Surfen lernen «Bleib locker»? – Bleib du doch locker, verdammt nochmal

Von Michelle de Oliveira

6.8.2023

Surfen, ohne aufs Brett zu kommen: Ist das überhaupt Surfen?
Surfen, ohne aufs Brett zu kommen: Ist das überhaupt Surfen?
Bild: Privat

Die Kolumnistin will surfen lernen. Mit wenig Erfolg. Obwohl es ihr Spass macht, ist sie frustriert und fragt sich: Wann haben wir aufgehört, etwas zu lernen, weil es Spass macht und nicht, weil wir gut darin werden wollen?

Von Michelle de Oliveira

6.8.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Michelle de Oliveira will surfen lernen.
  • Es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen. Das weiss die blue News Kolumnistin – spätestens seit ihrer ersten Lektion am Meer.
  • Bis sich de Oliveira irgendwann fragt: Warum muss immer etwas herausschauen, wenigstens ein kleiner Erfolg?

Es gelingt mir nicht, aufzustehen. Ich bin zu früh, die Welle bricht noch nicht. Oder zu spät, und sie rollt ohne mich zum Strand. Ich fühle mich, als würde ich Autostopp machen, aber kein Auto hält.

Gelingt es mir doch einmal, aufs Brett zu kommen, rutsche ich sofort wieder ab und falle rückwärts ins Meer. Oder vorwärts. Oder seitwärts. Salzwasser schiesst mir so weit in die Nase hoch, dass ich glaube, endlich die wahre Bedeutung von «Gehirnwäsche» zu kennen.

Ich will surfen lernen und habe mir einen Kurs beim Privatsurflehrer gebucht. Dieser rudert jetzt mit den Armen, aber nicht im Wasser, er bedeutet mir, zu ihm an Land zu kommen.

Der Surflehrer sagt: «Bleib locker»

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.

Er sagt: «Du willst zu viel dort draussen. Deine Bewegungen sind zu gross, zu kräftig. Die Bedingungen sind top, die Wellen perfekt, das Brett ist das richtige.»

Und schiebt nach: «Bleib locker.» Ich schlucke und verkneife mir ein: «Bleib du doch locker, verdammt noch mal.»

Es liegt also an mir, dass ich einfach nicht hochkomme und scheinbar die einfachsten Wellen nicht schaffe.

Ich blicke angestrengt aufs Wasser, während der Surflehrer noch ein paar Weisheiten preisgibt: «Go with the flow. Du kannst die Wellen nicht kontrollieren. Das ist wie im Leben, du kannst nichts kontrollieren. Du musst die Kontrolle aufgeben und mitgehen.»

Surfen, ohne aufs Brett zu kommen: Ist das überhaupt Surfen?

Ich nicke und stampfe wie ein wütendes Kind zurück ins Wasser. Ich gehe «mit dem Flow und bleibe locker» und stehe kein einziges Mal länger als 1,5 Sekunden auf dem Brett.

Mit zittrigen Armen und Beinen fahre ich zwei Stunden später heulend nach Hause. Ich bin frustriert. Klar, einerseits, weil es mit dem Surfen nicht geklappt hat, aber auch, weil mich diese Tatsache so sehr mitnimmt.

Denn eigentlich finde ich es gar nicht schlimm, dass ich nicht aufstehen konnte. Ich hatte Spass, zumindest am Anfang, bis der Lehrer ungeduldig wurde. Ich war im Meer, konnte mich bewegen und der Sonne dabei beim Untergehen zusehen. Toll, oder?

Was mich stresste, war der Teil an Land. Der Surflehrer, der auf meinen Erfolg – und somit auch seinen – wartete. Warum ist es denn so wichtig, etwas «gut» zu können?

Warum muss jede Tätigkeit irgendwie gemeistert werden? Warum tun wir so wenig, nur um des Tuns willens? Warum muss immer etwas herausschauen, wenigstens ein kleiner Erfolg? Surfen, ohne aufs Brett zu kommen: Ist das überhaupt Surfen?

Ich liebe es, im Wasser zu sein

Der Sommer kommt, das Meer ist glatt, die Wellen regelmässig und das Wasser voller farbiger Punkte – alle Surfer viel besser als ich. Trotz bester Konditionen getraue ich mich für eine Weile nicht mehr aufs Surfbrett. Und werde immer wütender.

Ich liebe es, im Wasser zu sein. Dank Neopren und Surfbrett kann ich selbst im kalten Atlantik viel länger drinbleiben, als wenn ich einfach schwimmen gehe.

Ich liebe es, die Kraft beim Paddeln zu spüren, mich auf das Brett zu setzen, das Heben und Senken der Wellen zu spüren und mich vom Glitzern des Wassers blenden zu lassen. Den Strand für einmal von der anderen Seite zu sehen und die Ruhe auf dem glasklaren Meer zu geniessen.

Ich vermisse dieses Gefühl und wage mich wieder auf Brett. Immer und immer wieder gehe ich surfen. Es kostet mich jedes Mal Überwindung, meist bin ich kurz davor, mit dem Brett unter dem Arm wieder umzudrehen, wenn andere Surfer im Wasser sind.

Ich übe und übe und übe

Ich übe und übe und übe. Tatsächlich gelingt es mir immer häufiger, aufzustehen, mich eine Weile auf dem Brett zu halten und die Kraft des Wassers zu spüren. Natürlich macht es mir Spass.

Aber es ist nicht mehr mein einziges Ziel, eine gute Surferin zu werden. Mein Ziel ist vielmehr, mich weiterhin voller Enthusiasmus in den engen Neopren-Anzug zu zwängen und mir das schwere Brett unter den Arm zu klemmen.

Ins Wasser zu gehen, zu paddeln, mal überspült zu werden, mal aufzustehen, mal wieder ganz viel Wasser zu schlucken. Und vor allem einfach die Zeit im und auf dem Wasser zu geniessen. Ohne Ziel, sondern einfach, weil es Spass macht.

Und ich erinnere mich daran, was ein anderer Surflehrer vor Kurzem zu mir gesagt hat: «Beim Surfen geht es nicht darum, was wir sehen. Es geht darum, was wir fühlen. Befreie deinen Geist und fühle den Ozean. Das ist es, was du tun musst.»


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