Kolumne Digital Detox – ein alter Hut oder doch wichtig?

Von Michelle de Oliveira

3.9.2023

Mögliche Nebenwirkungen von Digital Detox: Der Mensch lebt glücklicher und bewusster.
Mögliche Nebenwirkungen von Digital Detox: Der Mensch lebt glücklicher und bewusster.
Bild: Imago

Das Handy ist der ständige Begleiter der Kolumnistin. Moderate Nutzung fällt ihr schwer. Darum setzt sie immer wieder auf Digital Detox und löscht gewisse Apps für eine Weile.

Von Michelle de Oliveira

3.9.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Michelle de Oliveira versucht, regelmässig Pausen von der virtuellen Welt einzulegen.
  • Die blue News-Kolumnistin löscht deshalb immer wieder gewisse Apps auf ihrem Smartphone für einige Zeit.
  • De Oliveira hat aber noch andere Tipps, wie man ohne Handy glücklicher und bewusster leben kann.

Ich bin ein «Ganz oder gar nicht»-Mensch.

Zumindest wenn es um die Nutzung von Social Media und anderen Apps geht. Die Instagram-App nur alle paar Tage kurz öffnen? Das schaffe ich nicht.

Schon nur einmal täglich die neusten Posts zu checken, will mir nicht gelingen. Genauso wie News-Portale, Messenger-Dienste und sogar den Wetterbericht überprüfe ich manchmal mehrmals täglich – selbstredend ohne signifikant neue Erkenntnisse daraus zu ziehen.

Meine Finger sind schneller als mein Gehirn

Dabei beobachte ich, dass meine Finger schneller sind als mein Gehirn. Ich will nur kurz schauen, wie spät es ist, und fünf Minuten später realisiere ich, dass ich durch Ferienbilder unbekannter Menschen, Katzenvideos und Memes scrolle. Meine Finger öffnen diese Apps, ohne dass ich es merke.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.

Höchste Zeit also für: Digital Detox.

Ein alter Hut und irgendwie ein leidiges Thema, denkt manch ein Mensch jetzt vielleicht.

Tatsächlich ist Digital Detox oder Digitale Achtsamkeit längst nicht mehr neu, aber nach wie vor brandaktuell.

Vor Kurzem hat die Journalistin Anna Miller einen Ratgeber für digitale Balance verfasst und trifft damit einen Nerv.

Ich habe auch meine persönlichen Handy-Diät-Tipps. Und weil ich eben eine «Ganz oder gar nicht»-Person bin, lösche ich von Zeit zu Zeit die zeitfressendsten Apps vom Telefon, schalte die Benachrichtigungen sämtlicher Gruppenchats aus und stelle Mail-Dienst und Slack auf stumm.

Mein Detox dauert manchmal nur ein Wochenende lang

Diese Kombination ist für mich die effektivste Methode. Manchmal dauert das Detox nur ein Wochenende lang, jüngst waren es zehn Tage während der Ferien. Sind die Apps weg, fehlen sie mir nicht besonders.

Am ersten Tag habe ich vielleicht noch einen leichten Phantomschmerz beziehungsweise ein Phantomwischen, und ich ertappe mich dabei, wie ich planlos auf mein Handy starre, weil der Automatismus die Apps nicht findet.

Danach wird es jedoch schnell besser. Das Handy ganz zu Hause zu lassen – etwa bei Tagesausflügen –, wäre mir eigentlich am liebsten.

Aber da ich richtig gerne fotografiere, jedoch keine Kamera mitschleppen will und ganz bestimmt an einem handyfreien Tag mein Kind den Handstand schafft, Delfine auftauchen oder ich eine Berühmtheit treffe (auf ein Selfie mit Schauspieler Pedro Pascal möchte ich wirklich ungern verzichten und ich würde es natürlich sofort auf Social Media teilen), stecke ich das Telefon eben doch ein.

Ein Schlupfloch halte ich mir offen

Aber sind die Apps weg, verringert sich meine Bildschirmzeit am Handy drastisch. Dabei halte ich mir ein Schlupfloch offen: Tatsächlich bekomme ich regelmässig interessante Anfragen oder Nachrichten in Bezug auf meinen Job über die sozialen Medien.

Damit ich die App aber nicht gleich wieder installieren muss und dennoch kurz überprüfen kann, dass ich nichts Relevantes verpasse, logge ich mich auf meinem Computer oder im Browser des Handys kurz ein.

Bei der Einschlafbegleitung meiner Kinder, die gut und gerne auch einmal eine Stunde dauert, unterhält mich oft das Handy. Anstatt in Zeiten der Abstinenz nun nur unbequem auf dem Boden zu sitzen und in die Dunkelheit zu starren, lade ich mir vermehrt Bücher auf meinen E-Reader.

Sonst ziehe ich «echte» Bücher stets vor, exakt aus dem Grund, weil ich weniger Zeit an Screens verbringen will (und weil Bücher so gut riechen und hübsch rascheln beim Umblättern).

Digital Detox ist ein First-World-Problem

Aber um im Dunkeln und mit einer Hand – die andere hält jene des Kindes – zu lesen, sind E-Reader extrem praktisch. Ich lese in Zeiten von weniger Social Media mehr Bücher. Mir scheint es generell, ich hätte mehr Zeit und die Pause von der digitalen Dauerbeschallung lässt mich ruhiger werden.

Warum nicht ganz auf die sozialen Medien verzichten, das frage ich mich dann immer wieder. Aber tatsächlich ist auch nicht alles schlecht daran. Neben vielen Beiträgen, die wirklich Nonsens sind, werde ich auch immer wieder inspiriert, erfahre von spannenden Projekten, lerne Neues oder muss einfach laut lachen. Darum werde ich weiterhin immer mal wieder Pausen einlegen und dann wieder zurückkehren.

Und um allfälligem What-aboutism vorzubeugen: Ja, es ist ein First-World-Problem, über Digital Detox nachzudenken.

Ja, es ist ein Privileg, sich über die mentale Gesundheit Gedanken machen zu können.

Aber gerade weil ich diese Möglichkeit habe, erscheint es mir als meine Pflicht, auf meine psychische Gesundheit achtzugeben. Und das äusserst sich eben auch in digitaler Achtsamkeit.


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