Krieg gegen die SchwächstenDas Sterben der Kinder von Gaza
Mohamed Jahjouh, Jack Jeffery und Lee Keath, AP
9.3.2024 - 10:12
Hunger und Not im Gazastreifen schwächen vor allem die Alten und die Jüngsten. Krankenhäuser in dem Kriegsgebiet melden Todesfälle aufgrund von Unterernährung und Mangel.
DPA, Mohamed Jahjouh, Jack Jeffery und Lee Keath, AP
09.03.2024, 10:12
Mohamed Jahjouh, Jack Jeffery und Lee Keath, AP
Krieg, Not und Hunger: Seit Monaten warnen Helfer vor den verheerenden Folgen des Mangels im Gazastreifen, jetzt fordern Unterernährung und Dehydrierung ihren Tribut.
Aus Krankenhäusern werden zunehmend Fälle gemeldet, in denen vor allem kleine Patienten die Kraft verlässt. «Die Todesfälle von Kindern, die wir befürchtet haben, sind jetzt da», beklagte in dieser Woche Adele Khodr, die Nahost-Verantwortliche des UN-Kinderhilfswerks Unicef.
Am schlimmsten ist es im Norden des Gazastreifens, der von den israelischen Streitkräften abgeriegelt wurde und von Lebensmittel-Lieferungen weitgehend abgeschnitten ist. Das von der militant-islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium spricht von mindestens 20 Menschen, die in den Kliniken Kamal Aduan und Schifa wegen Unterernährung und Dehydrierung ihr Leben liessen.
Die meisten von ihnen waren Kinder. Auch im Süden trifft es besonders schwache und gefährdete Kinder. Im Emirati-Krankenhaus in Rafah starben in den vergangenen fünf Wochen 16 Frühgeborene an den Folgen von Unterernährung, wie einer der leitenden Ärzte der Nachrichtenagentur AP berichtet.
«Wir sehnen uns so sehr nach einem Stück Brot»
Kinder und alte Menschen schwächt Unterernährung am meisten, teilweise bis hin zum Tod. Durchfallerkrankungen, die sich im Gazastreifen aufgrund des Mangels an sauberem Wasser und sanitärer Einrichtungen ausbreiten, tun ihr übriges: Viele Menschen könnten so die aufgenommenen Kalorien nicht behalten, erklärt Unicef-Expertin Anuradha Narayan.
Umgekehrt beeinträchtige Unterernährung das Immunsystem und könne so zum Tod durch andere Krankheiten führen.
Im Norden des Gazastreifens – mit immensen Zerstörungen aufgrund der Offensive, die Israel als Reaktion auf den Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober startete – ist die Lage für die Menschen verzweifelt. Gemüse, Obst, Milch und Fleisch seien fast unmöglich zu finden, berichten Bewohner. Was es noch gibt, wie etwa Nüsse, wird zu Wucherpreisen angeboten.
Viele ernähren sich von einer wild wachsenden Malvenpflanze. Das sei ihre Hauptmahlzeit, sagt Fatima Schahin, die mit ihren beiden Söhnen und deren Kindern im Norden des Küstenstreifens lebt. «Wir sehnen uns so sehr nach einem Stück Brot», sagt die 70-Jährige.
300 bis 400 Kinder kommen täglich ins Aduan-Krankenhaus
Auch seine 18 Monate alte Tochter Mira esse hauptsächlich gekochtes Unkraut, sagt Kamar Ahmed. «Es gibt nicht zu essen, was für ihr Alter wirklich geeignet wäre», beklagt der Journalist und Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation Euro-Med Human Rights Monitor.
Sein 70 Jahre alter Vater gebe das eigene Essen den Enkeln weiter. «Wir versuchen, ihn zum Essen zu bringen, aber er weigert sich», sagt Ahmed.
Im Kamal Aduan-Krankenhaus berichtet der stellvertretende Klinikleiter Hussam Abu Safija von rund 300 bis 400 kleinen Patientinnen und Patienten pro Tag. 75 Prozent von ihnen litten an Unter- und Mangelernährung.
Im Süden des Gazastreifens, wo noch eher Hilfslieferungen ankommen, verlor in dieser Woche der zehnjährige Jasan al-Kafarna den Kampf gegen den Tod. Fotos aus Rafah zeigen den Jungen extrem ausgezehrt, mit abgemagerten Armen und Beinen und tiefliegenden Augen in einem zusammengefallenen Gesicht.
Frühgeburten bei unterernährten Müttern
Jasan, der mit einer neurologischen Erkrankung geboren wurde, hatte seit jeher Schwierigkeiten beim Essen und Schlucken. Seit der Flucht vor der israelischen Offensive im Norden des Gazastreifens hätten sie kaum noch Nahrung gefunden, die der Junge essen konnte, sagen die Eltern.
Im nahe gelegenen Emirati-Spital macht der stellvertretende Leiter der Säuglingsstation, Ahmed al-Schair, den Tod einer Reihe von Frühgeborenen auch an der Not der Mütter fest: Deren Unterernährung und extremer Stress seien Faktoren, die zu viel zu frühen Geburten viel zu leichter Kinder beitrügen. Aus Ärztekreisen wird ein Anstieg der Fälle seit Kriegsbeginn vermeldet.
Derzeit liegen auf den Stationen des Krankenhauses mehr als 40 Säuglinge, die teils gerade einmal zwei Kilo wiegen und lebenserhaltende Massnahmen brauchen. Jeden Inkubator müssen sich mindestens drei Babys teilen, was das Risiko von Infektionen nach oben treibt. «Wir behandeln sie jetzt», sagt al-Schair. «Aber Gott weiss, was die Zukunft bringen wird.»
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