Interview Tom Schilling: «Männer brauchen Strategien, um Frauen zu erobern»

tsch

22.3.2019

Heinrich Breloer («Todesspiel», «Die Manns») inszenierte Leben und Werk seines Lieblingsdichters Bertolt Brecht. Tom Schilling verkörpert den Theatermacher und erzählt von dessen Macken und Chauvinismus.

Dokudrama-Legende Heinrich Breloer erschuf in extrem hochklassigen 180 Minuten ein Biopic über das Leben Bertolt Brechts. Während Burghart Klaussner den älteren Brecht im zweiten Teil gibt, fiel die Wahl seines jungen filmischen Alter Egos auf Tom Schilling. Der Schauspieler sieht dem berühmtesten deutschen Dichter des letzten Jahrhundert tatsächlich verblüffend ähnlich. Der gebürtige Ost-Berliner hatte allerdings noch einen weiteren Vorteil: Schilling, mittlerweile 37 jahre alt, wirkt noch immer so jungenhaft, dass man ihm in den ersten Szenen des Films auch den 17- oder 18-jährigen Brecht in dessen Augsburger Heimat problemlos abnimmt. Im Interview zu «Brecht» spricht Tom Schilling über die Verführungstricks unattraktiver Männer und die hohe Kunst des Zigarrenrauchens.

Sie haben eine ganz persönliche Beziehung zu Brecht.

Ja, das stimmt. Auf der Bühne vom ‹Theater am Schiffbauerdamm›, dem Haus des ‹Berliner Ensembles›, habe ich meine ersten Gehversuche als Schauspieler gemacht. Es ist jenes Theater, das Bertolt Brecht von der jungen DDR damals zur Verfügung gestellt wurde.

Wie alt waren Sie damals?

Mit zwölf ging es los. Mein erstes Stück hiess ‹Im Schlagschatten des Mondes›, das war noch nicht von Brecht. Danach spielte ich aber auch in einigen Brecht-Stücken. Ich erinnere mich an ‹Der Ingwertopf› oder ‹Jae Fleischhacker in Chikago›. Später spielte ich auch ‹Das Leben des Galilei› in einer Inszenierung von B. K. Tragelehn, der sogar Brechts Regie-Assistent war. Meine ersten Erfahrungen als Schauspieler waren schon sehr deutlich von seinem Werk geprägt.

Tom Schilling als junger Dichter Bertolt Brecht – hier schreibt und komponiert er gerade die «Legende vom toten Soldaten».
Tom Schilling als junger Dichter Bertolt Brecht – hier schreibt und komponiert er gerade die «Legende vom toten Soldaten».
WDR / Nik Konietzny

Ist Brecht zu spielen eine andere Erfahrung für einen Schauspieler als andere Rollen?

Warum sollte das so sein?

Brechts «Episches Theater» will ja, dass der Zuschauer eher kritisch mitdenkt anstatt sich unreflektiert einzufühlen. Es gibt da beispielsweise das Mittel der Distanzierung durch Kommentare, das Heraustreten aus der Rolle und so weiter.

Ich hatte damals, offen gestanden, keinen blassen Schimmer, was ich da auf der Bühne getan habe. Irgendwas muss ich aber richtig gemacht haben, denn ich blieb noch ganze vier Jahre am Theater.

«Ich habe sehr, sehr viele Zigarren geraucht»

War es leicht, den echten jungen Brecht zu finden? Die meisten kennen ihn, wenn überhaupt, nur als Mann mittleren Alters.

Ich habe mir nicht die Illusion gemacht, Brecht ganz zu verstehen. Darum näherte ich mich ihm zunächst über das Körperliche. Er hatte ja eine sehr schlechte Körperhaltung, diese berühmte Brecht-Silhouette, die fast wie ein ‹S› aussieht. Und wo man natürlich seine Hausaufgaben machen muss, ist das Rauchen der Zigarren. Das sollte einem in Fleisch und Blut übergehen, ansonsten entlarvt man sich recht schnell. Insofern habe ich sehr, sehr viele Zigarren geraucht.

Die schlechte «S»-Haltung des jungen Brecht: Der Grundpfeiler für eine überzeugende Darstellung meint Tom Schilling.
Die schlechte «S»-Haltung des jungen Brecht: Der Grundpfeiler für eine überzeugende Darstellung meint Tom Schilling.
WDR / Stefan Falke

Das war es schon? Zigarre und Körperhaltung – und fertig ist der Brecht?

Es klingt profan, aber so ist es. Wenn die Hülle stimmt, lässt sich deren Inhalt viel leichter abrufen. Darüber hinaus war aber auch die Musik ein wichtiger Zugang. Die von ihm geschriebenen Lieder waren auch für die Musik, die ich mit meiner Band, den ‹Jazz Kids› mache, eine wichtige Inspiration. In seinen Zwanzigern war Brecht irre subversiv und anarchistisch. Er erinnert mich fast an einen jungen Punk-Musiker. Eine Art Johnny Rotten des Jahres 1918.

Ist Brecht heute ein bisschen angestaubt?

Nicht nur ein bisschen, er ist völlig angestaubt. Brecht gilt heute als muffig. Als nicht mehr relevant für die Tagespolitik. Als alter DDR-Dichter.

Weil seine Ideen gemeinsam mit der Vision des Sozialismus untergegangen sind?

Weiss ich nicht, diese Frage müsste man Literatur- oder Theaterwissenschaftlern stellen. Es wäre bescheuert, wenn ich da irgendwelche steilen Thesen aufstellen würde. Sicherlich hat ihm seine Nähe zur DDR-Führung in den 50er-Jahren nicht unbedingt geholfen. Dieser Umstand und der Erziehungscharakter seiner Lehrstücke verdecken sein grosses Plädoyer für die Menschlichkeit. Die ist ja nie unmodern. Ich sehe meine Aufgabe als Schauspieler aber nicht darin, das zu beurteilen oder gar mitzuspielen. Wenn ich Brecht spiele, transportiere ich nicht dessen Kunst oder deren Bedeutung.

Was ist für Sie dann relevant?

Eigentlich nur das, was ihm in der jeweiligen Szene von Bedeutung ist. Seine Gefühlswelt sozusagen. Teil eins, in dem ich den jungen Brecht spiele, könnte man fast als Beziehungsdrama betrachten. Es geht um seinen Grössenwahn und seine Kompromisslosigkeit. Mir geht es darum, zu ergründen, was diesen Menschen antreibt, was seine Ängste sind – nicht seine heutige Bedeutung.

Der politische Brecht ist also nicht Teil ihres Spiels?

Nein, das wäre ja bereits eine Interpretation seines Lebens. Es wäre ein Heraustreten aus der Rolle, episches Theater gewissermassen. Das ist aber nicht, was Heinrich Breloer wollte.

«Die Frauen sind ihm reihenweise verfallen»

Breloers Film verwendet viel Zeit auf die Ausleuchtung Brechts als Frauenheld. Ist das eine unentdeckte Seite an ihm, die uns der Film nahebringen will?

Man ist, was man tut. Und Brecht hat vieles gemeinsam mit Frauen getan. Und er hat ihnen auch viel Schmerz angetan.

Hört sich ein bisschen böse an ...

War es ja auch. Im Film sagt Frau Feuchtwanger, Brecht sei ein Menschenfresser. Und das war er tatsächlich. Genauso wie viele andere geniale, bedingungslose Künstler es oft sind. Rainer-Werner Fassbinder war auch so ein Menschenfresser. Natürlich haben diese Künstler den Menschen in ihrem Umfeld auch viel gegeben – aber leicht war es mit ihnen sicherlich nicht.

Auf dem Augsburger Jahrmarkt, «Plärrer» genannt, geniesst der junge Brecht die Zeit mit seiner Freundin, der Schülerin Paula Banholzer (Mala Emde).
Auf dem Augsburger Jahrmarkt, «Plärrer» genannt, geniesst der junge Brecht die Zeit mit seiner Freundin, der Schülerin Paula Banholzer (Mala Emde).
WDR / Nik Konietzny

Brecht war als Mann ziemlich unattraktiv. Können Sie sich trotzdem erklären, was seinen Erfolg bei den Frauen ausmachte?

Männer haben schon immer Strategien entwickeln müssen, um Frauen zu erobern. Besonders jene Männer, die von Natur aus nicht besonders attraktiv sind, müssen das mit irgendeiner Einzigartigkeit ausgleichen. Viel Geld und Erfolg, Humor oder Tiefgründigkeit sind da gute Werkzeuge, um auf dem Heirats- oder Fortpflanzungsmarkt zum Zuge zu kommen.

War Brechts Dichtkunst Teil seiner Fortpflanzungsstrategie?

Die Frauen sind ihm reihenweise verfallen. Er konnte aus dem Stegreif Gedichte erschaffen, die so wunderschön waren, dass man sofort verzaubert war. Die Frauen liebten Brechts Geist, seinen Intellekt. Das ist natürlich viel nachhaltiger als das Äusserliche.

Mit welchem Gefühl verlässt man diesen langen Brecht-Film?

Ich kann nur sagen, wie ich persönlich diesen Film verlasse: Mit dem Gefühl, ihm nahe gekommen zu sein – und ihn letzlich doch nicht verstanden zu haben.

Das Interview mit Tom Schilling führte die teleschau.

«Brecht» läuft am Freitag, 22. März, um 20.15 Uhr auf Arte. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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