Polizist erzählt So ergreifst du einen Mafia-Boss

Andrea Moser

6.2.2023

Italiens meistgesuchter Mafioso festgenommen

Italiens meistgesuchter Mafioso festgenommen

Nach drei Jahrzehnten auf der Flucht ist Italiens meistgesuchter Mafia-Boss Matteo Messina Denaro verhaftet worden. Polizisten hätten den 60-Jährigen in einer Privatklinik der sizilianischen Hauptstadt Palermo festgenommen.

16.01.2023

Acht Jahre spielt in Lucio Arcidiaconos Leben nur eine Person die Hauptrolle: der flüchtige Cosa-Nostra-Boss Matteo Messina Denaro. Bis zu dessen Verhaftung im Januar hat Arcidiacono viel Geduld gebraucht. 

Andrea Moser

6.2.2023

Es ist Montagmorgen, kurz nach 8 Uhr. Es regnet in Strömen. Ein Mann mit einer braunen Jacke, dunkler Brille und einer weissen Kappe geht auf den Eingang einer Privatklinik zu. Bevor er den Eingang erreicht, wird er von einem weiteren Mann eingeholt. 

«Du weisst, wer ich bin», antwortet der Mann mit der weissen Kappe auf die Frage, wie sein Name sei. Die Worte läuten das Ende einer Jagd ein, die 30 Jahre dauerte. Der Gejagte heisst Matteo Messina Denaro, Mafiaboss der sizilianischen Cosa Nostra. Sein Jäger: Lucio Arcidiacono, Leiter der Spezialeinheit der Carabinieri. Im «Guardian» beschreibt dieser den Ablauf der Festnahme.

In der Nacht davor lag Arcidiacono schlaflos im Bett. Er habe kein Auge zugemacht. «So bizarr es auch klingen mag, ich habe in den letzten Jahren jeden Tag an Messina Denaro gedacht.» Arcidiacono wusste genau, wen er am Tag danach vor der Privatklinik in Palermo vor sich hatte. Acht Jahre lang hat er den Cosa-Nostra-Boss gejagt.

Lucio Arcidiacono (rechts) spricht am Tag der Verhaftung Matteo Messina Denaros zu den Medien. 
Lucio Arcidiacono (rechts) spricht am Tag der Verhaftung Matteo Messina Denaros zu den Medien. 
Keystone

Vom Aspirant zum Mafia-Jäger

Messina Denaro ist im Jahr 1993 für den damals 20-jährigen Arcidiacono Auslöser gewesen, sich bei der Polizei zu bewerben. «Die Morde an den Anti-Mafia-Magistraten Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr zuvor hatten mich tief getroffen und mir den entscheidenden Anstoss gegeben, Offizier bei den Carabinieri zu werden.»

Zehn Jahre später wurde Arcidiacono nach Neapel geschickt. Zu jener Zeit tobte in den Strassen von Neapel ein Krieg zwischen verfeindeten Camorra-Banden. «Eine sehr schwierige, aber auch beruflich sehr prägende Zeit», bezeichnet Arcidiacono seine Arbeit als damals 30-Jähriger. Eine Arbeit, die er beherrscht: 2005 ist er an der Verhaftung von Paolo Di Lauro, einem der mächtigsten Drogenhändler der Welt, beteiligt. Im selben Jahr erwischen er und sein Team Raffaele Amato, Kopf eines Camorra-Clans. 

«Wir haben die Erde um ihn herum verbrannt»

Arcidiaconos ersehnte Jagd auf Cosa-Nostra-Chef Messina Denaro begann allerdings erst Jahre später. Im Jahr 2015 wurde er ins sizilianische Palermo versetzt und auf den flüchtigen Mafiaboss angesetzt. Zwar erzielten die Carabinieri immer wieder Erfolge, in dem sie Messina Denaros Gefolgsleute verhafteten. Doch der Chef selbst blieb verschwunden.

«Wir haben die Erde um ihn herum verbrannt», sagt Arcidiacono im «Guardian». «Wir hatten seine Verwandten und viele seiner Beschützer verhaftet. Aber wir hatten auch einige falsche Spuren verfolgt.» Falsche Spuren, die mit viel Zeit und Frustration verbunden waren. «Die Suche nach einem Flüchtigen ist nervenaufreibend.»

Oft habe er gar Schweigen interpretieren müssen. Es sei vorgekommen, dass zwei Personen in ein Auto gestiegen seien und während der ganzen Fahrt kein einziges Wort gesprochen hätten, aus Angst, abgehört zu werden. «Man weiss, dass zwei Personen in dem Auto sitzen, weil man hört, dass sich zwei Türen schliessen.» Messina Denaro hinterliess keine Spuren. Es gab fast 30 Jahre lang keine neuen Fotos, keine Tonaufnahmen, nichts.

Matteo Messina Denaro wird zu Andrea Bonafede

Der entscheidende Hinweis kam im Frühjahr 2022. Ein abgehörtes Telefonat zwischen Mafiosi lieferte die Information, dass der Cosa-Nostra-Chef an Darmkrebs erkrankt sei. Die Carabinieri baten das Gesundheitsministerium um Zugang zu Krankenakten über Darmkrebs-Patienten. Nachdem die Ermittler Tausende Akten durchforsteten, stiessen sie auf eine Person, die ihre Aufmerksamkeit erweckte.

Andrea Bonafede, Darmkrebs-Patient aus Sizilien. Dieser hatte sich zwar nie etwas zuschulden kommen lassen. Verwandte von ihm hatten jedoch Verbindungen zur Mafia. Entscheidend war aber, dass Bonafede nur 7 Kilometer von Messina Denaros Heimatstadt entfernt lebte.

Also begannen Arcidiacono und sein Carabinieri-Team, den Patienten zu beobachten. Dass Andrea Bonafede und Mafia-Boss Matteo Messina Denaro ein und dieselbe Person sind, wurde in den kommenden Monaten so gut wie sicher. Der entscheidende Hinweis kam jedoch nur kurz vor dessen Verhaftung: Bonafede alias Messina Denaro hatte einen Termin in einer Privatklinik in Palermo.

«Wir haben noch einen langen Weg vor uns»

Die Falle schnappte zu. Der Rest ist Geschichte: Die Bilder von Messina Denaros Verhaftung gingen um die Welt. Arcidiacono und sein Team wurden als Helden gefeiert.

Doch auf seinen Lorbeeren ausruhen will sich Arcidiacono nicht. Für ihn hat seine Arbeit gerade erst begonnen. «Wir haben die Pflicht, herauszufinden, wer ihn all die Jahre beschützt hat. Unsere Arbeit ist noch nicht beendet. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.»