Wer moralisiert? Missgunst, Hass und Häme – der etwas andere «Greta-Effekt»

Von Philipp Dahm

14.8.2019

Wenn Greta Thunberg heute der Umwelt zuliebe mit dem Segelboot nach  New York ablegt, werden auch Menschen auf ihr Versagen hoffen. Schuld daran ist der «andere Greta-Effekt».

Im Kontext Luftfahrt wird derzeit viel über den «Greta-Effekt» geredet: Gemeint sind Flugzeugpassagiere, die aus Umweltgründen auf die Bahn oder andere Verkehrsmittel umsteigen.

Es gibt aber auch noch diesen «anderen Greta-Effekt», den die Aktivistin Thunberg auslöst: Die junge Schwedin fährt ja nun klimaneutral mit dem Segelboot in die USA, und deshalb hat sie sich die Frage anhören müssen, ob sie auf hoher See im Notfall auch den Diesel anwerfen würde (wo dieser doch so schädliche Gase ausstosse). Um die Antwort gleich mitzuliefern: Ja, würde sie.

Für ihre Kritiker wäre das womöglich ein grosser Moment: Ach nee, auch das kleine Frollein Weltrettung greift also auf den dreckigen Diesel zurück. Die Vorreiterrolle in Sachen Umweltschutz, die die 16-Jährige seit geraumer Zeit übernommen hat, scheint einigen so sehr aufzustossen, dass sie wegen ihres politisch korrekten Segeltörns quasi den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

Thunberg will zusammen mit Vater Svante und Filmemacher Nathan Grossman an Bord der «Malizia II» ab heute Nachmittag von Plymouth in Südengland aus nach New York segeln. Gesteuert wird der Kahn von Pierre Casiraghi, Sohn von Prinzessin Caroline von Monaco, und dem deutschen Segler Boris Herrmann. Forsch fragte der «Spiegel» Greta, ob sie die Skipper zum Abbruch der Überfahrt auffordern würde, geriete das Schiff in Not? Immerhin sei sie ja «als kompromisslos» bekannt ...

Darf man das???

Da ist er also wieder, der «andere Greta-Effekt». Der Chronistenpflicht halber sei die Replik noch erwähnt: «Wenn etwas schiefgeht und die Umstände verlangen, dass wir umdrehen, dann werden wir umdrehen», antwortet Greta. Und mit Blick auf den versiegelten Dieselmotor: «Wenn es eine grosse Gefahr gibt, dann werden wir ihn benutzen müssen.»

Was erwarten eigentlich jene, die eine solche Frage stellen? Dass Thunberg die Faust in die Höhe reckt und pathetisch ruft: «Unsere Erde hat auch bald keinen Antrieb mehr,  zu überleben», dass Greta dann mit doppeltem Rittberger ins Meer springt und während letzter Atemzüge auf dem Weg in den Protesttod noch Kleinplastik aus den Wogen fischt? Wäre sie erst dann in den Augen ihrer Kritiker berechtigt gewesen, sich zum Klima geäussert zu haben?

Heute wissen wir: Ja, Greta Thunberg ist eine Umweltaktivistin, und ja, sie würde trotzdem ihren gesunden Menschenverstand benutzen und sich aus einer Seenot retten lassen – auch wenn es ein Tanker sein sollte, der sie aus dem Nass fischte.

Von Verzweifelt über abenteuerlich bis belehrend

Diejenigen, die sich vom Initiativgeist Thunbergs angegriffen fühlen, haben 14 Tage Zeit, der «Malizia II» Mast- und Schottbruch zu wünschen – dann wird sie die USA erreichen. Gehasst wird Thunberg ja infolge ihrer Medienpräsenz längst von nicht wenigen.

Einer, der an ihr zweifelt, ist der Redaktionsleiter bei der «Sonntagszeitung». In «Gretas Grenzen» kommentiert er den Klima-Jugendgipfel von Lausanne, der ohne Berechtigung gewesen sei: «Weltweite Schlagzeilen machte das Treffen mit Chaos, Streit und Tränen statt mit wegweisenden neuen Ideen.» Hat da jemand zu viel erwartet von jenem Schülerprojekt?

Thunbergs finale Pressekonferenz vor der Abreise gen New York, die für den heutigen Mittwoch gegen 17 Uhr geplant ist.
Thunbergs finale Pressekonferenz vor der Abreise gen New York, die für den heutigen Mittwoch gegen 17 Uhr geplant ist.
Bild: Keystone

Und warum setzt man bei Greta eine derart haushohe Messlatte an, nur weil sie die Ressorurcenverschwendung unserer Zeit beim Namen nennt? Thunberg beschwöre «nichts weniger als die drohende weltweite Apokalypse» herauf, so der Kommentator weiter. Ihre Bewegung bestehe bloss aus «verzweifelten Apokalyptikern», die ständig «belehrenden Botschaften» unters Volk brächten und «abenteuerliche Forderungen» stellten.

Warum so päpstlich?

Der Egoismus, den sie anprangern? Ist laut «Sonntagszeitung» «naturgegeben». Der Klimawandel und die einhergehenden «Naturereignisse»? «Willkürlich». Die Klimadebatte an sich? «Ständig moralisiert». Der in dem Zusammenhang obligatorische Zeigefinger – «erhoben».

Warum so päpstlich? Man darf sich ja auch über Littering beschweren, obwohl man eine Kippe auf den Boden hat fallen lassen. Ein Umweltschützer, der gern Sportwagen fährt, darf trotz Kampfs gegen den Klimawandel einen Flitzer als Zweitwagen in die Garage stellen, obwohl der nicht drei, sondern 13 Liter auf 100 Kilometer verbraucht. Und um nun auf Thunberg zurückzukommen: Sollte sie sich doch per Helikopter aus dem Atlantik retten lassen müssen, wird doch hoffentlich niemand auf die Idee kommen, ihr das vergeudete Flugbenzin zur Last zu legen.

Man muss Greta Thunberg nicht mögen – aber dann kann man sie auch einfach nicht beachten. «Leave Greta Thunberg alone!» Sie ist nun mal die falsche Zielscheibe: Auch wenn einen das Klima nervt – «don't shoot the messenger!»

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