Cosa-Nostra-Boss Wie ein Geist zog er 30 Jahre lang unsichtbar die Mafia-Fäden

Andrea Moser

17.1.2023

Italiens meistgesuchter Mafioso festgenommen

Italiens meistgesuchter Mafioso festgenommen

Nach drei Jahrzehnten auf der Flucht ist Italiens meistgesuchter Mafia-Boss Matteo Messina Denaro verhaftet worden. Polizisten hätten den 60-Jährigen in einer Privatklinik der sizilianischen Hauptstadt Palermo festgenommen.

16.01.2023

Für die Italiener war er ein Fantasma, ein Geist: Mit 31 Jahren tauchte Mafiaboss Matteo Messina Denaro unter und lenkte die Cosa Nostra drei Jahrzehnte lang aus dem Untergrund. Nun wurde er verhaftet. Was aus seinem Leben bekannt ist, klingt wie aus einem Hollywoodstreifen. 

Andrea Moser

U siccu, übersetzt der Dürre. Ein Spitzname, der nicht sonderlich gefährlich klingt. Wäre der Dürre eine Figur in einem Hollywoodfilm, hätte sie kaum die Hauptrolle und schon gar nicht die des Superschurken.

In Italien ist der Dürre jedoch genau das: Er stand auf Platz 1 der Liste der meistgesuchten Verbrecher des Landes, als mehrfacher Mörder, Drogenhändler und Mitverantwortlicher für mehrere Bombenattentate. U siccu wird auch Rolex oder Diabolik genannt. Sein richtiger Name lautet Matteo Messina Denaro. Boss der sizilianischen Mafia Cosa Nostra. 

U siccu, Rolex und Diabolik sind nicht die einzigen Spitznamen Messina Denaros. Seit den 90er-Jahren wurde er immer wieder als Fantasma, auf Deutsch Gespenst, bezeichnet. Ein Gespenst, das 30 Jahre komplett unsichtbar blieb. Messina Denaro war vollständig von der Bildfläche verschwunden. Keine Fotos, nicht einmal Bilder von Überwachungskameras, keine Stimmdokumente, nichts. Trotzdem zog Messina Denaro weiterhin die Fäden der Cosa Nostra.

Jedenfalls bis zu seiner Verhaftung am 16. Januar 2023. Eine Spezialeinheit der Carabinieri fasste den inzwischen 60-Jährigen, als er in einer Klinik in der Warteschlange für einen Corona-Test stand. Dort wollte er sich einer Tumorbehandlung unterziehen.

Bombenattentat in den 90ern auf «Mafia-Jäger» 

Viel bekannt ist aus Messina Denaros Leben nicht. Jedenfalls nicht aus den letzten 30 Jahren. Geboren im April 1962 unter dem Sternzeichen Stier auf Sizilien kam er schon in jungen Jahren mit dem Gesetz in Konflikt. Als Teenager soll er seinen ersten Mord begangen haben.

Denaros Vater war ein hohes Mitglied der Cosa Nostra, bekannt unter dem Namen Don Ciccio. Der junge Matteo trat in seine Fussstapfen und stieg in der Cosa Nostra rasch auf. Bereits vor dem Tod seines Vaters 1998 soll er zur Führungsriege der Mafia gehört haben.

Denaro wird unter anderem vorgeworfen, massgeblich an der Ermordung der beiden «Mafia-Jäger» Giovanni Falcone und Paolo Borsellino beteiligt gewesen zu sein. Beide starben 1992 bei Sprengstoffattentaten, bei denen weitere sieben Menschen getötet und rund hundert verletzt wurden. Für seine Mittäterschaft wurde Messina Denaro zehn Jahre später zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt war er allerdings bereits untergetaucht.

Ein undatiertes Bild von Mafiaboss Matteo Messina Denaro. Wegen seiner Leidenschaft für Luxusautos,. Golduhren und schöne Frauen war er als «Playboy-Boss» bekannt.
Ein undatiertes Bild von Mafiaboss Matteo Messina Denaro. Wegen seiner Leidenschaft für Luxusautos,. Golduhren und schöne Frauen war er als «Playboy-Boss» bekannt.
Keystone

Auch ein Zwölfjähriger gehörte zu seinen Mordopfern

Die beiden «Mafia-Jäger» Falcone und Borsellino sind längst nicht die einzigen Namen auf Denaros Opferliste. Insgesamt soll er an der Ermordung von mindestens 50 Menschen beteiligt gewesen sein. Dazu gehört auch der zwölfjährige Giuseppe Di Matteo. Damit dessen Vater eine Aussage gegen die Cosa Nostra zurückzieht, wurde der Junge mehr als zwei Jahre lang von der Mafia festgehalten – und letzten Endes ermordet. Sein Körper soll in Säure aufgelöst worden sein.

Kurz nach der Tat, 1993, tauchte Messina Denaro unter, mit 31. In den folgenden Jahren wurde er zum Fantasma. Die einzigen Bilder, die es danach gab, waren Phantombilder der Polizei. Auch als Gespenst blieb Denaro der Capo dei Capi, Boss der Bosse. Er soll seinen Untergebenen Befehle mit codierten Notizen erteilt haben.

Teure Uhren und Luxusklamotten im letzten Versteck 

Abgeschottet vom Rest der Welt hat Messina Denaro zumindest in seinem letzten Versteck nicht gelebt. Nach seiner Verhaftung haben die Ermittler seine letzte Unterkunft in einem Wohnhaus in der Kleinstadt Campobello di Mazara unweit seines sizilianischen Geburtsorts Castelvetrano entdeckt.

In der Nacht auf Dienstag durchsuchten Carabinieri und Spezialkräfte das Appartement des 60-Jährigen. Wie italienische Medien übereinstimmend berichteten, stellten die Fahnder dabei Luxusgegenstände wie teure Kleidung oder Uhren sicher. Waffen seien in dem zweistöckigen Gebäude indes nicht gefunden worden.

Keine Hinweise auf Archiv in Versteck 

Die Sicherheitsbehörden wollen mit den Durchsuchungen weitere Erkenntnisse über die Organisation der sizilianischen Cosa Nostra gewinnen. Vor allem gab es die Hoffnung, dass Messina Denaro in dem unscheinbaren Haus in einer Wohngegend das sogenannte Archiv von Salvatore «Totò» Riina aufbewahrt. Der Mafia-Pate war 1993 in Palermo verhaftet worden; aus dessen Wohnung aber konnten Komplizen – darunter laut Ermittlern und Kronzeugen Messina Denaro – noch vor dem Eintreffen der Polizei Dokumente und Aufzeichnungen wegschaffen.

Ob sich das Archiv oder Teile davon in dem Gebäude befinden, war am Dienstagmittag noch nicht bekannt. Die Durchsuchungen und polizeilichen Analysen dauerten noch an, die Strasse war abgesperrt.

Letzte Station: Hochsicherheitsgefängnis

Nach seiner Verhaftung wurde Messina Denaro in ein Hochsicherheitsgefängnis in der Stadt L'Aquila in den Abruzzen gebracht, wie die Nachrichtenagentur Ansa meldete. Das Gefängnis, rund eineinhalb Autostunden von Rom entfernt, ist spezialisiert auf die Inhaftierung und Isolation von Schwerverbrechern der Mafia. Es wird Messina Denaros letzte Station sein. Auf freien Fuss kommt der ehemals meistgesuchte Verbrecher Italiens nicht mehr. 

Mit Material der SDA.