Lagebild Ukraine «Eine Vision der Hölle» im Donbass

Von Philipp Dahm

8.12.2022

Putin: Krieg gegen die Ukraine kann «langer Prozess» werden

Putin: Krieg gegen die Ukraine kann «langer Prozess» werden

Rund neuneinhalb Monate nach dem Einmarsch in die Ukraine schliesst der russische Präsident Wladimir Putin einen langen Krieg gegen das Nachbarland nicht aus. «Natürlich, es kann ein langer Prozess werden», sagte Putin am Mittwoch bei einem Treffen mit Vertretern eines von ihm selbst eingesetzten Menschenrechtsrats.

08.12.2022

Während die ukrainische Armee Kreminna den Nachschub abschneidet, machen russische Truppen weiter Druck auf Bachmut, das 45 Kilometer südlich liegt. Die Kämpfe seien «absolut wild», so ein Experte.

Von Philipp Dahm

8.12.2022

Dass es für Russland in der Ukraine nicht gut läuft, erkennt man daran, dass Wladimir Putin mal wieder über Atomwaffen reden muss. «Wir haben sie, und sie sind fortschrittlicher und moderner als das, was jede andere Atommacht hat», sagt der Präsident – notabene in einem Gespräch mit dem von ihm gegründeten und besetzten Menschenrechtsrat.

Gleichzeitig gibt sich Putin rational, als er auf den Vorwurf angesprochen wird, er betreibe «nukleares Säbelrasseln»: «Wir sind nicht verrückt geworden», zitiert ihn die Nachrichtenagentur AP. «Wir wissen sehr wohl, was Atomwaffen sind.» Bemerkenswert ist seine Aussage, die «spezielle Operation» in der Ukraine sei ein «langwieriger Prozess».

Damit will der 70-Jährige die Bevölkerung auf einen ausgedehnten Krieg einschwören, glaubt das Washingtoner Institute for the Study of War (ISW). Seine Armee könnte eine Waffenpause brauchen, um den schwer beanspruchten Truppen eine Pause zu gönnen, sich neu zu formieren und die Verteidigungslinien auszubauen.

Das wäre auch angesichts des nahenden Winters wichtig, wenn der Nachschub zu einer noch kritischeren Komponente wird. Die Ukraine dagegen will ihr Momentum nutzen und weiter vorrücken. Ihre Armee ist besser ausgerüstet. Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg meint, eine Pause würde jetzt nur dem Kreml helfen.

Ukraine macht Druck auf Kreminna

Die ukrainischen Streitkräfte konzentrieren ihren Effort auf die Stadt Kreminna im Westen von Luhansk. Im Norden der Stadt stören sie mit Infanterie-Vorstössen und Luftangriffen die Versorgung über die regionale P-66-Autobahn, die Kreminna über Swatowe und Trojizke mit Russland verbindet.

Gleichzeitig greifen Drohnen und Artillerie Kommandoposten und gegnerische Artillerie im östlichen Hinterland von Kreminna an. Im Süden dringen Aufklärungseinheiten vor, berichtet der frühere Navy Seal und Autor Chuck Pfarrer. Russische Gegenoffensiven seien zurückgeschlagen worden, meldet das ukrainische Militär.

Russland will Bachmut

In Donezk ist um Bachmut herum Russland auf dem Vormarsch. Dabei wird gegen die stark befestigte Stadt selbst vorgegangen. Zugleich versuchen russische Truppen, die Stadt im Süden via Spirne und Soledar und im Norden via Kurdjumiwka und Majorsk zu umgehen, um den Verteidigern in den Rücken fallen zu können.

Die militärische Situation bei Bachmut.
Die militärische Situation bei Bachmut.
Karte Militaryland.net

Die Lage sieht in Awdijiwka weiter südlich an der Front ähnlich aus – wenn auch weniger intensiv. Im Süden rücken russische Truppen auf Krasnohorivka vor, während sie sich im Norden an der Autobahn M-30 entlang kämpfen und das Dorf Nevelske bedrohen.

In der Mitte liegt Awdijiwka Nevelske ist rot markiert und Krasnohorivka ist oben in der Mitte des Bildes zu sehen.
In der Mitte liegt Awdijiwka Nevelske ist rot markiert und Krasnohorivka ist oben in der Mitte des Bildes zu sehen.
Bild: Google Earth

Einordnung der jüngsten Bewegungen

Auch Militär-Experte Michael Clarke sieht etwas Bewegung in die Fronten im Donbass kommen. Die Russen «können vielleicht Erfolge feiern», sagt der Professor des Londoner King's College «Sky News». «Wenn ich sage ‹die Russen›, meine ich die Gruppe Wagner, die Söldner, die versessen darauf sind, Bachmut zu erobern, obwohl es keinen grossen strategischen Wert hat.»

Im Süden seien sie nur noch rund fünf Kilometer von Bachmut entfernt, doch dazwischen liegt laut Clarke offenes Gelände. «Die Kämpfe dort sind absolut wild», fährt der Militär-Experte fort. Die Gruppe Wagner versuche, bei Nacht vorzurücken, doch das Schlachtfeld sei «eine Vision der Hölle».

Die Russen könnten die Vororte der Stadt zwar möglicherweise erreichen. «Aber mein Gott: Sie zahlen einen Preis dafür.» Selbst eine Eroberung von Bachmut würde nichts nützen, wenn Kreminna im Norden verloren ginge. Hier gehe es um die «Essenz» der Donbass-Schlacht, denn wenn Kreminna falle, könnte die Ukraine tief Richtung Osten vorrücken und die russische Front abschneiden.

Waffen-Update

Fangen wir mit Russland an: Der Kreml will laut dem US-Geheimdienst im Iran weitere Drohnen, aber auch Raketen kaufen, meldet die Nachrichtenagentur AP. Auch Nordkorea verkauft Moskau demnach Munition, die angesichts der Artillerieduelle im Donbass knapp wird.

Das gilt zwar auch für die Ukraine, die jedoch den militärisch-industriellen Komplex des Westens hinter sich weiss. Die USA wollen ihre Produktion von Munition und Material massiv hochfahren, wie die Haushaltspläne fürs kommende Jahr signalisieren. Sogar international verbotenen Cluster-Bomben hat Kiew beim Pentagon angefragt, berichtet CNN.

Die Ukraine soll hochmoderne RCH 155 erhalten. Es ist auch bei der Schweizer Armee im Gespräch.
Die Ukraine soll hochmoderne RCH 155 erhalten. Es ist auch bei der Schweizer Armee im Gespräch.
Bild: Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG

Doch auch Europa legt sich ins Zeug: Deutschland hat 20 weitere «Allschutz-Transport-Fahrzeuge» vom Typ Dingo geliefert, womit nun 50 Exemplare in der Ukraine stationiert sind. Zudem will Berlin Kiew 18 Artilleriesysteme vom Typ RCH 155 übergeben. RCH steht für Remote Controlled Howitzer: Die hochmodernen Geschütze können ferngesteuert werden und sogar in Bewegung feuern.

USA unterstützen Leopard-Export

Bewegung kommt auch in die Diskussion um einen Export deutscher Panzer in die Ukraine: Laut «Frankfurter Allgemeine Zeitung» sind die USA für die Lieferung des Leopard 2 an Kiew. Demnach hat Washington «bereits vor längerer Zeit» signalisiert, es unterstütze diese Waffenhilfe.

Kurzfristig könnten 80 Panzer geliefert werden, die im Arsenal stünden. Die Wartung könnte Polen übernehmen, das ebenfalls mit dem Leopard 2 arbeitet. In der Frage von Langstrecken-Raketen setzt die Ukraine dagegen auf Selbsthilfe, wie die Angriffe aus Militärbasen tief in russischem Gebiet gezeigt haben.

Eine Tu-141 im Zentralen Museum der Luftstreitkräfte der Russischen Föderation.
Eine Tu-141 im Zentralen Museum der Luftstreitkräfte der Russischen Föderation.
Commons/Bernhard Gröhl

Kiew hat dazu alte sowjetische Aufklärungsdrohnen vom Typ Tu-141 Strisch mit 75-Kilogramm-Sprengköpfen bestückt und als Kamikaze-Flieger benutzt. «Das Schlüsselelement war die Überraschung», zitiert «Politico» eine Regierungsquelle. «Jetzt werden sie vorbereitet sein.»