Kolumne Spuren im Kopf – wie Meditieren das Gehirn verändert

Von Michelle de Oliveira

15.2.2021

Der Kolumnistin gelingt das Meditieren am besten, wenn sie es täglich praktiziert, wenn auch nur zehn Minuten. (Symbolbild)
Der Kolumnistin gelingt das Meditieren am besten, wenn sie es täglich praktiziert, wenn auch nur zehn Minuten. (Symbolbild)
Bild: Getty Images/Westend61

Meditation wirkt nicht besonders aufregend. Dabei gibt es nichts, was ihr im täglichen Leben besser tut, findet die Kolumnistin. Und auch die Wissenschaft zeigt: Dank Meditation verändert sich unser Gehirn.

Könnte ich nur eine einzige Sache wählen, es wäre nicht mein geliebtes Yoga, es wäre nicht Lesen, nicht Wandern, nicht Fernsehen, nicht Schokolade. Meditation würde meine Entscheidung lauten. Nicht weil sie so spannend ist, sondern weil sie mein Leben grundlegend verändert. Immer und immer wieder.

Etwas möchte ich gleich klarstellen und werde ganz unmeditativ vehement: Meditation hat nichts mit Spiritualität zu tun! Oder muss sie zumindest nicht. Es ist wissenschaftlich bewiesen, wie positiv es sich auf unser gesamtes Wohlbefinden auswirkt, wenn wir unsere Sinne regelmässig nach innen lenken.

Wer während der Einkehr mit gekreuzten Beinen auf dem Boden sitzt, gerne eine Kerze oder ein Räucherstäbchen anzündet, einen Bergkristall in der Hand hält oder die Augen halb geöffnet auf einer Buddhastatue ruhen lässt, kann das tun.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin und Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Genau so kann man sich aber auch im kahlen Büro auf dem Bürostuhl setzen und dort meditieren. Oder im Auto (auf dem Parkplatz, wohlverstanden) oder in der Badewanne, auf dem Klo, im Bett, im Zug. Wo man eben einen Moment der Ruhe findet.

Meditation ist Übungssache

Primär geht es darum, das Gedankenkarussell für einen Moment zu bremsen. Das heisst, nicht jedem Gedanken, der aufploppt, sofort zu folgen wie ein Hund der Wurst. Vielmehr zu denken: Das ist mir jetzt gerade wurst, und sich wieder auf den Atem zu konzentrieren. Weil der Atem ohne unser Zutun immer da ist, kann er wunderbar als Meditationsleitplanke dienen.

Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen.

Zwischendurch drängen sich die Gedanken wieder auf, sie sind verlockend und wir steigen erneut aufs Karussell. Das macht aber nichts: Sobald man sich dessen bewusst wird, einfach wieder aussteigen und zurück zum Atem kommen.

Das ist simpel, aber weit entfernt von einfach. Meditation ist Übungssache. Mir gelingt das Fokussieren am besten, wenn ich täglich praktiziere, wenn auch nur zehn Minuten. Mit regelmässiger Übung schaffe ich es, mehrere Atemzüge lang bei der Sache zu bleiben, manchmal Minuten. Dabei stellt sich ein Gefühl der Ruhe ein.

Aber eben nicht nur das. Es ist erwiesen, dass sich durch regelmässige Meditation das Gehirn verändert. Die graue Substanz im Hippocampus wird durch Dauerstress geschädigt. Mit Mediation kann dieser Vorgang aber gestoppt, ja sogar rückgängig gemacht werden und die Substanz verdichtet sich wieder.

Dadurch können wir mit Emotionen besser und vor allem gelassener umgehen und werden zum Beispiel mitfühlender. Ausserdem schrumpft dank Meditation der Mandelkern, die sogenannte Amygdala, die uns unterem anderem Angst spüren lässt.

Jetzt stellen Sie sich das mal vor: Durch regelmässiges Innehalten können Sie Ihr Gehirn physisch renovieren! Das beeindruckt Sie noch nicht? Et voilà: Wer regelmässig meditiert, stärkt sein Immunsystem, reguliert den Blutdruck und kann den Cholesterin-Spiegel normalisieren und Schmerzen lindern. Ausserdem: Meditation ist gratis, braucht keine Ausstattung und lässt sich jederzeit und überall praktizieren.

Liebevoller und geduldiger

Mir hilft Meditation vor allem dabei, im Moment zu bleiben, mir nicht unnötig Sorgen über Vergangenes oder möglicherweise Eintretendes zu machen. Und in sehr stressigen Momenten gelingt es mir immer häufiger, mich für einen kurzen Moment auf meine Atmung zu konzentrieren und danach bewusster zu reagieren: auf meine schreienden Kinder, auf überfordernde Momente im Job, auf die verbrannte Pizza im Ofen. Ich bin liebevoller und geduldiger, vor allem mit mir selbst.

Ich übe meist mit der App «Insight Timer». Dort gibt es geführte Meditationen zu allen möglichen Themen, etwa Schlaf, Stress, Selbstwert und so weiter. Die App verfügt auch über eine Timerfunktion. Diese nutze ich am meisten.

Wenn ich wenig Zeit habe, besteht meine Meditationspraxis oft einfach darin, dass ich den Timer auf sieben Minuten stelle, meinen Kaffee auf dem Balkon trinke und übe, ganz in diesem Moment zu sein. Habe ich mehr Zeit zur Verfügung, sitze ich gerne in meiner Meditationsecke, mal 15 Minuten, mal eine Stunde. Und wenn ich richtig viel Zeit habe, ziehe ich mich für mehrere Tage in ein Schweige-Meditations-Retreat zurück.

Aber so weit muss man nicht gehen beziehungsweise so lange muss man nicht still sitzen. Wichtig ist, einen Rhythmus, einen Stil, einen Ablauf zu finden, der für einen ganz persönlich passt. Nur so kann sich eine Meditationsroutine einstellen.

Übrigens gibt es auf Netflix die tolle Serie «Headspace» zum Thema «Meditation». Jede der acht Episoden dauert gut 20 Minuten und widmet sich einem Thema, etwa dem Umgang mit Stress, Wut oder Schmerz, und stellt verschiedene Meditationstechniken vor. Am Ende jeder Episode kann man gleich bei einer geführten Kurzmeditation mitmachen.

Wieso also nicht vor dem nächsten Netflix-Marathon eine kurze Meditationspause einlegen?

«Die Kolumne»: Ihre Meinung ist gefragt

In der Rubrik «Die Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «blue News» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion.news@blue.ch.


Zurück zur Startseite