50 Jahre «War on drugs»«Krieg gegen Drogen» traf Millionen Afro-Amerikaner
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23.7.2021 - 00:00
Extreme Strafen, überfüllte Gefängnisse, lebenslange Restriktionen: Härte war das Motto des Krieges gegen die Drogen in den USA, der vor 50 Jahren unter Richard Nixon begann. Es ist fraglich, ob jemand gewann. Aber klar ist, wer die Verlierer waren.
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23.07.2021, 00:00
23.07.2021, 04:29
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Gartenbau – das war nicht der Beruf, von dem Alton Lucas geträumt hatte. Als Teenager glaubte der schwarze Amerikaner, dass Basketball oder wahrscheinlicher noch Musik ihn aus seiner Heimat, dem US-Staat North Carolina, rund um die Welt führen würde. Schliesslich war er in den späten 1980er Jahren die rechte Hand seines Freundes Youtha Anthony Fowler, in der Welt des Hip-Hop und R&B heute als DJ Nabs bekannt. Aber anstatt mit Fowler um die Welt zu reisen, verschrieb sich Lucas dem Crack-Kokain und begann auch, damit zu handeln.
Das just auf dem Höhepunkt des sogenannten Krieges gegen die Drogen, den der damalige Präsident Richard Nixon im Sommer 1971, also vor 50 Jahren, eröffnet hatte. Es war die Zeit, in der Drogenmissbrauch und Gewalt in grösseren Städten und schwarzen Gemeinden grassierten und Rufe nach einem harten Durchgreifen immer lauter wurden. Von einem öffentlichen Gesundheitsproblem wie jetzt bei der Opioid-Epidemie sprach damals niemand.
Wegen Drogenhandels und Diebstahles zur Finanzierung seiner Sucht verurteilt, landete Lucas im Gefängnis. Aber er erhielt die seltene Chance, ein Antisuchtprogramm zu nutzen, das ihm eine vorzeitige Entlassung aus der Haft verhiess. Nach viereinhalb Jahren hinter Gittern kam er frei und startete ein Gartenbau-Unternehmen – nicht aus Leidenschaft, sondern «um ehrlich zu sein, weil mich niemand einstellen würde, weil ich wegen Verbrechen vorbestraft bin», sagt Lucas.
Er war in einem System gefangen, das ihm und zahllosen anderen mit Verurteilungen im Zusammenhang mit Drogen das Leben auf lange Sicht – ja vielleicht für immer – erschwert. Nicht nur in Sachen Beschäftigung, sondern oft auch beim Zugang zu Ausbildungsdarlehen, Mietwohnungen, beim Sorgerecht für Kinder und dem Wahlrecht.
Das System wurde geboren, als Lucas noch Windeln trug. Heute, 50 Jahre nach Nixons Drogen-Kriegsansage und inmitten der tödlichen Opioid-Krise, ist es fraglich, ob jemand den Krieg gewonnen hat. Aber klar sind die Verlierer: Schwarze und Latino-Amerikaner, ihre Familien und Gemeinden.
Hauptwaffe Gefängsnisstragen
Eine Hauptwaffe im Krieg gegen die Drogen war die Einführung harscher Mindeststrafen. Das führte im Laufe der Zeit zu überfüllten Gefängnissen auf Bundes- und bundesstaatlicher Ebene. Zwischen 1975 und 2019 wuchs die Zahl der Insassen von 240'593 auf 1,43 Millionen Amerikaner, wie von der Nachrichtenagentur AP eingesehene Statistiken zeigen. In jedem fünften Fall war ein Drogenvergehen als schlimmstes Delikt aufgeführt.
Die meisten Betroffenen waren Nichtweisse. Die Rate der inhaftierten Schwarzen stieg nach der Einführung härterer Strafen im Zusammenhang mit Drogen von etwa 600 pro 100'000 Menschen 1970 auf 1808 im Jahr 2000. Bei den Latinos waren es 1970 noch 208 pro 100'000, aber 30 Jahre später 615. Die Rate der weissen Häftlinge wuchs von 103 auf 242 pro 100'000 Menschen.
Im Krieg gegen die Drogen spielten auch politische Motive eine Rolle. Als sich Nixon vor dem Hintergrund der Proteste gegen den Vietnamkrieg und der Black-Power-Bewegung um die Wiederwahl bemühte, war die Kriminalisierung von Heroin ein Weg, Aktivisten und Hippies ins Visier zu nehmen.
Auswüchse des «War on Drugs»
Und Experten zufolge haben auch Nixons Nachfolger Ronald Reagan, George Bush Senior und Bill Clinton den harten Kurs zu ihrem eigenen politischen Vorteil genutzt und damit das Vermächtnis des Anti-Drogen-Krieges zementiert. Die Explosion der Rate der Inhaftierten in den USA, die Expansion öffentlicher und privater Gefängnissysteme und die Militarisierung örtlicher Polizeieinheiten sind alle Auswüchse des Krieges gegen die Drogen.
Das harte Durchgreifen wurde verbreitet akzeptiert, überwiegend deshalb, weil der Konsum verbotener Drogen wie Crack in den späten 1980ern von einer alarmierenden Zunahme von Morden und anderen Gewaltverbrechen in den USA begleitet wurde. Auch schwarze Geistliche und die Vereinigung schwarzer Mitglieder des US-Kongresses unterstützten den Kurs.
Drogenverkäufe und -konsum waren auf Städte konzentriert, besonders jene mit vielen Schwarzen und Latinos. Eine Verdoppelung der Rate schwarzer männlicher Mordopfer im Jugendalter zwischen 1984 und 1989 wurde mit Crack in Verbindung gebracht. Roland Fryer, Autor einer Harvard-Studie über den Crack-Gebrauch in den 1980er Jahren, sagt, die Auswirkungen der damaligen Drogen-Epidemie auf eine Generation schwarzer Familien und schwarzer Kinder seien bislang nicht gründlich dokumentiert worden. Ein Mangel an Rechenschaft für den Krieg gegen Drogen habe in der Schwarzengemeinschaft Misstrauen gegenüber der Regierung, Polizei und Strafverfolgungsbehörden gefördert.
«Sperrt sie ein und werft den Schlüssel weg»
«Leute fragen, warum Schwarze (öffentlichen) Einrichtungen nicht trauen. Es ist, weil wir gesehen haben, wie wir Opioide behandelt haben – es ist ein öffentliches Gesundheitsproblem. Aber bei Crack hiess es, ‹sperrt sie ein und werft den Schlüssel weg, was wir benötigen sind härtere Urteile›», sagt Fryer, selbst ein Afroamerikaner.
Auf dem Höhepunkt des Anti-Drogen-Krieges konnten gewalttätige Drogenkriminelle sogar unter Statuten der Gangverschwörung belangt werden, was Gruppen von Angeklagten für Morde verantwortlich machte – manchmal unabhängig davon, wer den Finger am Abzug hatte. Diese Fälle resultierten oft in lebenslangen Haftstrafen ohne Möglichkeit einer Begnadigung, Urteile, die unverhältnismässig häufig gegen Schwarze und Latinos verhängt wurden.
Lucas, heute 54 Jahre alt, weiss, dass er selbst dagegen viel Glück gehabt hat. Aber die Vergangenheit verfolgt auch ihn weiter. So bleiben ihm als Drogen-Vorbestraftem sogar solche harmlosen Dinge wie die Betreuung der Schulklasse seiner Kinder auf Ausflügen verwehrt. Es sei fast, so sagt er, «ein lebenslanges Urteil».