VertragsbruchLondon will mit Gesetz Brexit-Regeln für Nordirland teils aushebeln
dpa
17.5.2022 - 18:06
Der Streit um Brexit-Regeln für Nordirland droht die britische Provinz politisch zu lähmen. Die britische Regierung will sich nicht länger an die mit Brüssel ausgehandelten Regeln halten – und macht nach monatelangen Diskussionen nun ernst.
DPA
17.05.2022, 18:06
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Die britische Regierung will mit einem neuen Gesetz die Brexit-Sonderregeln für Nordirland teilweise aushebeln. Aussenministerin Liz Truss kündigte am Dienstag im Londoner Unterhaus ein Gesetzesvorhaben an, das die seit dem Brexit neu entstandenen Handelsbarrieren zwischen Nordirland und Grossbritannien abbauen soll. Damit löst sich London von den mit Brüssel ausgehandelten Regelungen für Nordirland, die im Brexit-Abkommen gesetzlich festgehalten sind. In Brüssel reagierte man empört auf die Ansage aus London.
Waren zwischen Grossbritannien und Nordirland müssen gemäss dem sogenannten Nordirland-Protokoll, das Teil des Brexit-Deals ist, seit dem EU-Austritt an der Irischen See kontrolliert werden. Mit dieser Regelung soll eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland vermieden werden, die Spannungen in der ehemaligen Bürgerkriegsregion erneut befeuern könnten. Anhänger einer engen Anbindung Nordirlands an das Vereinigte Königreich – auch Unionisten genannt – fürchten jedoch dadurch eine Entfremdung und Abkoppelung.
London droht mit Vertragsbruch
Bislang ist das Gesetzesvorhaben der konservativen Regierung lediglich eine Ankündigung, konkret auf den Weg gebracht ist es noch nicht. Dies solle in den kommenden Wochen passieren, sagte Truss.
Mit der Offensive reagiert London auf den Unmut der meist protestantischen Loyalisten in Nordirland. Die grösste Unionisten-Partei DUP blockiert derzeit die Bildung einer Einheitsregierung mit der katholisch-nationalistischen Partei Sinn Fein, die aus den nordirischen Parlamentswahlen in der vergangenen Woche als stärkste Kraft hervorgegangen war. Es droht eine politische Blockade über Monate. DUP-Parteichef Jeffrey Donaldson begrüsste die Ankündigung von Truss als willkommenen, wenn auch überfälligen Schritt, dem nun auch Taten folgen müssten.
Truss versprach, die geplanten Änderungen am Protokoll sollten Bürokratie abbauen und dafür sorgen, dass den Menschen in Nordirland die gleichen Möglichkeiten offen stünden wie allen Bürgern in Grossbritannien. Unternehmen sollten etwa unter einem neu gestalteten Rahmen wählen können, ob sie sich britischen oder EU-Standards verpflichten wollten.
Der Streit zwischen London und Brüssel über die Sonderregeln für Nordirland schwelt bereits seit Langem. Regelmässig trafen sich zuletzt Truss und EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic zu Gesprächen – allerdings ohne nennenswerte Erfolge. In Richtung Brüssel versicherte die Britin nun, man sei weiterhin gesprächsbereit und würde ein Verhandlungsergebnis dem einseitigen Handeln vorziehen. Aber: «Wir können es uns nicht leisten, länger zu warten.» Das Vorgehen stehe jedoch im Einklang mit internationalem Recht und werde der EU keinerlei Schaden zufügen.
Aus Brüssel kam jedoch postwendend scharfe Kritik: Kommissionsvize Sefcovic schrieb auf Twitter, einseitige Handlungen seien «nicht akzeptabel», und er habe grosse Bedenken. Die EU werde mit allen ihr zur Verfügung stehenden Massnahmen reagieren müssen, sollte London das Gesetz tatsächlich auf den Weg bringen, hiess es weiter. «Sollte solch ein Gesetz wirklich in Kraft treten, ist das ein klarer Bruch internationalen Rechts», sagte die handelspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion, Anna Cavazzini. Im Raum steht auch ein Ende des gesamten Brexit-Vertrags. Die Folge könnte ein Handelskrieg zwischen Brüssel und London sein.
Significant concerns about the announcement by the UK government. Unilateral actions are not acceptable.
The potential of the flexibilities proposed by the @EU_Commission is yet to be fully explored. They can deliver a real difference on the ground.
Auch der irische Aussenminister Simon Coveney bedauerte die Vorgehensweise und warf den Briten vor, Vertrauen zu beschädigen. Premier Boris Johnson verteidigte sich damit, dass die oberste Pflicht seiner Regierung sei, den Frieden und die Stabilität in Nordirland zu wahren.