Kolumne am Mittag Wo Greta ist, ist Streit

Von Tobias Bühlmann

16.12.2019

Greta Thunberg fährt mit dem Zug durch Deutschland – am Boden sitzend, weil der Zug übervoll ist. «Typisch», schreien die einen – «Gar nicht wahr!» entgegnet die Deutsche Bahn. Und stolpert gradewegs ins Fettnäpfchen.

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat Sprengpotenzial – äussert sich die 16-Jährige, gehen die Emotionen schnell hoch. Oft entfaltet ein Tweet von ihr die Wirkung eines Funken, der in ein Pulverfass schlägt.

So auch dieses Wochenende: Auf ihrer Heimreise von der Klimakonferenz in Madrid durchquert sie Deutschland – per Zug, wie sie bevorzugt unterwegs ist. Und ebenfalls wie üblich lässt sie die Welt per Twitter wissen, was sie gerade treibt.

In vollen Zügen …

Bei ihrer Zugfahrt durch Deutschland war das: am Boden sitzen, weil der Zug übervoll war und mit der Reservierung etwas nicht geklappt hat. Auch das ist ganz alltäglich, weiss man als regelmässiger Benutzer der Deutschen Bahn leider nur zu gut.

Das Foto von Greta, wie sie neben einem Berg Gepäck am Boden sitzt, verbreitete sich rasend schnell auf Social Media und in den klassischen Medien. Der Tenor: Die Deutsche Bahn hat’s wieder einmal vermasselt. Wegen solcher Ereignisse macht in Deutschland bereits der neu geschaffene Begriff «Bahnscham» die Runde.

Die Bahn reagierte erst demütig, wünschte Greta eine gute Fahrt und betonte auf Twitter, dass man an dem Problem dran sei. Doch fünf Stunden später war der Ton plötzlich ein anderer – man kennt das Muster von Donald Trump, einem anderen prominenten Twitterer. Ein paar Stunden Grübeln, und plötzlich macht irgendwas klick.

Bei der Deutschen Bahn fühle man sich auf einmal zu Unrecht vom schwedischen Gör bezichtigt, kann man zwischen den Twitter-Zeilen herauslesen: Man freue sich, dass Greta mit 100 Prozent Ökostrom durch die Republik düse. Doch «noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist. #Greta 2/2»

Undankbar?

Greta Thunberg lässt sich also von der Bahn bedienen, um sich umzudrehen und sie bei ihrem Publikum schlecht zu machen? Nicht ganz, wie sich herausstellte: Zwar sassen die Klima-Aktivistin und ihre Begleiter für die letzte Etappe ihrer Deutschland-Fahrt tatsächlich auf ihren reservierten Plätzen. Doch der erste Zug, der sie ab Basel gen Norden bringen sollte, ist ausgefallen – und damit waren auch die Platzreservierungen futsch. Was für Greta kein Problem war, sie freute sich später auf Twitter gar, dass so viele Leute den Zug benutzen.

Die Ereignisse vom Sonntag zeigen einmal mehr, wie dringend Thunberg gebraucht wird: Für die einen als Gallionsfigur, die den Finger auf wunde Punkte legt. Und für die anderen als Blitzableiter: Anstatt sich um die drängenden Probleme (Klimawandel oder die mangelnde Zuverlässigkeit der DB) zu kümmern, kritteln sie lieber an der schwedischen Teenagerin herum. Ohne zu merken, dass die wohlfeile Kritik oft mehr über die Absender aussagt, als dass sie zur Klärung von Problemen beiträgt.

Regelmässig gibt es werktags um 11.30 Uhr bei «Bluewin» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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