Corona-Tagebuch Anruf von meinem Papi – er hat das Testresultat erhalten

Bruno Bötschi

27.3.2020

Und wenn «Bluewin»-Redaktor Bruno Bötschi die Decke auf den Kopf zu fallen droht, steigt er auf sein Velo und fährt allein der Limmat entlang.
Und wenn «Bluewin»-Redaktor Bruno Bötschi die Decke auf den Kopf zu fallen droht, steigt er auf sein Velo und fährt allein der Limmat entlang.
Bild: bb

«Bluewin»-Redaktor Bruno Bötschi macht seit bald drei Wochen Homeoffice. Was er während der Corona-Notstandwochen erlebt, schreibt er in sein Tagebuch.

Das Coronavirus beherrscht seit zwei Wochen das Leben in der Schweiz. Die Lage ist ernst, sehr ernst sogar, aber nicht hoffnungslos. Ein guter Zeitpunkt, um seine Gedanken mal wieder in einem Tagebuch niederzuschreiben.


Freitag: 27. März: Die gute Nachricht: Ich fahre jeden Tag allein 45 Minuten Velo. Die schlechte Nachricht: Mein Schoggikonsum ist weiterhin sehr hoch. Heute war geplant, mit ein Freunden nach Basel zu fahren. Wir wollten die Ausstellung von Edward Hopper in der Fondation Beyeler ansehen. Das Virus hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Was nicht weiter tragisch ist: Das Thema der Ausstellung, «Ein Neuer Blick auf Landschaft», den habe ich jetzt direkt vor der Haustüre. Die Langstrasse in Zürich an einem Freitagabend menschenleer? Das habe ich so noch nie gesehen. Es fühlt sich irgendwie komisch an, zugleich aber auch sehr beruhigend – genauso wie ein Wochenende ohne Termine und ohne «Ich muss noch das und das und das».

Lesetipp des Tages: Das Corona-Tagebuch von Michèle Meyer in der WOZ: «Zum Glück werde ich sauer. Das hilft.»


Donnerstag, 26. März: Gute Laune. Obwohl ich (wieder) mies geschlafen habe (beziehungsweise zu kurz). Und dann zieht heute Morgen auch die Bise noch so gemein kalt um das Haus. Aber ehrlich gesagt, das ist mir tausendmal lieber, als wenn es draussen jetzt bereits an die 30 Grad wären und ich im eigenen Saft daheim im Homeoffice hocken müsste.

Schachmatt: Da war die Niederlage noch nicht absehbar.
Schachmatt: Da war die Niederlage noch nicht absehbar.
Bild: bb

Was ich heute alles erledigt habe? Unter anderem zwei launige Interviews geschrieben respektiv bearbeitet, die demnächst auf «Bluewin» erscheinen werden. Sie wollen wissen, mit wem ich gesprochen habe? Sorry, ich muss gehen, der Postmann hat gerade zweimal geklingelt. Habe mir das neue Buch von Roger Schawinski bestellt. Genau, ich brauche neuen Lesestoff.


Mittwoch, 25. März: Wieder schlecht geschlafen. Nach zwei Kafis aber doch noch wach geworden. Kurz nach neun Uhr ruft Papi an: «Ich wurde negativ getestet. Ich habe kein Corona.» Der Tag ist gerettet. Am Nachmittag eine Stunde Velo fahren der Limmat entlang. Kopf auslüften. Danach eine Partie Schach gespielt und verloren.

Lesetipp des Tages: Der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm schreibt seit vergangener Woche online ein Corona-Tagebuch.


Dienstag, 24. März: Frühmorgens das Telefon von Mami. Papi ist wieder im Spital-Notfall (wegen seines Bandscheibenvorfalls). Mami weint, aber ich darf nicht vorbeigehen – nicht zu ihr nach Hause und ins Spital sowieso nicht. Warten. Warten.

Hilft die Corona-Krise zu vergessen: Bücher lesen.
Hilft die Corona-Krise zu vergessen: Bücher lesen.
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Am Nachmittag endlich Entwarnung: Papi darf wieder nach Hause. Natürlich haben sie ihn auch auf Corona getestet. Der Arzt will sich morgen melden und das Resultat bekannt geben. Vorsorglich sollen meine Eltern nicht mehr im gleichen Schlafzimmer schlafen. Nach 55 Jahren Ehe zum ersten Mal getrennte Betten. Corona, ich hasse dich! 


Montag, 23. März: Schlecht geschlafen. Schon wieder. Der Kloss im Magen will nicht weg. Ich sitze auf meinem roten Nashorn auf der Terrasse und geniesse die Morgensonne. Die zweite Woche Homeoffice. Routine schleicht sich ein und der Kafi- und Schoggikonsum geht weiter nach oben.

Ein bisschen Spass muss sein: Morgentlicher Ritt auf dem Nashorn.
Ein bisschen Spass muss sein: Morgentlicher Ritt auf dem Nashorn.
Bild: rk

Über Mittag, trotz bitterkalter Bise, 45 Minuten auf dem Velo gestrampelt. Fragen tauchen auf. Was wohl mit all den falschen Blondinen passieren wird in den nächsten Wochen. Ich habe mich bereits entschieden: Dauert der Shutdown länger als einen Monat, werde ich mir die Haare raspelkurz abrasieren.


Sonntag, 22. März: Zu früh aufgewacht, viel zu früh. Zwei Cappuccinos, danach aufs Sofa gefläzt und zwei Partien Schach (gegen ein Handyprogramm) gespielt. Kurz bevor mir die Decke auf den Kopf fällt und der Regen vom Himmel, aufs Velo gestiegen. Social-Distancing-Strampeln auf einer wenig befahrenen Nebenstrasse.

Hilft gegen den Lagerkoller: Cappuccino.
Hilft gegen den Lagerkoller: Cappuccino.
Bild: bb

Unterwegs am Kiosk sonntäglichen Lesestoff gekauft. Zahlungen erledigen. Lesen. Zuerst Zeitung, dann «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin». Ein längeres Telefonat mit einem guten Freund. Zum Abendessen Spargel aus Italien, danach drei Folgen «Follow The Money» auf Arte. Anderthalb Tafeln Schoggi verschlungen. Mein neuer Übername: Khashoggi.

Lesetipp des Tages: Thomas Meyers neues Buch «Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin». Im ersten Teil hatte der orthodoxe Jude Motti Wolkenbruch fast immer brav getan, was seine Eltern von ihm erwarteten – im zweiten Teil wird es wilder und Motti der Chef der Jüdischen Weltverschwörung.


Samstag, 21. März: Endlich wieder einmal acht Stunden durchgeschlafen. Der Kloss im Magen immer noch da. Seit anderthalb Wochen im Homeoffice, seit einer Woche keine Freundinnen und Freunde mehr getroffen (am Abend machen wir eine Telko zu viert).

So früh wie noch nie in der Migros gestanden. Rushhour vermeiden, Abstand halten. Am Nachmittag eine Stunde Velofahren. Daheim zum Fenster hinausschauen. Luft holen. 20 Prozent der Nachbarn machen im Wohnzimmer Turnübungen, 80 Prozent sind mit Putzen beschäftigt. Der Herr direkt gegenüber versucht verzweifelt mit einem Minitüchlein gegen den Schmutz an seinen Fenstern anzukommen.

Stimmungsaufheller: der Schoggi-Notvorrat von Bruno Bötschi.
Stimmungsaufheller: der Schoggi-Notvorrat von Bruno Bötschi.
Bild: bb

Gegen Abend telefonieren mit den Eltern. Beide über 80. Risikogruppe. Papi leidet doppelt: Er hat üble Schmerzen wegen eines Bandscheibenvorfalls. Aber er weiss, jetzt nochmals in den Spital einliefern lassen, ist keine gute Idee. Zum Glück kommt seit vergangener Woche zweimal eine Spitex-Frau vorbei. Mami zum x-ten Mal erklärt, warum sie wirklich nicht mehr mit dem Stadtbus fahren soll. Heute eine ganze Tafel Schoggi gegessen. Süsses gegen den Lagerkoller.

Lesetipp des Tages: Deutschboden von Moritz von Uslar. Der deutsche Autor zeichnete ein (zu) sympathisches Bild von den Bewohnern einer ostdeutschen Kleinstadt.

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