Journalistin und zweifache Mutter Der Mut von Marina Owsjannikowa bewegt die Welt

tafi

15.3.2022

Ihr Protest im russischen Fernsehen findet weltweit riesigen Widerhall: Für sechs Sekunden Mut drohen Marina Owsjannikowa nun bis zu 15 Jahre Haft. Die zweifache Mutter schämt sich auch für ihre eigene Rolle.

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15.3.2022

Der Kreml lässt so etwas nicht auf sich sitzen: «Was dieses Mädchen angeht, das ist Rowdytum», sagte der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge – und bezog sich auf einen Vorfall vom Vorabend.

Eine Redakteurin des staatlichen Fernsehsenders Erster Kanal hatte die Hauptnachrichtensendung gekapert und konnte sechs Sekunden lang ein Protestplakat gegen Putins Krieg in der Ukraine in die Kamera halten.

Marina Owsjannikowa heisst die Frau.

Lügen machen Russen zu Zombies

Sechs Sekunden war ihr mutiger Auftritt zu sehen. Sechs Sekunden, die aus Scham und Verzweiflung geboren sind, wie die 44-jährige Owsjannikowa in einer kurz vor ihrer Protestaktion aufgezeichneten Videobotschaft sagt. «Leider habe ich in den vergangenen Jahren für den Ersten Kanal gearbeitet und Propaganda für den Kreml gemacht. Dafür schäme ich mich heute sehr. Ich schäme mich dafür, dass ich zuliess, dass vom TV-Bildschirm gelogen wurde. Ich schäme mich dafür, dass ich zuliess, dass Russen in Zombies verwandelt wurden.»

Was der Kreml als «Rowdytum» bezeichnet, ist für andere Menschen das, «was Mut wirklich bedeutet», wie der in Russland geborene deutsche Pianist Igor Levit in einem Tweet knapp bemerkte.

Der Sender selbst sprach in einer von der Nachrichtenagentur Tass veröffentlichten Erklärung von einem «Vorfall mit einer fremden Frau während der Aufnahme». Es werde eine interne Untersuchung geben. Owsjannikowa könnte laut Tass wegen «Diskreditierung des Einsatzes der russischen Streitkräfte» strafrechtlich verfolgt werden.

Die Strafe könnte drakonisch werden

Die Oppositionsbewegung hatte zwar schnell angekündigt, sie sei «bereit, jede Geldstrafe zu zahlen», die gegen Owsjannikowa verhängt wird. In Wirklichkeit dürfte es für die Journalistin wesentlich schlimmer kommen. Anfang März hatte das russische Parlament ein verschärftes Mediengesetz verabschiedet: Owsjannikowa drohen nun bis zu 15 Jahre Haft, weil sie Putins Angriffskrieg klar als solchen benennt.

Scham, Verzweiflung, Wut – aber es gehört auch eine Menge Wut dazu, wenn eine zweifache Mutter in Kauf nimmt, jahrelang von ihren Kindern getrennt zu sein. Marina Owsjannikowa wurde 1978 in Odessa geboren, ihr Vater ist Ukrainer und ihre Mutter Russin, wie sie in ihrer Videobotschaft sagt. Sie ertrage es nicht, die beiden Länder verfeindet zu sehen.

«Sie können nicht alle einsperren»

«Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen», sagt Owsjannikowa deutlich. «Verantwortlich für die Aggression ist Wladimir Putin.» Ihre Landsleute fordert sie auf, gegen den Krieg zu protestieren.

«Wir haben 2014 geschwiegen, als das alles erst begann», sagte sie weiter und bezieht sich damit offenbar auf die Annexion der Krim durch Moskau und die Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ukraine. «Wir sind nicht zu Protesten gegangen, als der Kreml Nawalny vergiftete. Wir haben dieses menschenfeindliche Regime einfach schweigend beobachtet.» Jetzt habe sich die ganze Welt abgewandt.

Diesen ganzen Wahnsinn zu beenden, das «liegt an uns», fordert Marina Owsjannikowa. «Die Behörden können nicht alle einsperren.»

Nach mehreren Stunden ohne Lebenszeichen hat der Anwalt von Owsjannikowa ein Foto der beiden auf Telegram veröffentlicht.

Marina Owsjannikowa hat vor ihrem Antikriegs-Protest im russischen Staatsfernsehen in einer Videobotschaft ihre Beweggründe erläutert.
Marina Owsjannikowa hat vor ihrem Antikriegs-Protest im russischen Staatsfernsehen in einer Videobotschaft ihre Beweggründe erläutert.
Screenshot

Mit Material der Nachrichtenagenturen Keystone-SDA, dpa und AFP.