Paraden unter Polizeischutz Russlands Tag des Zittersieges

Von Philipp Dahm

9.5.2023

Ausnahmezustand in Russland am Tag des Sieges über Nazi-Deutschland: Während der Kreml ausser in Moskau viele Paraden abgesagt hat, warnt Kiew davor, dass Putin auf eigenem Territorium Anschläge verüben lässt.

Von Philipp Dahm

9.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Russland feiert zum 78. Mal den Tag des Sieges über Nazideutschland. Es ist das zweite Mal seit Beginn des Krieges in der Ukraine.
  • In mehreren Regionen und Städten wurde das Ereignis abgesagt.
  • Die Parade in Moskau wird kleiner ausfallen als zuletzt, weil viele Truppen auf dem Schlachtfeld sind. 10'000 Soldaten und 125 Fahrzeuge sollen teilnehmen.
  • Die Sicherheitsvorkehrungen sind erhöht worden.
  • Kiew warnt vor einem vorgetäuschten Anschlag in Russland oder Belarus unter falscher Flagge.

Zum zweiten Mal seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine begeht Russland den Tag des Sieges über Nazi-Deutschland.

Am 8. Mai – respektive am 9. Mai Moskauer Zeit – unterzeichnet Wilhelm Keitel, der Oberkommandierende der Wehrmacht, die deutsche Kapitulation, nachdem einen Tag zuvor im französischen Reims bereits Generaloberst Alfred Jodl im Namen Berlins aufgegeben hat.

Die Siegesparade hat seither ihren festen Platz in Russlands Geschichte: Weil Moskau den Umzug auch stets dafür nutzt, den Westen mit Blick auf die Kapazitäten des eigenen Arsenals zu täuschen, ist der Tag des Sieges auch der Tag der Täuschungsmanöver. Selbst 2021 schummelt der Kreml, als ein Video der modernen Su-57 gezeigt wird, das jedoch ausschliesslich aus dem Computer kommt.

Alles etwas kleiner: Wladimir Putin am Tag des Sieges am 9. Mai 2022 in Moskau.
Alles etwas kleiner: Wladimir Putin am Tag des Sieges am 9. Mai 2022 in Moskau.
Bild: EPA

2022 fällt die Parade kleiner aus als gewohnt: Wladimir Putins Rede dauert nur 10 Minuten. Wegen der «militärischen Spezialoperation» in der Ukraine sind statt 198 Fahrzeugen wie im Vorjahr nur noch 131 Exemplare zu sehen. Weil der Krieg anhält und das Material knapp ist, werden es in diesem Jahr noch weniger sein. Verteidigungsminister Sergei Schoigu kündigt 125 Fahrzeuge und 10'000 Soldaten an.

«Nervosität, wie ich sie noch nie gesehen habe»

Bezeichnend ist, dass der Marsch des «Unsterblichen Regiments» abgesagt worden ist – angeblich wegen Sicherheitsbedenken. Doch es dürfte noch einen anderen Grund geben: Bei diesem Teil des Umzugs laufen immer Bürger*innen mit, die Bilder von Verwandten hochhalten, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind. Was wäre, wenn plötzlich Angehörige mitmachen, deren Verwandte in der Ukraine getötet wurden?

Der Vorgang zeigt, wie gross vor dem Ereignis die Unruhe im Kreml ist. «Es gibt eine Nervosität, wie ich sie noch nie gesehen habe», sagt ein Anonymus im Büro des Moskauer Bürgermeisters dem «Guardian». An eine Absage des Termins ist aber nicht zu denken: «Der Tag des Sieges muss stattfinden, es gibt keine andere Option.»

Mindestens sechs russische Regionen haben die Feierlichkeiten abgesagt, doch in der Hauptstadt laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. «Für Putin ist das mit Abstand die wichtigste Veranstaltung des Jahres», ordnet Andrej Kolesnikow von der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace das Ganze ein. «Es ist Putins Chance, der Nation zu zeigen, dass er immer noch stark ist und [den Krieg in der] Ukraine unter Kontrolle hat.»

Warnung vor Fake-Anschlag

Wegen ebenjenes Waffengangs werden vor allem Wehrpflichtige und Ausbilder die Parade bestreiten. Die Sicherheitsvorkehrungen in Moskau sind ein zentraler Faktor: GPS-Signale werden gestört und Ferngläser sind an Polizisten ausgegeben worden, damit diese etwaige Drohnen erspähen können. Der Rote Platz wird bereits zwei Wochen vor dem Tag des Sieges abgesperrt.

Anlass zur Angst hat es zuletzt genug gegeben. Am 6. Mai wird der kremlnahe Schriftsteller Sachar Prilepin in Nischni Nowgorod bei einem Autobombenanschlag schwer an beiden Beinen verletzt. Am 3. Mai wird der Keml von zwei Drohnen getroffen: Laut Regierung handelt es sich um ein versuchtes Attentat auf Wladimir Putin, das von den USA initiiert worden sei. Washington weist den Vorwurf zurück.

Tatsächlich kann man kaum von einer versuchten Ermordung sprechen. Immerhin sind die Sprengladungen der Drohnen so klein, dass die eine nicht einmal die russische Fahne abreisst, als sie aufs Dach des Kremls stürzt. Putin hätte das Fluggerät mit der Hand fangen müssen, um sein Leben zu gefährden. Hinzu kommt: Der Präsident hat Erfahrungen mit Operationen unter falscher Flagge.

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Dazu passt eine Warnung vom ukrainischen Militärgeheimdienst: Sprecher Andrij Jusow befürchtet, dass Russen, die als Ukrainer getarnt sind, Anschläge in Russland oder Belarus verüben könnten. «Seit 2014 haben die Besatzer diese Art der Provokation angewandt und es ist möglich, dass wir jetzt damit konfrontiert werden», teilt er auf Telegram mit. Ausserdem habe Moskau ein Faible für historische Daten – wie eben den 9. Mai.

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