Kolumne Ich schlafe in 30 Minuten drei Stunden

Von Michelle de Oliveira

29.8.2021

Nicht ganz wach, nicht ganz weg: Als Yoga Nidra wird der Zustand zwischen Wachsein und Schlaf beschrieben. Er soll eine tiefgreifende Entspannung ermöglichen.
Nicht ganz wach, nicht ganz weg: Als Yoga Nidra wird der Zustand zwischen Wachsein und Schlaf beschrieben. Er soll eine tiefgreifende Entspannung ermöglichen.
Bild: Getty Images/EyeEm

Beim Yoga einfach auf dem Rücken liegen und zuhören? Das bringt doch nichts, dachte die Kolumnistin. Bis sie Yoga Nidra ausprobiert hat und seither entspannter durch das Leben geht.

Von Michelle de Oliveira

29.8.2021

Wer Yoga hört, denkt meist an drahtige Menschen, die die Beine hinter dem Kopf verschränken, sich wie Klappmesser zusammenfalten oder auf dem Kopf stehen. Doch es geht auch anders.

Und zwar mit Yoga Nidra.

Vereinfacht gesagt, liegt man dabei auf dem Rücken und hört zu. Das ist aber nicht so einfach, wie es klingt. Doch es wirkt, wie ich fast widerwillig herausgefunden habe.

Ich war zu ungeduldig

Meine Tage sind voll: mit zwei Kindern, mit Arbeiten, mit Erledigungen – mit Leben eben. Habe ich einmal Zeit für mich, will ich diese möglichst effizient nutzen. Ich lese Erziehungsratgeber oder zumindest einen tiefgründigen Roman, ich gehe joggen, um meinen Kreislauf auf Trab zu halten, ich mache Yoga und meditiere, um weniger ver- und angespannt zu sein, ich schreibe, um hoffentlich eines Tages einen Bestseller zu landen.

Es fält mir schwer, nichts zu tun. Klar, beim Meditieren sitze ich auch still, aber wenigstens sitze ich dort mit aufrechtem Rücken und fokussiere darauf, auf nichts zu fokussieren.

Aber einfach hinlegen und scheinbar nichts tun? Das fällt mir schwer. Mir scheint die kostbare Zeit verschwendet. Obwohl ich natürlich weiss, dass das nicht stimmt.

Yoga Nidra kannte ich schon lange und hatte es auch ein- oder zweimal ausprobiert. Zu überzeugen hat mich die Technik aber nie vermocht, ich war zu ungeduldig, um mich darauf einzulassen.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin und Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Bis vor einigen Monaten.

Ich klagte einer Freundin mein Leid über die noch immer schlaflosen Nächte wegen meiner Tochter und sie sagte: «Mach doch Yoga Nidra. Damit holst du in einer halben Stunde locker zwei, drei Stunden Schlaf rein.»

Eine Reise durch den Körper

Drei Stunden Schlaf in einer halben Stunde? Das klang genau nach dem, was ich brauchte. Also legte ich mich fortan in meiner Mittagspause eine halbe Stunde hin und hörte mir auf meiner App «Insight Timer» Yoga-Nidra-Lektionen an.

Sie verlaufen alle nach einem ähnlichen Schema: Man startet mit einigen tiefen Atemzügen, um zu entspannen. Oft setzt man dann ein Sankalpa, eine Intention. Etwa «Ich bin entspannt», «Ich bin zufrieden und glücklich» oder «Ich bin dankbar». Diese Intention soll sich während der Praxis im Unterbewusstsein festsetzen und sich dann entfalten.

Es folgt eine Reise durch den Körper, bei der man jeden Körperteil vom Kopf bis zum kleinen Zeh bewusst wahrnimmt. Obwohl es bei Yoga Nidra das Ziel ist, zwar tief entspannt, aber wach zu bleiben, schlief ich zu Beginn immer bereits ein, bevor wir auch nur den Oberschenkel erreicht hatten. Viele Praktizierende sagen, die Methode wirke im Unterbewusstsein, auch wenn man schlafe. Ich versuchte dennoch, länger wach zu bleiben.

Der Schlaf des Yogis

Und tatsächlich gelang es mir mit der Zeit, bis zu den Visualisierungen dabeizubleiben. Dabei stellt man sich zum Beispiel vor, man werde ganz schwer und dann ganz leicht. Oder einem sei kalt und dann warm. Man visualisiert unterschiedliche Farben oder Landschaften. Und schliesslich kommt man langsam wieder zurück ins Hier und Jetzt.

Der Begriff Yoga Nidra kommt aus dem Sanskrit und wird als «Schlaf des Yogis» übersetzt. Die Übung soll einerseits den Körper entspannen, aber auch helfen, unterdrückte Emotionen loszulassen und Klarheit zu gewinnen.

Tatsächlich fühle ich mich nach meiner Yoga-Nidra-Session oft noch etwas benommen, aber doch frischer und erholter. Dass die halbe Stunde Yoga mehreren Stunden Schlaf gleichkommt, konnte bisher nicht belegt werden.

Aber gibt es Studien, die zeigen konnten, wie sich das Gehirn während Yoga Nidra verändert: Es entspannt sich. Ausserdem beruhigt sich das vegetative Nervensystem, der Herzschlag verlangsamt sich, Stress wird abgebaut.

Meine Tochter schläft mittlerweile besser, Yoga Nidra praktiziere ich aber weiter. Ich habe endlich gelernt, nichts zu tun. Obwohl, Yoga Nidra ist ja auch wieder nicht nichts. Aber immerhin ein bisschen näher dran.


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In der Rubrik «Die Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «blue News» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion.news@blue.ch.

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