Serienkritik «The Boys» übertrumpft Marvels Kinderkram mühelos

Von Fabian Tschamper

7.9.2019

Kein Milliardenbudget und keine Starschauspieler: Amazon produzierte mit «The Boys» klammheimlich die beste zeitgenössische Superhelden-Serie und verdient dafür ein dickes Lob. Marvels Truppe sieht dagegen aus wie ein Kindergarten.

Was wäre, wenn sich Iron Man plötzlich einen Schuss setzen würde? Oder der Hulk aus Spass an der Freude ein paar zivile Schädel einschlüge? Marvels Saubermänner würden solche zutiefst verwerflichen Dinge natürlich nie tun. Sie sind perfekt und heldenhaft – sie sind langweilig und oberflächlich. «The Boys» zeigt gleich mehrere neue Superhelden-Facetten auf und überzeugt bis ins letzte Detail.

Hughie Campbell (Jack Quaid) führt ein Durchschnittsleben in einer Überdurchschnittswelt. Der Verkäufer in einem Elektrogeschäft hat zu lange Schichten und zu wenig Lohn, ist im Grunde jedoch zufrieden – vor allem auch wegen seiner Freundin Robin (Jess Salgueiro).

Hughie ist Ende 20 und wohnt noch bei seinem Vater. Sein Kinderzimmer ist zugekleistert mit Superhelden-Poster, und auf jeder Oberfläche steht eine Figur seiner Idole: A-Train (Jessie T. Usher), der schnellste Mann der Welt; Translucent (Alex Hassell), der unverwundbare Unsichtbare; oder auch der Superhelden-Anführer, Homelander (Antony Starr), der an Superman erinnert – allerdings ohne die nervige Kryptonit-Schwäche.

Die Superhelden geniessen hohes Ansehen in der fiktiven Stadt, doch wie so oft trügt der Schein, was Hughie schmerzlich erfahren muss: Als er Hand in Hand mit seiner Freundin Robin nach Hause schlendert, kommt A-Train angerauscht und rennt durch die junge Frau hindurch. Sie explodiert. Hughie bleibt mit leerem Blick und der abgetrennten Hand seiner Freundin stehen.

Mit dieser Szene wird der Grundton für die ganze Serie gelegt. «The Boys» ist brutal, düster und nichts für jungfräuliche Augen und Ohren.

Die Mutter aller Probleme

Für solche Schicksale, wie es Hughie erlebt hat, interessiert sich Billy Butcher (Karl Urban). Der sympathisch-fluchende Haudegen hat selbst eine düstere Geschichte mit den Superhelden und will ihnen darum das Handwerk legen – und nicht etwa, dass sie sich in Staub auflösen wie beim grossen Konkurrenten Marvel, sondern er will sie foltern, leiden sehen und dann auf groteske Art und Weise töten.

Billy versammelt also seine Crew: Neuling Hughie, den Chemiker und Ingenieur Frenchie und den Allrounder Mother's Milk (ja, er heisst wirklich «Muttermilch»). Doch die vier unwahrscheinlichen Alliierten sind nur die eine Seite der Münze.

Auf der anderen finden sich «The Seven». Dies sind sieben Superhelden, die sich durch ihre Fähigkeiten als besonders nützlich erwiesen haben und somit in diesen exklusiven Kreis aufgenommen werden. Die obigen Übermenschen – also A-Train, Translucent und Homelander – sind Teil der sieben Auserwählten.

Gegenüber der Öffentlichkeit sind sie hilfsbereit und zuvorkommend, stellen das Wohl der Bürger über ihr eigenes. Abgeschottet und unter sich jedoch ist jeder schlimmer als der andere. Das geht von Translucent, der unsichtbar in Frauen-WCs spioniert, bis hin zu Homelander, der die politische Opposition «verschwinden» lässt.

Mehr Persönlichkeit, mehr Glaubwürdigkeit

«The Boys» trumpft mit detaillierten Persönlichkeiten und vereinzelt herausragenden schauspielerischen Darbietungen auf. Nicht nur die Underdogs rund um Billy Butcher haben alle ihre komplizierte Hintergrundgeschichte, sie sind einzigartig und unterhaltsam im Zusammenspiel. Auch die Superhelden besitzen authentischen Tiefgang durch ihre moralisch verwerflichen Handlungen. Besonders Antony Starr in der Rolle von Homelander liefert eine überragende schauspielerische Leistung ab, von der ein Marvel-Darsteller nur träumen kann.

Mit bisher acht Folgen in der ersten Staffel auf Amazon Prime verspricht «The Boys» ein Geheimtipp zu sein für Zuschauer, die genug haben von überperfekten Helden und kitschigen Bösewichten.

Staffel zwei ist bereits in Produktion und soll nächstes Jahr zu Hause auf die Bildschirme kommen. Zeit, den arroganten Übermenschen abermals aufs Maul zu geben.

«The Boys» ist auf Prime Video abrufbar.

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