Harald Naegeli liess sich für seine Dokumentation nur sporadisch filmen. Und am Ende hatte er auch genug von den ganzen Aufnahmen.
Zurich Film Festival
Zwei Künstler, zwei Zürcher, zwei weise alte Männer. Mit dem Schriftsteller Adolf Muschg und dem Graffitikünstler Harald Naegeli kommen am 17. Zurich Film Festival zwei grosse Schweizer Persönlichkeiten zu filmischen Ehren.
Beide Werke, die am Wochenende als Weltpremieren am Zurich Film Festival gezeigt wurden, haben Tradition im Schweizer Filmschaffen. Der Dokumentarfilm hat seit jeher einen hohen Stellenwert im einheimischen Film, und Porträts über Persönlichkeiten, gerade auch über Künstler – sogenannte Biopics – werden jedes Jahr produziert.
Die Filmporträts «Adolf Muschg – Der Andere» von Erich Schmid wie auch «Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich» von Nathalie David reihen sich in das in der Schweiz herausragende Genre des Biopics ein. Wer an den beiden Kulturgrössen interessiert ist, wird von den neuen Filmen nicht enttäuscht, weil sowohl Muschg wie Naegeli auch Überraschendes und Persönliches preisgeben.
Ironische Statements
Während der grosse Intellektuelle Adolf Muschg den Film mit wohlformulierten Worten quasi alleine bestreitet, versucht sich der scheue Protestkünstler Harald Naegeli den Dreharbeiten immer wieder zu entziehen. Muschg ist nicht nur in fast jeder Szene im Bild, er erzählt quasi im Alleingang sein ganzes Leben. Naegeli hingegen lässt seine Kunst sprechen und mischt sich nur sporadisch mit ironischen Statements und einem maliziösen Lächeln ein.
Der 87-jährige Muschg, aus schwierigen Verhältnissen stammend, erzählt von seiner Kindheit («Jugend war schwer»), der Zeit im Internat («die Hölle»), seiner Hypochondrie, die ihn von klein auf begleitet. Der 82-jährige Naegeli, in die Zürcher Grossbourgeoisie geboren, bleibt zeitlebens bescheiden und blickt, trotz internationalem Haftbefehl und Gefängnisaufenthalt, ohne Verbitterung auf sein Leben («Der geschlossene Vollzug hat meinen Ruhm begründet»).
Adolf Muschg begleitet uns durch die Stationen seines Lebens als Schriftsteller und Literaturprofessor, von Berlin nach Japan, zurück nach Zollikon, wieder Japan, dann Göttingen, die USA und wieder in die Schweiz – Naegeli viel unspektakulärer von Zürich nach Düsseldorf und zurück nach Zürich. Muschg liebt den Auftritt, das Publikum, den Applaus – Naegeli, der als Sprayer seine Identität lange geheim zu halten wusste, bleibt zeitlebens ein scheuer Einzelgänger.
Filmisches Vermächtnis
Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. Beide sind mit sich selbst zufrieden, beide wissen, dass das Leben zu Ende geht, beide sind, auch im hohen Alter, kritische Beobachter der politischen Vorgänge. Das Privatleben der beiden Künstler bleibt weitgehend ausgespart, einzig Muschgs dritter Ehefrau, der Japanerin Atsuko Kanto, ist ein Auftritt gegönnt.
Erich Schmids «Adolf Muschg – Der Andere» ist ein formal konventioneller Dokumentarfilm, der – da Muschg sein Leben quasi selber erzählt – kritische Töne ausspart. Bei «Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich» hingegen kommen auch etwa die Staatsanwaltschaft oder wütende Bürgerinnen zu Wort, die seine an triste Zürcher Betonwände gesprayten Strichfiguren als Sachbeschädigung verurteilen.
Die Filmemacherin Nathalie David und der Produzent Peter Spoerri versuchen in ihrem gemeinsamen Film dem Street-Art-Künstler auch formal gerecht zu werden. Wir lernen einen bescheidenen und grosszügigen Menschen kennen, der neben seiner weltweit bekannten ephemeren Mauerkunst auch ein überaus reiches zeichnerisches Werk geschaffen hat. Beide Filme können, für Naegeli wie für Muschg, als Vermächtnis gelten.
«Adolf Muschg – Der Andere» und «Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich» laufen am Zurich Film Festival. Wann und wo siehst du hier und hier.