger Liebling des Feuilletons. DieSchweizerin Sophie Hunger hat sich vom intellektuellen Korsett des Folk-Jazz befreit und liess ihren deutschen Wohnsitz Berlin beim neuen Sound miteinfliessen.

Herausgekommen ist mit «Molecules» ein modernes, abwechslungsreiches und fast ausschliesslich englischsprachiges Album mit vielen Einflüssen der elektronischen Musik. Was die 35-Jährige an der deutschen Hauptstadt schätzt, was Deutsche von Schweizern lernen können und wie sie auf ihrer neuen Tour gegen «diese ewige Effizienz» ankämpft, verrät sie im Interview.

«Bluewin»: «Molecules» stellt eine deutliche Abkehr vom Sound früherer Alben dar. Wie viel hat dieser Stilwechsel mit dem neuen Wohnort zu tun?

Sophie Hunger: Er hat viel damit zu tun. Aber auch damit, dass ich ein Album machen wollte, welches ich alleine am Computer schreiben konnte. Zum ersten Mal habe ich einen Plan gemacht und mir Regeln auferlegt. Drumcomputer, Synthesizer, Stimme und akustische Gitarre waren die vier Elemente, mit denen ich ausschliesslich arbeiten wollte. Zudem sollten alle Texte auf Englisch sein, und ich wollte das Album ohne eine Band einspielen.

Hatten Sie das Gefühl, dass Mitmusiker Sie irgendwie behindern?

Bei einer festen Band gibt es ja eine eigene Dynamik, man bekommt immer sofort eine Reaktion auf alles, was man macht. Deswegen war es wichtig, erst einmal alleine am Computer zu arbeiten.

Obwohl für Ihre kommende Tour schon einige Konzerttermine ausverkauft sind: Glauben Sie, dass die Mehrheit Ihrer Fans dem neuen Sound folgen wird?

Es ist natürlich sehr schön, dass die Leute mir erst mal blind vertrauen! Aber gerade bei dem Publikum, das von Anfang an dabei war, als ich noch viele Jazz-Einflüsse verarbeitet habe, bin ich mir nicht sicher, ob sie dem jetzt noch folgen wollen. Ich versuche jedenfalls, mich mental darauf vorzubereiten, dass einige Fans enttäuscht sind. Aber meinen Gelüsten zu folgen, das ist letztlich der einzige Weg nach vorne.

Sie haben als Diplomatentochter an vielen verschiedenen Orten gelebt. In einem Interview haben Sie dazu einmal erklärt: «Die Idee vom Sesshaft-Werden kriege ich nicht hin.» Ist Ihr Wohnort Berlin dann also auch bald wieder Geschichte?

Das Problem habe ich mittlerweile gelöst, weil ich drei verschiedene Wohnorte habe! Neben Berlin habe ich auch noch eine Wohnung in Paris und eine in Zürich. In diesem Dreieck bewege ich mich jetzt schon längere Zeit.

Für Berlin haben Sie mit «Electropolis» eine Hymne komponiert. Faszinieren Sie die herben Kontraste der Stadt, oder kann Berlin es in Sachen Schönheit doch mit Städten wie Paris und Zürich aufnehmen?

An Schönheit vielleicht schon. Aber nicht, was die Raffiniertheit betrifft (lacht)! Es gibt deutliche Unterschiede beim Essen und bei der Mode. Und auch die Gesellschaftsstruktur unterscheidet sich, es gibt in Berlin ein viel stärkeres Bürgertum, würde ich sagen. Die Stadt wird oberflächlich betrachtet nicht so stark vom Geld dominiert.

Das heisst, Ihre drei Wohnorte bilden den richtigen Mix, um genug kreativen Input zu sammeln?

Ja, total! Und ich mochte den Underdog immer mehr als den Prinzen.

Eine auffällige Neuerung auf «Molecules» ist die Tatsache, dass das Album fast ausschliesslich englische Texte enthält. Kapitulieren Sie vor der Vorherrschaft der englischen Sprache in der Pop-Musik?

Ich wusste, dass ich mich dem irgendwann stellen muss. Jetzt kann ich mich nicht mehr mit dem Einwand herausreden, dass man meine Musik gar nicht mit anderer englischsprachiger Popmusik vergleichen kann, weil ich ja noch Französisch und Deutsch singe. Und wenn sie mich jetzt in englischsprachigen Ländern immer noch ignorieren, dann bedeutet das etwas, oder (lacht)?

Ein paar nicht-englische Sprachfetzen sind aber doch noch übriggeblieben, «Electropolis» hat eine deutsche Zeile, «Cou Cou» hat einige französische Parts ...

Ja, ganz geschafft habe ich es dann doch nicht. Am Ende wollte ich einfach hier und da noch eine weitere Fährte auslegen, weil ich das Gefühl hatte, dass es sonst nicht ganz mir als Künstlerin entspricht. Aber es sollten nur kurze Momente sein!

War die Zusammenarbeit als Gastsängerin auf Steven Wilsons Song «Song Of I» ein kleiner Wegweiser hin zum Sound von «Molecules»?

Ja, im Nachhinein bildet das natürlich eine schöne Brücke. Aber in dem Moment, als ich die Einladung bekam, habe ich daran überhaupt nicht gedacht und war im Kopf auch noch nicht am neuen Album dran. Es ist trotzdem lustig, wie sich das im Nachhinein zusammenfügt, es war vielleicht so etwas wie eine Vorspeise.

Sie haben auch schon Duette mit Max Herre und dem Ex-Fussballprofi Eric Cantona gesungen. Werden Sie immer angefragt, oder suchen Sie selbst auch mal Partner aus?

Die Zusammenarbeit mit Eric für «La Chanson D'Helene» war meine Idee, das Original stammt von Michel Picolli und Romy Schneider. Die Zusammenarbeit mit Max wurde von ihm initiiert. Damit schloss sich für mich ein Kreis, weil ich als 15-Jährige die ganze Zeit Freundeskreis gehört habe und Joy (Denalane, Max Herres Ehefrau, d. Red.) für mich ein Idol war.

Bei Ihrer neuen Tour spielen Sie in einigen Städten mehrere Konzerte hintereinander, aber an verschiedenen Konzertorten. Warum?

Weil es viel lustiger ist! Ausserdem wollte ich, dass wir möglichst viele Auftritte spielen, weil wir eine neue Band mit neuen Musikern sind. Und der dritte Grund ist vielleicht ein etwas philosophischer: dass man einen gewissen Widerstand gegen diese ewige Effizienz leisten muss. Aber natürlich ist es auch eine megadumme Idee! Wir hoffen, dass die Leute mitkommen und das auch lustig finden.

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