Erstmals seit einem Jahr ist der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) für Gespräche nach Teheran gereist. Im Iran verhandelte Rafael Grossi mit Regierungsvertretern genauere Inspektionen der Nuklear-Anlagen. Worum geht es?
Keystone-SDA
05.03.2023, 15:18
SDA
Wann hat das iranische Atomprogramm angefangen?
Irans Atomforschung reicht zurück bis in die Fünfzigerjahre unter der damaligen Monarchie. 1970 ratifizierte das Land den Atomwaffensperrvertrag und verpflichtete sich zur rein zivilen Nutzung von Kernenergie. Fünf Jahre später begann die Konstruktion des ersten und bis heute einzigen Atomkraftwerks in der Hafenstadt Buschehr, das auch mit Hilfe deutscher Firmen gebaut wurde.
Nach der Islamischen Revolution von 1979 und dem Bruch mit dem Westen beschränkte die politische und klerikale Führung in Teheran den Zugang internationaler Kontrolleure immer weiter. Zu Beginn des neuen Jahrtausends gab es den ersten grossen Streit über neue Nuklearanlagen – die IAEA war besorgt. 2011 kam die Atomenergiebehörde zum Schluss, dass der Iran bis etwa 2003 geheime Atomwaffenforschung betrieben hatte. Gebaut wurden die Waffen aber nicht.
Was war das Atom-Abkommen und wie steht es um seine Zukunft?
Der Iran verpflichtete sich 2015 in Wien, sein Atomprogramm einzuschränken. Im Gegenzug wurden UN-Sanktionen aufgehoben, die unter anderem den iranischen Energie- und Bankensektor betrafen. Der Pakt sollte verhindern, dass das Land Atomwaffen entwickelt. Nachdem die USA 2018 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump aus dem Abkommen ausgestiegen waren, machte Teheran die Beschränkungen rückgängig. Seit Mai 2022 kommen die Verhandlungen nicht mehr signifikant voran.
Das unter dem damaligen Präsidenten Hassan Ruhani geschlossene Abkommen hatte grosse Hoffnungen geweckt. Viele Iraner feierten den Deal, die Wirtschaft erlebte einen Aufschwung. Heute stehen die Verhandlungen zur Wiederbelebung des Pakts in der Kritik – auch angesichts der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem im Iran. Aktivisten und andere Kritiker fordern, die Verhandlungen mit der Islamischen Republik einzustellen.
Was darf der Iran, was darf er nicht?
Laut Wiener Abkommen darf für friedliche Zwecke eine eingeschränkte Menge Uran mit einem niedrigen Reinheitsgrad unter 4 Prozent produziert werden, etwa als Reaktor-Brennstoff. Dafür darf jedoch nur eine Anreicherungsanlage in der Atomanlage Natans mit einer begrenzten Zahl von Zentrifugen betrieben werden. Zusätzlich erlaubte der Iran in dem Abkommen engmaschige IAEA-Kontrollen. Seit 2019 hat der Iran die Auflagen jedoch schrittweise verletzt und unter anderem in einer unterirdischen Anlage in Fordo 60-prozentiges Uran hergestellt – als Schwelle für einen waffenfähigen Reinheitsgrad werden etwa 90 Prozent angesetzt.
Zudem wurde ein Teil der IAEA-Überwachungsgeräte abgebaut. Nun sollen diese in Kürze wieder in Betrieb gehen, kündigte Grossi nach seiner Rückkehr von Teheran nach Wien an. Der IAEA-Chef beschrieb die neue Vereinbarung in einer Pressekonferenz als ein «Abbinden, um das Ausbluten des Informationsflusses zu stoppen.» Teheran erlaube auch häufigere Besuche von Inspektoren in Fordo, sagte Grossi. Details zu dem verbesserten Inspektionsmodus müssten jedoch noch von den beiden Seiten geklärt werden, hiess es in der gemeinsamen Erklärung.
Wie nah ist der Iran am Bau einer Atombombe?
Laut IAEA-Chef Grossi verfügt der Iran über ausreichend Uran für mehrere Atomwaffen, falls derzeitige Bestände noch weiter angereichert würden. Da Anreicherung entlang einer exponentiell aufsteigenden Kurve verläuft, kann 60-prozentiges Material sehr schnell auf 90 Prozent gebracht werden.
Bis zur Entwicklung einer Atomwaffe sei es aber «ein langer und auch politisch schwieriger Weg», sagte Grossi im Januar im EU-Parlament. Der US-Auslandsgeheimdienst habe derzeit keine Hinweise, dass der Iran sich entschieden habe, sein militärisches Atomprogramm wieder aufzunehmen, sagte CIA-Chef William Burns Ende Februar. Sollte Teheran diesen Weg einschlagen, würde es noch mindestens ein Jahr bis zur Fertigstellung einer Atomwaffe dauern, sagte ein hochrangiger europäischer Diplomat diese Woche. Die IAEA ist jedenfalls überzeugt, trotz eingeschränkter Inspektionen waffenfähiges Uran binnen kurzer Zeit entdecken zu können und so der internationalen Gemeinschaft Zeit für Gegenmassnahmen zu verschaffen.
Worüber streiten der Iran und die IAEA?
Ein Diskussionspunkt waren Spuren von 84-prozentigem Uran, die IAEA-Experten vor kurzem in Fordo fanden. Die IAEA wollte klären, ob die Partikel auf gezielte Anreicherung zurückgehen. Iranische Vertreter sprechen von einem unabsichtlichen Ausreisser. In Teheran sprach Grossi am Samstag von einer kooperativen Atmosphäre. Irans Atomchef sagte, mit der IAEA sei ein Plan erarbeitet worden, die offenen Streitpunkte zu klären.
Welche Rolle spielt Irans Erzfeind Israel?
Israel ist davon überzeugt, dass der Iran an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitet und sieht sich dadurch als Staat gefährdet, weil die Führung der Islamischen Republik das Existenzrecht Israels bestreitet. Israelische Spitzenpolitiker betonen immer wieder, man werde eine nukleare Aufrüstung Teherans unter keinen Umständen zulassen – daher könne auch ein militärischer Präventivschlag nicht ausgeschlossen werden.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bekräftigte am Sonntag das Recht Israels, sich vor einer atomaren Aufrüstung des Irans zu schützen. «Es ist klar, dass wir es dürfen, und es ist klar, dass wir es tun werden», sagte er. Nichts könne Israel davon abhalten, «unser Land zu verteidigen und unsere Feinde daran zu hindern, den jüdischen Staat auszulöschen».
Ein möglicher Angriff auf iranische Atomanlagen gilt allerdings als sehr riskant, die Aussicht auf Erfolg als ungewiss. Israel beschuldigt den Iran auch immer wieder der Terrorunterstützung, weil die Führung in Teheran israelfeindliche Gruppen wie die libanesische Hisbollah-Miliz und die im Gazastreifen herrschende militant-islamistische Hamas fördert.
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