Überrascht hat das IOC mit der Verschiebung der Olympischen Sommerspiele in Tokio kaum jemanden. Trotzdem wirft der Entscheid zur Verlegung die Karrierepläne vieler Athleten über den Haufen.
Olympischen Spiele sind immer auch ein Schaufenster: Funktionäre, Sponsoren, Sportarten und nicht zuletzt Athleten haben unter den fünf Ringen die besten Chancen, sich in der Welt des Sports zu präsentieren und verewigen. Neben Ruhm lockt der Grossanlass, der im Rhythmus von vier Jahren stattfinden sollte, die Sportler mit der Aussicht auf Sponsorenverträge. Es erklärt sich daher von selber, dass die Athleten ihre Form auf das Grossereignis hin planen und aufbauen – ein Leben im Vierjahres-Zyklus.
Auch wenn sich im Hinblick auf Tokio 2020 viele Sportler auf die Verschiebung eingestellt hatten, herausgefordert dadurch werden fast alle. «Ich weiss im Moment nicht, was ich denken soll. Es ist irritierend», sagte Schwimmer Jérémy Desplanches nach Bekanntwerden der Verschiebung. Die Gemütslage des 25-jährigen Europameisters aus Genf schwankt zwischen Verständnis und Frust. Vielen seiner Berufskollegen geht es ähnlich, manchen Athleten stellen sich aber indes noch viel drängendere Fragen als nach der Neugestaltung des Trainingsplans.
Bei Triathlon-Olympiasiegerin Nicola Spirig hätten die fünften Sommerspiele die letzten sein sollen. Ob sie nun 2021 in Tokio noch am Start stehen wird, lässt die 38-jährige Zürcherin offen. «Ich werde nun die neue Situation gemeinsam mit meiner Familie und meinem Team besprechen und analysieren», liess sie verlauten. Nicht als einzige Athletin von Swiss Olympic plante Spirig mit Tokio 2020 als dem Schlusspunkt hinter der Karriere, die unplanmässige Verlängerung bereitet auch anderen Probleme.
Es drohen Konflikte aufgrund auslaufender Verträge oder durch neue Verbindlichkeiten. Ein Fragezeichen im Hinblick auf 2021 wird etwa hinter der Formation des Schweizer Bahnvierers stehen. Mit Stefan Bissegger droht Nationaltrainer Daniel Gisiger die «Lokomotive» seines Quartetts zu verlieren. Der Thurgauer unterzeichnete bei der Strassenequipe von Education First einen ab dem 1. September 2020 gültigen Profivertrag. «Was wird mit solchen Fahrern passieren?«, fragt Nationalcoach Gisiger, der Ende Jahr seinerseits in Trainerrente gehen wollte.
Neben vielen Verlierern gibt es auch Sportlerinnen und Sportler, denen die Verschiebung nicht ungelegen kommt. Aus den Reihen der Schweiz könnten Jolanda Neff, Giulia Steingruber oder Sarah Atcho von den zusätzlichen Tagen und Wochen bis zum Start des Grossanlasses profitieren. Alle drei befinden sich nach Verletzungen auf dem Weg zurück zur Topform. Nun sind sie im Vorteil, auch mental: Ihr Vierjahres-Zyklus war schon vor der Verschiebung aus den Fugen geraten.