Schweizer Film Kino-Hit «Platzspitzbaby» wird zum Schulstoff

Von Lukas Rüttimann

5.2.2020

Der Film über die Drogenhölle am Zürcher Platzspitz begeistert seit Wochen das Kinopublikum. Nun sollen Schweizer Schülerinnen und Schüler hautnah in die Geschichte eintauchen können.

Die Schweiz ist im «Platzspitzbaby»-Fieber. Über 165'000 Personen haben die Verfilmung der gleichnamigen Buchvorlage von Michelle Halbheer in den ersten drei Wochen seit dem Schweizer Kinostart gesehen. Ein Erfolg, der selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen hat.

Gleichzeitig ziert auch das Taschenbuch wieder die Spitze der Bestsellerlisten. «In meinen schönsten Träumen hätte ich mir das nicht schöner vorstellen können», zeigt sich Produzent Peter Reichenbach vom Erfolg überrascht.

Der Film scheint jedenfalls einen Nerv getroffen zu haben. Zum einen spricht die dramatische Lebensgeschichte von Michelle Halbheer respektive der von Newcomerin Luna Mwezi gespielten Mia im Film ein Publikum von Alt bis Jung an. Zudem führt der Film sein Publikum zurück in die Zeit der offenen Drogenszenen mitten in der Stadt Zürich – ein weltweit einmaliges Szenario, das heute kaum mehr vorstellbar scheint.

Video-Tutorials entwickelt

Nun wird «Platzspitzbaby» sogar zum Schulstoff. Die Pädagogische Hochschule PH Luzern hat zusammen mit der Produktionsfirma C-Films eine Reihe von Video-Tutorials entwickelt, die Schülerinnen und Schüler auf das Thema sensibilisieren sollen.

In den Schulvideos sind Szenen aus dem Film zu sehen, zudem erzählen diverse Zeitzeugen von Erinnerungen und Erlebnissen auf dem Platzspitz, die zu den jeweiligen Filmszenen passen. Auch medizinisches Fachpersonal, ehemalige Abhängige, Politikerinnen und Politiker, die Schauspieler sowie Kinder von Süchtigen kommen in den Clips zu Wort.

«Die Produktion der Videos war durchaus aufwendig und nicht immer nur einfach zu bewerkstelligen», sagt Vera Baumann von der PH Luzern, die das Schulmaterial zusammen mit der Zürcher Produktionsfirma C-Films konzipiert hat. Vor allem die Suche nach ehemaligen Drogenabhängigen, die vor der Kamera über ihre Erlebnisse von früher berichten würden, gestaltete sich schwierig. «Aber am Ende hat sich der grosse Aufwand gelohnt – die Reaktionen sind bislang durchwegs positiv», sagt Baumann.

Bildung, nicht Prävention

Insgesamt wurden neun solcher Kurzfilme produziert, die verschiedene Aspekte der Drogenszene am Platzspitz beleuchten. Schülerinnen und Schüler sollen zu jedem Clip jeweils drei Aufgaben lösen. Dabei geht es um Verständnisfragen oder das Aufarbeiten von Eindrücken, die in schriftlicher Form festgehalten werden müssen.

Vier Videos widmen sich dabei der historischen Einordnung und sind dafür gedacht, dass die Schulklassen sie als Vorbereitung auf den Film sehen. Die restlichen fünf Videos wurden für die Aufarbeitung nach dem Kinobesuch entwickelt. Baumann: «Es geht bei diesen Kurzfilmen darum, einen zusätzlichen Blickwinkel auf die Geschichte zu erhalten.»

Tatsächlich ist das Schulmaterial nicht in erster Linie für die Suchtprävention gedacht. Das Material, das sich an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 1 und 2 richtet, soll vielmehr einen Zugang zu einer anderen Erlebniswelt ermöglichen. «Primär geht es bei diesem Stoff um die gesellschaftliche Bildung der Schüler, nicht unbedingt um Suchtprävention», sagt Baumann.

Denn Heroinsucht sei zwar auch heute noch ein Thema, in der Form einer offenen Drogenszene auf dem Platzspitz, aber ganz klar ein Kapitel aus der Vergangenheit. «Dank dem Film und den Erzählungen der Betroffenen können die Schüler in eine andere Zeit eintauchen und die Probleme und Besonderheiten der damaligen Zeit auf eine intensive Art und Weise selbst erleben.»

Cleveres Konzept

Obwohl von der PH in Luzern entwickelt, ist das Material für Schulen in der ganzen Schweiz zugänglich und grundsätzlich gratis für alle nutzbar. Eine ähnliche Zusammenarbeit zwischen C-Films und der PH Luzern gab es bereits bei den Schweizer Erfolgsfilmen «Zwingli» und «Die Akte Grüniger», deren historische Ausrichtung für Schulmaterial geradezu prädestiniert war. Andererseits profitieren die Filmemacher auch von den Klassen, die ihnen die Kinosäle füllen.



Eine klassische Win-win-Situation – oder gibt es auch Kritik, dass sich die Schulen mit dieser Form der Zusammenarbeit quasi für PR-Zwecke instrumentalisieren lassen? «Grundsätzlich liesse sich darüber diskutieren», sagt Baumann. «Aber es wird ja niemand gezwungen, den Stoff zu unterrichten. Die Entscheidung, das Material zu verwenden und den Film im Kino zu schauen, liegt einzig und allein bei den Schulen respektive den jeweiligen Lehrkräften. Bisher hatten wir nur positive Reaktionen.»

Nicht zuletzt deshalb soll «Platzspitzbaby» bald auch noch mit einem digitalen Parcours auf dem Platzspitz geehrt werden. Auch dieses Projekt wurde von Vera Baumann entwickelt und soll interessierte Besucherinnen und Besucher die verschiedenen Stationen einer Drogenkarriere quasi am Ort des Geschehens nacherleben lassen. Im April geht’s los – und es würde kaum jemanden überraschen, wenn «Platzspitzbaby» bis dahin zu einem der erfolgreichsten Schweizer Filme aller Zeiten avanciert ist.

Das sind die Kino-Highlights im Februar.

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