TV-Spots und WerbeplakateSo bekämpft die Ukraine den Personalmangel in der Armee
twei
28.4.2024
Mit Werbespots und Plakaten gegen Rekrutenmangel: Um ihre Reihen aufzustocken, gehen ukrainische Brigaden mittlerweile eigene Wege. Die Regierung dagegen lässt klare Antworten vermissen – und sät so Misstrauen.
twei
28.04.2024, 19:33
28.04.2024, 19:35
Julian Weinberger
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Nach über zwei Jahren Krieg wehrt sich die Ukraine nach wie vor gegen die russischen Invasoren. Zunehmend kämpft die Armee allerdings mit Nachwuchsproblemen.
Um neue Rekruten zu gewinnen, werben die Brigaden in Eigeninitiative mit TV-Werbespots und Plakaten.
Doch bei vielen wehrpflichtigen Ukrainern ist die Skepsis gross – auch, weil die Regierung in Sachen Transparenz einigen Spielraum zur Verbesserung lässt.
Geschätzte 70'000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten liessen im Krieg mit Russland bereits ihr Leben. Weitere 120'000 sollen Verletzungen davon getragen haben. Und doch scheint ein Ende des Krieges nicht in Sicht, was ein Problem aufwirft: Wer verteidigt künftig die Ukraine vor dem feindlich gesinnten Nachbarland und verhindert, dass Putins Truppen weiter vorrücken?
Weil die Ukraine zunehmend mit Mobilisierungsproblemen bei der Armee zu kämpfen hat und es seitens der Regierung keine schnellen Lösungen gibt, ergreifen viele Brigaden nun selbst die Initiative, wie der «Spiegel» berichtet. Mit einer unmissverständlichen Botschaft etwa wirbt die 93. Mechanisierte Brigade mit einem TV-Werbespot um neue Mitglieder: «Lass den Traktor stehen, steig um in den Panzer.»
Konkret heisst es in dem Clip: «Trotz Angst und Vorbehalten ziehen wir nicht in den Krieg, um zu sterben. Wir haben uns entschieden, uns zu verteidigen, um in unserer Heimat zu leben.» Auch mittels omnipräsenter Plakatkampagnen wirbt das Militär um Zuwachs.
Verteidigungsministerium erkennt Vertrauenskrise
Neben den markigen Slogans versichern die Brigaden möglichen Neulingen zudem, sie gemäss ihrer Fähigkeiten einzuteilen. Das ist gleichzeitig ein Seitenhieb auf das Verteidigungsministerium, an dem zuletzt vermehrt Kritik wegen Willkür laut wurde.
Diese ist auch dem Oleksij Beschewez, Berater des ukrainischen Verteidigungsministeriums, nicht verborgen geblieben. «Unsere größte Herausforderung ist Vertrauen. Leider ist es jetzt so», zitiert der «Spiegel» Beschewez. «Zu Beginn der russischen Invasion hatten wir hier Schlangen, und jetzt sind, gelinde gesagt, keine Schlangen mehr da. An irgendeinem Punkt ging das Vertrauen verloren.» Nun gelte es, sich dieses Vertrauen wiederzuholen.
Kontraproduktiv wirken in diesem Zusammenhang allerdings Aufnahmen, wie sie in den letzten Wochen im Netz immer wieder die Runden machen. Sie zeigen, dass Wehrdienstbüros bei der Mobilisierung mitunter rigide durchgreifen, zur Not auch mit Gewalt. Zwar mag es sich bei den Aufnahmen um wenige Einzelfälle handeln, und doch schwächen derartige Videos das Vertrauen in die Behörden.
Regierung lässt klare Antworten vermissen
Das veranlasst Wehrpflichtige – also Männer zwischen zwischen 18 und 60 Jahren – immer wieder, Reissaus zu nehmen. Dafür nehmen sie laut «Spiegel»-Recherchen selbst Korruption in Kauf, um sich von Beamten oder Ärzten Vorteile zu verschaffen.
Andere bleiben dagegen in der Heimat, leben aber im Verborgenen und organisieren sich in geheimen Telegram-Gruppen samt ausgetüftelten Warnmechanismen. In codierten Nachrichten schlagen sie Alarm, wenn Wehrdienstbeamte auf Patrouille sind und geben Entwarnung, wenn die Luft rein ist.
Neben der Angst vor den Risiken für Leib und Leben, die eine Einberufung an die Front mit sich bringt, krankt die Mobilisierung neuer Rekruten aber auch noch an anderer Stelle. Zur Ausbildung, sowohl in Hinsicht auf die Qualität als auch auf die Dauer, oder dem Einsatzort und der -dauer liess die Regierung lange Zeit klare Antworten vermissen.
Stattdessen veranlasste die Ukraine Anfang April neue, striktere Regelungen in Form eines Mobilisierungsgesetzes. Neben der Senkung des Wehrdienstalters von 27 auf 25 Jahre verschärfte die Regierung das Strafmass für Wehrdienstverweigerer. Dazu verfiel eine Regelung, die bestimmte chronisch Kranke von der Wehrpflicht ausschloss. Für zusätzliche Verunsicherung sorgte, dass die sichere Entlassung aus dem Militär nach 36 Monaten im Zuge der Reform gestrichen wurde.