Superthriller oder Mumpitz? Superthriller oder Mumpitz? – Warum der «Tatort» aus Bayreuth polarisierte

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24.2.2019

Aus Franken war der «Tatort»-Fan bislang Leises bis Tiefgründiges gewohnt. Fall fünf mit dem irreführenden Titel «Ein Tag wie jeder andere» versuchte sich nun am grossformatigen Thrillerkino.

Ein perfider Superkiller im Rollstuhl wollte sich an jenen rächen, die sein bürgerliches Familienglück zerstörten. Warum nicht mal jede Stunde einen Schuldigen zu blutiger Rechenschaft ziehen? Der fünfte Franken-«Tatort» mit dem Titel «Ein Tag wie jeder andere» zerrte die Kommissare Voss (Fabian Hinrichs) und Ringelhahn (Dagmar Manzel) heraus aus dem klassischen Ermittler-Krimi und warf sie in einen atemlosen Thriller, der kaum Zeit zum Durchatmen liess. Waren Thema und Ausführung zu gross für den «Tatort»?

Worum ging's?

In Bayreuth, das seine «Tatort»-Premiere erlebte, ging ein Killer um, der zu jeder vollen Stunde einen Menschen erschoss. Als die Kommissare Voss (Fabian Hinrichs) und Ringelhahn (Dagmar Manzel) das Tötungsmuster erkannt hatten, starteten sie einen furiosen Wettlauf gegen die Zeit. Nachdem der perfide Rachetäter im Rollstuhl (Stephan Grossmann) gefasst war, behielt er nach guter alter «Schweigen der Lämmer»-Tradition seine Gefährlichkeit. Nicht nur, weil er ein Kind in Gefangenschaft hielt, sondern auch, weil der Mann seinen späten «Hauptmord» mithilfe einer Komplizin ausführte. Eine perfekte Krimi-Kompostion oder hanebüchener Quatsch mit Oper – denn in Bayreuth durften natürlich die ortsansässigen Festspiele nicht im Drehbuch fehlen.

War das schon wieder so ein «Tatort»-Experiment?

Der Franken-Täter wurde nach 42 Minuten gefasst, blieb aber gefährlich. Ist das noch unser guter alter «Tatort»? Eine Woche nach Ulrich Tukurs Zeitschleifenkrimi «Murot und das Murmeltier» mussten konservative Fans des Krimi-Klassikers schon wieder tief durchatmen. Zwar gab es diesmal nichts Übersinnliches, dafür aber reichlich Übermenschliches. Das Filmemacherteam Erol Yesilkaya (Drehbuch) und Sebastian Marka (Regie), das schon mehrere «Tatorte» realisierte, liebt Larger-Than-Life-Erzählungen. Der Tukur-Beitrag «Es lebe der Tod» oder «Meta» – ein Berliner Fall, der auf mehreren Realitätsebenen während der Berlinale spielte, sind Beispiele. Formal betrachtet war «Ein Tag wie jeder andere» jedoch kein Experiment. Es gab Leichen, das sogar satt, und zwei Ermittler, die den Täter am Ende zur Strecke brachten. Dass ausgerechnet er weiterleben musste, war die grösstmögliche Strafe für den akribischen Todesplaner. Grimmiger Humor war im «Tatort» schliesslich noch nie verboten!

Wer war der fränkische Hannibal Lecter?

Wen dieser Krimi an amerikanische Thriller-Klassiker wie «Das Schweigen der Lämmer» (1990) oder «Sieben» (1995) erinnerte, dürfte in Sachen Inspirationsquelle der Macher nicht ganz falsch liegen. Die Idee, dass ein Killer so perfide und hochintelligent ist, dass er nur durch schier übermenschliche (Ermittler)Leistungen an seinem bösen Tun gehindert werden kann, ist seit den genannten Kinoklassikern im Thriller-Genre äusserst beliebt.

Den jüngsten «Tatort»- Bösewicht mit dem eher in der zweiten Reihe aktiven Schauspieler Stepahn Grossmann zu besetzen, ist allerdings auch originell. 1971 wurde der Schauspieler in Dresden geboren. Bisher sah man ihn eher als bodenständigen, harmlosen Jedermann. Selbiges Image brachte ihm die Rolle eines drolligen Volkspolizisten in der ARD-Serie «Weissensee» ein. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem jungen deutschen Altkanzler liess ihn 2009 im Dokudrama «Der Mann aus der Pfalz» Helmut Kohl spielen. Dass das bieder Bürgerliche immer schon eine zutiefst abgründige Seite hatte, scheint Grossmann nun mit seiner neuen Rolle beweisen zu wollen.

Wurde tatsächlich bei den Bayreuther Festspielen gedreht?

Fünf Tage verbrachte die Filmcrew im Frühjahr 2018 auf Bayreuths «Grünem Hügel», wo das berühmte Festspielhaus steht. Die Szenen, die während einer Aufführung der Oper «Walküre» spielen, wurden tatsächlich dort gedreht. Sogar einen echten Laienschauspieler hält die «Tatort»-Inszenierung bereit. Regisseur Sebastian Marka entschied vor Ort kurzfristig, statt die Vorstellung von einem Schauspieler unterbrechen zu lassen, lieber auf Festspiel-Sprecher Sprecher Peter Emmerich zurückzugreifen. Dieser machte seinen Job solide – in einer echten Gefahrensituation, in welcher der Zuschauersaal zu räumen wäre, müsste er diesen Part ja auch übernehmen, meinte der «Tatort»-Fan in einem Interview mit der «Neue Presse» aus dem fränkischen Coburg.

Wie kommt man an eine Opernkarte in Bayreuth?

Die Wagner-Festspiele in Bayreuth sind das berühmteste klassische Musikfestival Deutschlands mit der Besonderheit, dass es sich nur den letzten zehn Opern Richard Wagners (1813-1883) widmet. Das Festival begann 1876 und findet seit 1951 im eigens zu diesem Zweck geschaffenen Festspielhaus statt. Obwohl die Aufführungen stundenlang, die Holzstühle unbequem, der Raum nicht klimatisiert und die Kritiken der Inszenierungen keineswegs immer gut sind, herrscht Jahr für Jahr ein unglaublicher Run auf die Karten.

Bestellwünsche muss man ein Jahr vorher anmelden. In der letzten Spielzeit während des Sommers 2018 wurden insgesamt 32 Vorstellungen abgehalten. In den letzten Jahren wurden die Veranstalter vom Bayerischen Rechnungshof dazu angehalten, nicht so viele Tickets über interne Kanäle zu vergeben. Seitdem soll sich die Ticketsituation verbessert haben. Viele Interessierte warten aber immer noch viele Jahre auf ihre Bayreuth-Karten. Es kommt aber auch vor, dass Tickets an der Abendkassen zurückgegeben werden. In diesem Fall sollte man am besten schnell vor Ort sein.

Warum war dieser «Tatort» trotz allem einer der besten des Jahres?

Man kann den 90 Minuten von «Ein Tag wie jeder andere» viel vorwerfen: Klar, der Fall war unrealistisch, aber sind das nicht eigentlich 99 Prozent aller Fernsehkrimis? Wer war schon mal bei einer echten, zwischen öder Routine und quälend ereignislosen Phasen glimmenden Mordermittlung dabei? Andererseits war sowohl der Mord- wie der Thrillerplot exzellent ausgedacht und filmisch sehr hochwertig umgesetzt. Wer sich von diesem atemlosen Franken-Thriller mittreiben liess, hatte garantiert keinen langweiligen Abend.

Der neuste «Tatort» lief am Sonntag, 24. Februar, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie Sendungen bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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