Experte über Anna Netrebkos Nähe zu Putin «Es geht bergab, ganz klar»

Von Bruno Bötschi

12.4.2022

«Den Standpunkt ‹Ich bin bloss Künstlerin, habe mit Politik nichts zu tun› kann sich eine Sängerin von diesem Kaliber und Ansehen nicht leisten»: Kritiker Christian Berzins über Anna Netrebko.
«Den Standpunkt ‹Ich bin bloss Künstlerin, habe mit Politik nichts zu tun› kann sich eine Sängerin von diesem Kaliber und Ansehen nicht leisten»: Kritiker Christian Berzins über Anna Netrebko.
Bild: Keystone

Anna Netrebko ist die berühmteste russische Künstlerin unserer Zeit. Dass die Sopranistin sich jetzt nicht von Wladimir Putin distanziert, könnte ihre Karriere teuer zu stehen kommen, glaubt Musikkritiker Christian Berzins.

Von Bruno Bötschi

12.4.2022

Christian Berzins, wann haben Sie Anna Netrebko zum ersten Mal live singen gehört?

Daran erinnere ich mich sehr gut, er war eine legendäre Opernnacht. Es war am 27. Juli 2002 in Salzburg – grosse Premiere: Mozarts «Don Giovanni», berühmter Dirigent, moderner Regisseur. Keiner kannte aber Anna Netrebko, keiner konnte ihren Namen richtig buchstabieren.

Und dann sang sie im Prada-Kostümchen diese erste Arie der Donna Anna: Kindlich geschmeidig die Stimme mit unglaublichen Kraftreserven. Ich tat in meiner Begeisterung, was ich als Kritiker eigentlich nie mehr getan hatte: Ich rief, kaum war die Arie fertig, als einer der allerersten sehr laut «Brava».

Es war demnach Liebe auf den ersten Blick?

Ehrlich gesagt: ja. Danach gab es in der Förderer-Lounge einen Künstlerempfang. Es wurde der Empfang der Netrebko! Alle Augen schauten auf sie. Sie trug Highheels so hoch wie meine Zahnbürste lang war, sass alsbald bei Eliette von Karajan – der Witwe des Jahrhundertdirigenten – auf dem Sofa und die sagte ihr, ich sass in Hördistanz: «Mein Mann hätte ihre Stimme gemocht.» Die Netrebko wurde sie dann allerdings erst 2005 nach einer «Traviata» in Salzburg.

Zur Person: Christian Berzins
zVg

Christian Berzins ist Autor und Musikkritiker der Zeitungen von CH Media. Er hörte im Alter von neun Jahren bei den Salzburger Festspielen seine erste «Zauberflöte», erlebte dort in den Folgejahren mehrmals Jahrhundertdirigent Herbert von Karajan. 1998 wurde er Musikkritiker der «Aargauer Zeitung», schrieb für die «Zeit» und die «Weltwoche», später wurde er Kulturjournalist bei der «NZZ am Sonntag».

Heute gilt Anna Netrebko als die  berühmteste russische Künstlerin unserer Zeit. Wegen des Kriegs in der Ukraine muss die 50-jährige Sopranistin aktuell jedoch viel schlechte Presse einstecken. Sie ist eine Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Welche Reaktion hätten Sie von der Sängerin, die auch einen österreichischen Pass besitzt, in der aktuellen Situation erwartet?

Schwierig zu sagen. Aber nach einem klaren Nachdenken eine Haltung und nicht ein Hin und Her. 

Geht es etwas konkreter, bitte?

Den Standpunkt «Ich bin bloss Künstlerin, habe mit Politik nichts zu tun» kann sich eine Sängerin von diesem Kaliber und Ansehen nicht leisten. Und schon gar nicht, wenn sie aus Russland beziehungsweise der ehemaligen Sowjetunion kommt, wo Sport und Kultur eine Art politisches Instrument sind und waren.

Die beiden Bereiche werden so gut gefördert, dass man in der Welt damit bestehen kann. Putins Oligarchen und Grosskonzerne wiederum sorgten dafür, dass Geld in die europäischen Kulturinstitutionen floss, um russische Musik zu unterstützen. Und diese an den allerersten Orten: Bei den Salzburger Festspielen etwa ist Gazprom Sponsor, am «Zauberseefestival» in Luzern Viktor Vekselberg einer der Geldgeber.

Später distanzierte sich Anna Netrebko auf mehrfache Nachfrage zwar vom Krieg in der Ukraine, nicht aber von Wladimir Putin. Was halten Sie davon?

Sie eierte herum, um es allen recht zu machen, merkte sie doch, dass sich der Westen von ihr abwandte. Doch im Moment, als München den Dirigent Valery Gergiev, den russischen Musikzar und Putin-Intimus, rauswarf, postete sie ein Foto mit sich und ihm in Jubelpose. Und sie sagte nie etwas zu ihrem berühmten Bild mit dem Separatisten-Führer in Donezk, sie spendete 2014 der Oper dort 15'000 Franken und zeigte sich mit der grossrussischen Flagge.

Sie entschuldigte sich auch nicht für das «Human Shit», mit dem sie die Westkritiker betitelt hatte. Ihr neustes Statement ist wieder eher auf der Putin-Seite: Man hätte sie gedrängt, etwas gegen ihn zu sagen. Und sie wiederholt: Ich bin Künstlerin, verstehe nichts von Politik. Das ist Quatsch.

Kurz nach Kriegsausbruch sagte die Sopranistin ihre Auftritte im Opernhaus Zürich ab und die Metropolitan Oper in New York kündigte an, die Zusammenarbeit mit Anna Netrebko vorerst auf Eis zu legen.

Das ist so – oder man hatte ihr im gegenseitigen Einverständnis abgesagt. Es gab ja keine rechtliche Grundlage, darum behielt etwa Good News das Konzert im KKL in Luzern auch so lange auf dem Spielplan, verkaufte lange nach Kriegsbeginn Karten für 500 Franken. Aber die grossen Häuser wie die Met werden sie nicht mehr so schnell einstellen. Als sie das merkte, kam ja auch ihre halbherzige Kehrtwendung, infolgedessen ihr wiederum die Oper im sibirischen Nowosibirsk absagte …

Die russische Operndiva ist auf den grossen Bühnen der Welt daheim, gleichzeitig zeigt sie sich loyal gegenüber der Moskauer Machtelite. Was denken Sie, ist mit dem Krieg in der Ukraine die Karriere von Anna Netrebko leicht erschüttert worden oder droht ihr gar das Aus?

Anna Netrebko braucht die grossen Bühnen, um Aufmerksamkeit zu erregen: Die Festspiele in Salzburg, die Met, Paris, Wien, London, Berlin, Mailand. Das bringt Presse, Weltpresse. Das bringt ihr auf Instagram Likes. Dazwischen mal an einem kleinen Ort wie Zürich abkassieren, kann und konnte sie dann immer noch. Wenn sie in Zukunft aber in Napoli, Moskau, Monte Carlo oder Dubai singt, erreicht sie nur mehr eine sehr kleine Gemeinde. Dann verschwindet sie von der Opernlandkarte.

Manch ein*e Kritiker*in schreibt, dass ihr Stern sowieso bereits im Sinken begriffen war. Wie sehen Sie das?

Es geht bergab, ganz klar. Mailand buhte, wie fast immer, zuerst – am 7. Dezember 2021 bei Macbeth. Damals prostete sie noch den Buh-Rufer*innen zu. Als diese Macbeth-Serie aber im Januar zu Ende war, meldete sie sich international für eine Auszeit ab. Danach kam der Krieg. Ihre prächtige Stimme ist schwerer geworden, unbeweglicher. Ihre Technik ist nicht mehr auf der Höhe der «besten Sopranistin der Welt». Das hört man auch auf ihrer letzten CD.

Wie sehen das die Fans von Frau Netrebko?

Fans sind Fans – sie sind treu: Und in der Oper heisst Fansein «lieben». Da bewundert man Stars, wenn deren Töne schon längst nicht mehr stimmen.

Wie nachtragend oder vergesslich sind die Opernfans?

Das Politische ist vielen Fans sowieso egal – sie wollen Stimmen hören. Damals 2014, als Netrebko sich mit der grossrussischen Fahne gezeigt hatte, interessierte das die Opernfans nicht. Das Grüppchen Ukrainer*innen, die vor dem Opernhaus in Zürich demonstrierten und Flyer mit dem Titel «Botschafterin des Hasses» verteilten, nahm kaum jemand zur Kenntnis.

Und wie nachtragend oder vergesslich sind die Musikkritiker*innen?

Viele zeigen in diesen Wochen Haltung, waren sehr kritisch – oder schwiegen. Nur ganz wenige nahmen Partei für Netrebko.

Anna Netrebko will demnächst auf die Bühne zurückkehren. Im Juni soll sie im Rahmen des «Opernfestivals der Arena» in Verona in der «Aida» auftreten. Gute Idee oder nicht?

Mailand war eines der ersten Häuser, das ihr absagte: Es war der Bürgermeister Mailands, der das verlangte. Anna Netrebko war sofort Politikum. Und sie wird es bleiben. Gerade am Montag sagte das Wiener Konzerthaus ein Konzert mit Dirigent Teodor Currentzis ab, da er eine unklare Haltung einnimmt und extrem vom russischen System profitiert. Singt Netrebko bereits im Juni in Verona, wird das einen Riesenwirbel geben.

Aber klar ist auch: Die Arena braucht Presse, braucht Publikum. Abende mit Anna Netrebko brachten in den letzten Jahren Glamour und Opernglanz zurück und auch TV-Übertragungen. Verona ist eine grosse Arena des Volkes. Da wird es spontane Reaktionen geben: Bravo-Rufe und Buh-Rufe. Als ich sie dort das letzte Mal hörte, rief ein Fan mit gewaltiger Stimme nach ihrer grossen Arie: «Dea!» – «Göttin!» Jetzt kann ich mir gut vorstellen, dass es Proteste geben und man «Troia!» rufen wird.


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