JustizVolk und Stände verwerfen neues Wahlsystem für Bundesrichter
gg, sda
28.11.2021 - 12:05
Ein Losverfahren für die Wahl ans Bundesgericht hat bei Volk und Ständen keinen Anklang gefunden. Über zwei Drittel der Stimmenden sahen keinen Anlass für grundlegende Reformen und legten ein Nein in die Urne.
gg, sda
28.11.2021, 12:05
28.11.2021, 17:06
SDA
Die Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justizinitiative)» schaffte die Hürde deutlich nicht. Gemäss den Endresultaten aus den Kantonen stimmte eine Mehrheit von 68,1 Prozent der Stimmbevölkerung dagegen. Kein Kanton sagte Ja zum Begehren. In absoluten Zahlen waren 2'335'000 Stimmende dagegen und nur 1'095'200 dafür.
Am deutlichsten war die Ablehnung in den Kantonen Appenzell Innerrhoden (77,8 Prozent), Waadt (75,1 Prozent) und Uri (72,6 Prozent). Selbst in den Kantonen mit dem höchsten Ja-Anteil wie Jura (37,5 Prozent), Tessin (36,6 Prozent) und Freiburg (36,1 Prozent) war das Verdikt sehr klar. Nur acht der 2158 Gemeinden im Land stimmten der Initiative zu.
Klassischer Verlauf
Das Ergebnis überrascht nicht: Je näher der Abstimmungstermin rückte, desto weniger Rückhalt genoss die Initiative. In den letzten Abstimmungsumfragen von Tamedia und gfs.bern im Auftrag der SRG hatten noch 37 respektive 41 Prozent die Initiative unterstützt.
Politologen sprachen von einem «klassischen Muster». Neben der Pflegeinitiative und dem Covid-19-Gesetz ging die Justizinitiative im Abstimmungskampf etwas unter. Eine breite Debatte entstand nicht, obwohl dies wegen der nicht ganz einfach formulierten Initiative wohl nötig gewesen wäre, um sie erfolgreich zu gestalten.
In dem Votum ging es darum, ob die Rechtssprecher künftig von unabhängigen Experten und mittels Losentscheid statt vom Parlament gewählt werden sollten. Mit dem Nein von Volk und Ständen bleibt nun grundsätzlich alles beim Alten: Weiterhin wählt das Parlament alle sechs Jahre die Bundesrichterinnen und -richter. Wahlvorschläge macht die Gerichtskommission der Räte.
Zweifel an Gewaltentrennung
In den Augen der Initianten und Initiantinnen beeinträchtigt dieses Wahlverfahren die richterliche Unabhängigkeit. Mit dem Wahlverfahren per Los hätte das geändert werden sollen. Wer an der Auslosung teilnehmen darf, hätte eine unabhängige Fachkommission entscheiden müssen.
Die vom Bundesrat eingesetzte Kommission hätte Personen auswählen müssen, die sich fachlich und persönlich für das Richteramt eignen. Die Amtssprachen sollten gemäss Initiativtext angemessen vertreten sein. Weitere Vorgaben zum Verfahren wären erst auf Gesetzesebene gemacht worden.
Der Kopf hinter dem Volksbegehren war der Zuger Unternehmer Adrian Gasser. Er und sein Team hatten Mitte 2019 die Initiative mit 130'100 gültigen Unterschriften eingereicht. In der Schweiz gebe es heute keine Gewaltentrennung, kritisierte das Ja-Komitee.
Ein Richter oder eine Richterin müsse einer Partei angehören und dieser jährlich eine Mandatssteuer bezahlen, damit er oder sie das Amt bekomme. Damit werde die Judikative zum verlängerten Arm der Legislative. Mit der Abschaffung der Wiederwahl von Richterinnen und Richtern hätten die Initianten zusätzlich verhindern wollen, dass das Parlament durch Abwahldrohungen politischen Druck auf die Justiz ausüben kann.
Sanfte Reformen nicht ausgeschlossen
Die Initiative ging aber den meisten zu weit. Bundesrat, Parlament und die Kantone sowie sämtliche Parteien ausser der Piratenpartei kämpften unisono gegen das Anliegen. Ein Losverfahren für Richterwahlen gefährde die demokratische Legitimität der Richter, lautete der Tenor der Gegner. Im Abstimmungskampf war von «Casino», «Lotterie» und Ähnlichem zu hören.
Zudem gaben die Gegner zu bedenken, dass das bestehende System funktioniere. Das Parlament achte auf eine ausgewogene Besetzung des Bundesgerichts nach Geschlecht, Sprache und politischen Weltanschauungen. Der sogenannte Parteienproporz funktioniere. Das vom Volk gewählte Parlament repräsentiere den Volkswillen.
Trotz des Neins zur Initiative zeichnet sich allerdings ab, dass das Wahlverfahren für Bundesrichter einer sanften Reform unterzogen wird. Die Rechtskommission des Ständerats will, dass die Gerichtskommission zur Begleitung ihrer Auswahlverfahren künftig einen Fachbeirat einsetzen und beiziehen kann. Mit der entsprechenden parlamentarischen Initiative befasst sich als nächstes die Nationalratskommission.
Zudem hat die parlamentarische Gerichtskommission kürzlich beschlossen, die bisherige Praxis zu überprüfen und neu allenfalls auch Parteilose als Bundesrichterinnen oder -richter zu nominieren. Und theoretisch könnte dieses Gremium beispielsweise auch ohne Gesetzesänderungen Korrekturen im Hinblick auf die Mandatssteuer vornehmen. Diese ist freiwillig und nicht gesetzlich geregelt.
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