Slowakei Revolution der Anständigen

phi

19.2.2020

Mord an Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina: Die Polizei sichert am 26. Februar 2018 den Tatort in Vel'ká Mača.
Mord an Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina: Die Polizei sichert am 26. Februar 2018 den Tatort in Vel'ká Mača.

Die Morde an einem Journalisten und seiner Verlobten im Februar 2018 hatte in der Slowakei für ein politisches Erdbeben gesorgt. Korruption und Vertuschung traten offen zutage – was man über diesen Fall wissen muss.

Es ist Mittwochabend, als es am 21. Februar 2018 an der Tür klingelt.

Ján Kuciak ahnt nichts Böses, als er in dem kleinen slowakischen Ort Vel'ká Mača unweit von Bratislava die Haustür öffnet.

Ein Unbekannter steht vor dem Journalisten. Er hat eine Pistole in der Hand, auf deren Lauf ein Schalldämpfer angebracht ist.

Der Mann schiesst, trifft den Journalisten in die Brust – der 27-Jährige sackt zusammen.

Dann jedoch gerät der Schütze aus dem Konzept: Die Verlobte des Opfers kommt zur Haustür. Der Angreifer hat nicht mit der 27-Jährigen gerechnet: Er folgt der flüchtenden Martina Kušnírová in die Küche, drückt zweimal ab. Als er das Haus wieder verlässt, feuert er noch einmal auf Ján Kuciak. Er will ganz sicher sein, dass sein Opfer tot ist. Dann tritt er hinaus in die Nacht. Ein Auto mit Fahrer wartet bereits auf ihn. Der Täter und der Lenker entkommen beide unerkannt.

Einen Tag nach Bekanntwerden am 26. Februar 2018 des Mordes von Ján Kuciak stellen Bürger in Bratislava erste Kerzen auf.
Einen Tag nach Bekanntwerden am 26. Februar 2018 des Mordes von Ján Kuciak stellen Bürger in Bratislava erste Kerzen auf.
Bild: Keystone

Es wird vier Tage dauern, bis die beiden Leichen entdeckt werden. Es ist Sonntag. Am Montag dann ist die Slowakei nicht mehr dieselbe.

Recherche gegen reichen Investor

Der Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten erschüttert die Republik in ihren Grundfesten. Ab jenem Montag gehen die Menschen in Bratislava auf die Strasse. Ihre Forderung: eine «anständige Slowakei». Es scheint schnell klar zu sein, wer das Attentat zu verantworten hat: Ján Kuciak steckte gerade mitten in Recherchen über einen der mächtigsten Männer des Landes, berichtet die «Süddeutsche Zeitung» (SZ) erst heute wieder.

Marián Kočner werden Delikte wie Steuerhinterziehung, Bestechung, Erpressung und Subventionsbetrug vorgeworfen. Der Millionär ist jemand, der sein persönliches Netzwerk rein nach Nutzen auswählt: So nennt er etwa eine Staatssekretärin im Justizministerium im Threema-Chat bloss «Äffchen«, während der Generalstaatsanwalt ein «Schaf 1. Klasse ist». Dem stellvertretenden Parlamentsvorsitzenden verpasst Kočner das Prädikat «Schaf 2. Klasse».

Der Staatsanwalt geht davon aus, dass Marián Kočner der Auftraggeber des Journalistenmordes ist.
Der Staatsanwalt geht davon aus, dass Marián Kočner der Auftraggeber des Journalistenmordes ist.
Bild: Keystone

Grosszügig ist der Mann, wenn ihm sein «Lockvogel» Alena Zsuzsová Informationen über jene Herdentiere liefert: 30'000 Euro sind ihm Geheimnisse von Erste-Klasse-Schafen wert, 10'000 gibt es für Informationen über die anderen. Und für den Mord an dem unliebsamen Journalisten hat Marián Kočner 40'000 Euro gezahlt – ist sich jedenfalls die Staatsanwaltschaft sicher.

«Pfui. Was bin ich abscheulich»

Das bestätigt auch einer seiner engsten Vertrauten beim Prozess vor dem Spezialgerichtshof in Prezinok. Mit diesem und womöglich einem weiteren Mord sollte slowakischen Reportern Angst gemacht werden, sagt der Kronzeuge aus. Dass die Tötung des in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten Journalisten die Menschen im Land auf die Strasse treibt, damit hat der 56-Jährige nicht gerechnet.

Lichtermeer in Bratislava am 28. Februar 2018.
Lichtermeer in Bratislava am 28. Februar 2018.
Bild: Keystone

«Sie machen ihn zu einem Heiligen», schreibt der Beschuldigte im Frühjahr 2018 an Alena Zsuzsová. Diese antwortet: «Er wird der Schutzpatron der Journalisten.» Kočner entgegnet: «Wer wäre ein besserer Patron, als der, der eine Patrone im Körper hat?» Dann schiebt er laut SZ nach: «Pfui. Was bin ich abscheulich.»

Alena Zsuzsová – und ganz viel Polizei – am 13. Januar vor dem Gericht in Pezinok.
Alena Zsuzsová – und ganz viel Polizei – am 13. Januar vor dem Gericht in Pezinok.

Der Druck der Strasse nimmt derweil zu. Am 28. Februar 2018 tritt der Kultusminister zurück, am 12. März der Innenminister, und am 15 März dankt der Premier ab. Kočner trifft sich mit Politikern der Regierung, um zu verhindern, dass die Koalition zerbricht, auf die der Geschäftsmann zählt: Augenscheinlich hat er in dieser Branche zu viel investiert, um sich mit einer Abwahl «seiner» Polit-Protagonisten abfinden zu können.

Schütze geständig 

Den Aufstand der Bürger, der das Land erfasst hat, nennt er eine «nationale Tragikomödie». Und seine mutmassliche Komplizin Zsuzsová gratuliert dem Millionär dafür, dass sich nun die ganze Welt für die Slowakei interessiere. Dafür habe er eine Medaille verdient, lobhudelt sie.

Im Juni 2018 wird Kočner verhaftet und kommt in Untersuchungshaft, weil er Wechsel in Millionenhöhe gefälscht haben soll: Bei einer Verurteilung blühen ihm schon allein dafür 20 Jahre Haft.

Das hält ihn angeblich jedoch nicht davon ab, den Anwälten der Eltern der Mordopfer zu drohen: Auf den Rechtsvertreter der Familie Kuciak soll bereits ein Kopfgeld von 200'000 Euro ausgelobt worden sein. Im März 2019 landet er dann erneut im Gefängnis. Und im Oktober wird Anklage wegen des Journalistenmordes erhoben.

Der Mann, der den Auftrag ausgeführt hat, ist seit Prozessbeginn geständig. Auch einen zweiten ihm zur Last gelegten Mord hat Miroslav Marcek zugegeben. Seinen Lohn hat der 37-jährige Ex-Soldat durch eine Reihe von Mittelsmännern erhalten.

Von rechts die Angeklagten Kočner, Miroslav Marcek und Tomas Szabo.
Von rechts die Angeklagten Kočner, Miroslav Marcek und Tomas Szabo.
Bild: Keystone

Warum er den Journalisten aus dem Weg räumen sollte, weiss der Familienvater nicht. Nur, «dass er etwas schreibt, das er nicht schreiben soll». Die 40'000 Euro teilt er mit seinem Cousin Tomas Szabo, der ihn zum Tatort gefahren hat und bezahlt Schulden ab, bevor er verhaftet werden kann.

Justiz-Staatssekretärin und Staatsanwalt betroffen

Im Laufe der Ermittlungen stösst die Polizei auf neue Beweise, wonach Marián Kočner 2005 und 2006 Beamte und Politiker geschmiert habe, um an öffentliche Aufträge zu kommen.

Ein Bericht der «Deutschen Welle».

Im September 2019 muss ein «Äffchen» im Justizministerium dafür die Konsequenzen tragen: Monika Jankovska muss abtreten, weil sie Ermittlungen gegen den Millionär behindert haben soll.

Im November räumt der Parlamentspräsident wegen seiner Beziehungen zu Kočner seinen Posten, und im Januar wird sogar ein früherer Staatsanwalt verhaftet, weil er den angeklagten Geschäftsmann im Amt gedeckt haben soll.

Dieser streitet in dem seit Januar laufenden Prozess übrigens alle Vorwürfe ab – bis auf jenen des Waffenbesitzes.

Neue Präsidentin, neues Parlament

Beobachter rechnen für April mit einem Urteil im Fall von Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová.

Der Mord hat einen Ruck durchs Land gehen lassen. Bürger protestierten für den Rechtsstaat und sorgten durch die Bewegung «anständige Slowakei» für den Richtungswechsel, der die Grundlage für die Wahl einer neue Präsidentin im März 2019 bildete.

Bürgerprotest in Bratislava: Ein Jahr nach der Tat am 21. Februar 2019 zeigen die Slowaken erneut Flagge.
Bürgerprotest in Bratislava: Ein Jahr nach der Tat am 21. Februar 2019 zeigen die Slowaken erneut Flagge.
Bild: Keystone

Die Sozialliberale Zuzana Čaputová hat sich seitdem den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben. Wenn am 29. Februar Parlamentswahlen in der Slowakei sind, soll nach dem Willen der Opposition der politische Neuanfang endgültig in die Wege geleitet werden.

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