Belarus-Ticker «Sie haben ihn gewürgt, um aus ihm Beweise herauszuprügeln»

Red.

25.5.2021

Um eines oppositionellen Bloggers habhaft zu werden, hat Belarus ein Verkehrsflugzeug zur Landung gezwungen. Die Verhaftung von Roman Protassewitsch schlägt international Wellen. 

Red.

25.5.2021

Die Behörden des autoritär geführten Landes Belarus haben am Sonntag ein Ryanair-Flugzeug auf dem Weg von Griechenland nach Litauen mit Hilfe eines Kampfjets zur Landung in Minsk gezwungen – angeblich wegen einer Bombendrohung. Die Maschine flog später mit Stunden Verspätung weiter nach Vilnius.

Nicht mehr an Bord waren der regierungskritische Blogger Roman Protassewitsch und seine Freundin. Beide wurden festgenommen. Dem 26-Jährigen, der zuletzt im Ausland lebte, drohen mehrere Jahre Haft. Der Kreml in Moskau hofft, dass zumindest Sofia Sapega in naher Zukunft freigelassen wird. Sie hat die russische Staatsbürgerschaft.



Protassewitsch meldete sich am Montagabend mit einem Video zu Wort. Seine Unterstützer gehen davon aus, dass er zu den Aussagen gezwungen und zuvor gefoltert wurde.

Mehrere westliche Staats- und Regierungschefs verlangten die sofortige Freilassung des Bloggers. An der Führung in Minsk dürften solche Forderungen aber abprallen. Die EU erweiterte deshalb auch die bestehende Liste mit Personen und Unternehmen, gegen die Vermögenssperren und Einreiseverbote gelten.

Hier die News des Tages zu dem Fall im Ticker-Protokoll:

Das Wichtigste in Kürze

  • Belarus hat am Sonntag ein Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius zur Landung gebracht – wegen einer «Bombendrohung».
  • Der Vorfall wurde offenbar inszeniert, um den 26-jährigen Blogger Roman Protassewitsch und Freundin Sofia Sapega zu verhaften.
  • Die internationale Kritik ist gross: Die EU hat ihre Lufträume für weissrussische Maschinen geschlossen und neue Sanktionen beschlossen, die USA werden wohl folgen. 
  • Ein Video zeigt Protassewitsch mit sichtbaren Blessuren im Gefängnis. Er legt wohl erzwungenes Geständnis ab.
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  • 17.40 Uhr

    Protassewitschs Mutter spricht

    Der in Belarus festgenommene Blogger Roman Protassewitsch ist nach Aussage seiner Mutter in Haft schwer misshandelt worden. In einem von der belarussischen Staatspropaganda verbreiteten Video aus dem Untersuchungsgefängnis in Minsk seien im Gesicht ihres Sohnes deutliche Spuren von Gewaltanwendung erkennbar, sagte Natalia Protassewitsch am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.

    «Ich bin keine Chirurgin, aber es ist sicher, dass sie ihn auf die Nase geschlagen und diese möglicherweise gebrochen haben.» Ausserdem sei die linke Wange des 26-Jährigen geschwollen und hänge nach unten. «Selbst unter der Schminke sieht man eine gelbliche Färbung - vermutlich wurden Blutergüsse mit Puder überdeckt.» Am Hals seien zudem Würgemale zu erkennen. «So wie es aussieht, haben sie ihn gewürgt, um aus ihm Beweise herauszuprügeln.»

    Am Montag war Protassewitsch in einem Video aus der Untersuchungshaft zu sehen. Er beteuerte darin, dass korrekt mit ihm umgegangen werde. In dem Film bekannte sich der Blogger auch dazu, Massenunruhen organisiert zu haben.

    Die Vorwürfe seien haltlos, das Geständnis sei aus ihrem Sohn herausgepresst worden, sagte Natalia Protassewitsch, die mit ihrem Mann im polnischen Exil in Wroclaw (Breslau) lebt. «Er liest das entweder vom Blatt ab, oder man hat ihn gezwungen, es auswendig zu lernen.»

    Ihr Sohn sei ein sehr starker Mensch, so die 46-Jährige. Allerdings sei auch seine Freundin in Haft. Die Ermittler könnten die junge Frau misshandeln, um ihren Sohn zu brechen, fürchtet sie.

  • 17.30 Uhr

    Gestrandet in Minsk

    Am Flughafen von Minsk starren gestrandete Reisende am Dienstag ratlos auf ihre Handys: Die Airlines fliegen Belarus nicht mehr an. Die Verbindungen nach Paris und Warschau sind kurzerhand gestrichen worden.

    Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten beschlossen, dass belarussische Fluggesellschaften künftig nicht mehr den Luftraum der EU nutzen dürfen, rechtlich greift die Massnahme aber noch nicht sofort.

    «Es sah nicht danach aus, als ob etwas schief gehen könnte», sagte ein Mann am Flughafen, der nach Polen wollte, dem unabhängigen Nachrichtenportal tut.by. Wie es nun weitergeht, wisse er nicht.

    Die staatliche belarussische Fluglinie Belavia hat bis Ende Oktober alle Verbindungen nach London und Paris gestrichen. Viele Menschen in Belarus dürften es nun schwerer haben, ihr Land zu verlassen. Wichtig waren die Verbindungen ins Nachbarland Ukraine. Kiew hat alle Flüge ausgesetzt. Belarus protestierte dagegen.

  • 16.35 Uhr

    «Immer für Gerechtigkeit eingetreten»

    Im Video, das nach Protassewitschs Verhaftung entstanden ist, sieht man Schrammen in seinem Gesicht, das auffällig gepudert wirkt. Seine Unterstützer gehen davon aus, dass seine Nase gebrochen ist und er gefoltert wurde. 

    Der Häftling sagt, man gehe korrekt und gesetzeskonform mit ihm um, er werde weiter Geständnisse ablegen. Für Tichanowskaja und Protassewitschs Eltern ist klar: Das Video kann nur durch Drohungen erpresst worden sein.

    «Ich bin stolz auf meinen Sohn. Er ist ein Held. Er ist ein Mensch, der immer für Gerechtigkeit eingetreten ist», sagt Protassewitschs Mutter Natalia dem russischen Portal meduza.io. Sein Vater Dmitri bezeichnet die Festnahme als einen staatlichen «Terrorakt».

  • 16 Uhr

    Wer ist Roman Protassewitsch?

    Der in Belarus festgenommene Roman Protassewitsch ist ein gutes Beispiel für viele junge Menschen in der Ex-Sowjetrepublik, die nach einem Leben in Freiheit streben. Der 26-Jährige ist schon seit Teenager-Zeiten politisch aktiv. Einem grösseren Publikum wurde er bekannt als Mitbegründer des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta (gesprochen Nechta), der 2020 zur Zeit der Massenproteste in Belarus gegen Machthaber Alexander Lukaschenko ein Millionenpublikum erreichte.

    Zum Ärger von Lukaschenko gab der Kanal immer wieder genaue Hinweise zu Uhrzeiten und Routen der Protestmärsche in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Seit die Behörden den Kanal im vergangenen Jahr als extremistisch einstuften und verboten, läuft auch die politische Verfolgung der Blogger auf Hochtouren.

    Roman Protassewitsch im November 2019.
    Roman Protassewitsch im November 2019.
    Bild: --/Euroradio/AP/dpa

    Protassewitsch zog 2019 nach Polen, nachdem er in seiner autoritär regierten Heimat ein Journalistikstudium abbrechen musste, weil er an Protesten teilgenommen hatte. Später erhielt der politisch aktive Blogger in Litauen Asyl. Dort lebt auch seine ebenfalls festgenommene Freundin Sofia Sapega. Die 23-jährige Russin studiert in der litauischen Hauptstadt Vilnius.

    Protassewitsch verliess Nexta im vergangenen Jahr und gründete bei Telegram den politischen Kanal @belamova, um seine Karriere als Journalist voranzutreiben. Dabei pflegte er auch enge Kontakte mit der belarussischen Opposition im Exil, darunter deren Anführerin Swetlana Tichanowskaja, die viele als Siegerin der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr ansehen. Zuletzt war Protassewitsch auch Mitglied einer Delegation Tichanowskajas beim Wirtschaftsforum Delphi in Griechenland.

  • 15.15 Uhr

    Russland III: Schema F

    Moskau reagiert auf Kritik am weissrussischen Vorgehen nach dem Schema F: Der Gegenvorwurf ist die beste Verteidigung – und der Gegenstand der Diskussion an sich rückt so ganz nebenbei in den Hintergrund. Zumindest verfährt «Russia Today» so.

    Mit Blick auf die internationale Empörung über die Tatsache, dass ein internationaler Flug unter fadenscheiniger Begründung zur Landung gezwungen wurde, verweist der Staatssender auf den Fall Edward Snowden im Juli 2013. Damals hatten die USA dafür gesorgt, dass das Flugzeug des damaligen bolivianischen Präsidenten in Österreich landet.

    Der Grund: Präsident Evo Morales hatte Snowden Asyl in Aussicht gestellt und war auf einer Energie-Konferenz in Moskau. Washington hatte angenommen, der Whistleblower sei in der Maschine von Morales, doch die Untersuchung des Jets war erfolglos. Gegen den fragwürdigen Vorgang protestierten südamerikanische Länder, während die EU damals natürlich schwieg.

    3. Juli 2013: Die Staatsmaschine von Evo Morales auf dem Wiener Flughafen.
    3. Juli 2013: Die Staatsmaschine von Evo Morales auf dem Wiener Flughafen.
    KEYSTONE

    Das mag stimmen – aber wenn es danach ginge, könnte man die Grundrechte in Europa eigentlich gleich ad acta legen.

  • 14.45 Uhr

    Russland II: Nawalny im Fadenkreuz

    Apropos Opposition: Der Belarus-Bruderstaat Russland geht ebenfalls juristisch gegen Kritiker vor, wie der Fall von Alexei Nawalny zeigt.

    Die Behörden haben drei neue Strafuntersuchungen gegen ihn aufgenommen, meldete Nawalny via Instagram. «Ich werde von Tag zu Tag ein üblerer Krimineller – nicht dass ihr denkt, dass ich nur in meiner Zelle sitze, Tee trinke und gar nichts mache», schrieb er sarkastisch.

    Kein Herz für Opposition: Nawalny-Graffiti in St. Petersburg Ende April 2021. 
    Kein Herz für Opposition: Nawalny-Graffiti in St. Petersburg Ende April 2021. 
    KEYSTONE

    Gegenstand der Untersuchungen sind demnach verschwundene Spenden seiner Stiftung FBK, die gegen Korruption vorgeht, Verstoss gegen die Menschenrechte und Beleidigung eines Richters während eines vorherigen Prozesses.

  • 14.30 Uhr

    Russland I: Konfrontation mit der EU

    Natürlich behandelt dieser Live-Ticker die abenteuerliche Verhaftung eines jungen oppositionellen Bloggers in Belarus. Doch das dortige rückständige Regime könnte sich ohne Rückendeckung aus Moskau heute wohl nur schwerlich an der Macht halten: Alexander Lukaschenko ist immerhin der letzte lupenreine Diktator Europas.

    Deshalb hier ein Trio von Russland-Meldungen, die das Bild womöglich abrunden. Hier ein übergeordneter Polit-Aspekt: Die EU Staatschefs haben bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel scharfe Kritik an der Politik Russlands geübt. Der Europäische Rat verurteile «die illegalen, provokativen und disruptiven russischen Aktivitäten gegen die EU, ihre Mitgliedstaaten und darüber hinaus», heisst es in einer in der Nacht zum Dienstag beim EU-Gipfel in Brüssel angenommenen Erklärung.

    Als Beispiele für die russischen Aktivitäten gelten für die EU zum Beispiel Hackerangriffe und Geheimdienstoperationen. So beschuldigte jüngst Tschechien russische Dienste, für Explosionen in einem Munitionslager in Vrbetice im Osten des Landes im Jahr 2014 verantwortlich zu sein. Zudem verurteilt die EU unter anderem Russlands anhaltende Einmischung in den Ukraine-Konflikt.

  • 13.45 Uhr

    Zusammenfassung

    Ein aktueller, fünfminütige Bericht der britischen «BBC»: Interessant ist die Aussage des Brüssler Korrespondenten, dass die neuen EU-Sanktionen keine grossen Auswirkungen haben werden, weil bereits Handelsbeschränkungen wegen der Unterdrückung der Opposition bestehen.

  • 13.15 Uhr

    Deutliche Reaktionen bei den europäischen Nachbarn

    Der Vorfall in Minsk belastet die Beziehung von Belarus und den westlichen Nachbarländern schwer. Das zeigt sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen.

    Weissrussland hat etwa das komplette Botschaftspersonal Lettlands ausgewiesen. Nur eine Person darf bleiben, um sich um das Botschaftsgelände zu kümmern.

    Litauen wiederum reagiert auf sportlichen Niveau: Ein geplanter Fussballmatch der U-21 gegen das Team Belarus wurde abgesagt. Die Premierministerin des Landes wurde deutlich: Wenn es um Lukaschenko gehe, sei «niemand sicher», bekundete Ingrida Simonytė  «Politico».

    «Man kann nicht einfach ignorieren, dass jemand Mitten in Europa tatsächlich ein Flugzeug durch falsche Anklagen grounden und Menschen gefährden kann», sagte sie. «Wir sind zwar glücklich, dass wir unsere Leute zurückbekommen haben, aber das ist noch nicht das Ende der Geschichte – und das sollte auch nicht das Ende der Geschichte sein.»

    Solidaritätsbekundungen für Protassewitsch am gestrigen 24. Mai in Warschau.
    Solidaritätsbekundungen für Protassewitsch am gestrigen 24. Mai in Warschau.
    KEYSTONE

    Auch Polen ist betroffen. Nicht nur, weil es an Belarus grenzt, sondern auch, weil die Ryanair-Maschine dort registriert ist. Der polnische Generalstaatsanwalt hat gestern deshalb eine Untersuchung der Sache angeordnet. 

  • 12.45 Uhr

    Blessuren sichtbar

    Es gebe keinen Zweifel, dass Protassewitsch im Gefängnis gefoltert werde, schrieb die Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja bei Telegram. Die Opposition vermutet, dass er für das Video zu einem «Geständnis» gezwungen worden sei.

    Der mit einigen Blessuren gezeichnete Blogger sagte, er werde mit den Ermittlern zusammenarbeiten und «Geständnisse über die Organisation von Massenunruhen in der Stadt Minsk» abgeben. Die Wunden sind trotz des Einsatzes von Puder klar erkennbar. Verwandte stellten zudem klar, dass der 26-Jährige jene Zigaretten nicht rauche, die auf dem Tisch zu sehen sind.

    Screenshot eines Videos von Roman Protassewitsch in weissrussischer Haft, in dem der Blogger «gesteht» – Angehörige sind sich sicher, dass es unter Zwang aufgenommen wurde.
    Screenshot eines Videos von Roman Protassewitsch in weissrussischer Haft, in dem der Blogger «gesteht» – Angehörige sind sich sicher, dass es unter Zwang aufgenommen wurde.
    Via DPA

    Protassewitsch gehört zu den Mitbegründern des regierungskritischen Nachrichtenkanals Nexta. Die Behörden in Belarus stufen Nexta als extremistisch ein. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der Wahl immer wieder zu den Massenprotesten gegen Lukaschenko aufgerufen.

    Es ist möglich, dass dem Gefangenen die Todesstrafe blüht: Ihm werden seit November die Organisation von Massenunruhen, grobe Störung der öffentlichen Ordnung und des sozialen Friedens vorgeworfen.

    Er gilt für dem weissrussichen KGB als «Terrorist». Der Geheimdienst hatte offenbar drei Agenten an Bord von Flug 4978: Bei der Ankunft der Maschine in Vilnius fehlten insgesamt fünf Passagiere. 

  • 12.15 Uhr

    Belarus isoliert

    Die EU hat Flugzeugen aus Belarus ein Landeverbot erteilt – und wer die Lage auf flightradar24 überblickt, sieht, dass nur noch russische Fluglinien und Privatjets über das Land fliegen.

  • 12 Uhr

    «Tut das nicht, sie werden mich töten!»

    Eine Passagierin hat «Politico» geschildert, was sich an Bord des Fluges 4978 zugetragen hat, nachdem die Notlandung durchgesagt wurde. «Hinter mir stand ein Mann auf und sagte, er wolle mit dem Stewart reden. Er war schockiert und verängstigt.»

    Roman Protassewitsch habe das Personal angefleht: «Tut das nicht, sie werden mich töten! Ich bin Flüchtling.» Die Crew habe ihm dann beschieden, dass sie rechtlich gebunden und die Minsk-Landung unausweichlich sei.

    «Sie werden mich töten»: Verhaftung von Roman Protassewitsch im März 2017 bei einer Demonstration in Minsk.
    «Sie werden mich töten»: Verhaftung von Roman Protassewitsch im März 2017 bei einer Demonstration in Minsk.
    KEYSTONE

    Nach dem Aufsetzen mussten die Passagiere das Flugzeug in Fünfer-Gruppen verlassen. «Roman war bei uns. Nachdem wir angekommen sind, haben sie ihn und seine Freundin mitgenommen – alles sehr diskret», erzählt eine andere Ryanair-Kundin. «Er war sehr ruhig, hat nicht geschrien. Er ist ihnen gefolgt und hat sich wohl in sein Schicksal gefügt.»

    Die anderen Fluggäste wurden rund sieben Stunden aufgehalten, ohne zur Toilette gehen oder etwas trinken zu können. «Alles, um diese Show aufzuziehen, dass sie tatsächlich irgendwas suchen», so die zweite Augenzeugin. «Dabei wollten sie bloss diesen Typen. Es war ein Zirkus, ein Fiasko.»

  • 11.25 Uhr

    Morddrohungen gegen Mitstreiter

    Nach der erzwungenen Landung einer Passagiermaschine in Minsk bekommt ein Mitstreiter des inhaftierten belarussischen Bloggers Roman Protassewitch nach eigenen Angaben Morddrohungen.

    «Sie schreiben mir, dass wir als Nächstes an der Reihe sind, dass man uns nicht nach Belarus entführen, sondern in Warschau erschiessen wird», sagte Blogger Stepan Putilo der polnischen Zeitung «Rzeczpospolita».

    Die Blogger Stepan Putilo (22) und Roman Protassewitsch (26, Bildmitte) haben «Nexta» gegründet: Nach Protassewitschs Verhaftung erhält Putilo nun Morddrohungen.
    Die Blogger Stepan Putilo (22) und Roman Protassewitsch (26, Bildmitte) haben «Nexta» gegründet: Nach Protassewitschs Verhaftung erhält Putilo nun Morddrohungen.
    KEYSTONE

    Der 22-jährige Putilo war gemeinsam mit Protassewitsch Gründer des Portals «Nexta» im Nachrichtenkanal Telegram, der während der Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko im vergangenen Jahr zur wichtigsten Informationsquelle der Opposition wurde. Die Redaktion hat ihren Sitz in Warschau. Protassewitsch schied Ende 2020 bei «Nexta» aus.

    Protassewitsch hatte sich am Montag per Video aus einem Untersuchungsgefängnis in Minsk gemeldet. In der Haft erwarte ihn Folter, sagte der Blogger Putilo. «Sie könnten auch verbotene Substanzen verwenden, um ihn zum Reden zu bringen.»

  • 11.15 Uhr

    Hamas dementiert

    Die Beamten des weissrussischen Diktators Alexander Lukaschenko haben die erzwungene Landung mit einer Bombendrohung begründet: Die Beschuldigten haben nun jedoch weit von sich gewiesen, mit der Sache zu tun zu haben.

    Hunde schnüffeln am 23. Mai in Minsk am Gepäck der Passagiere des Ryanair-Fluges 4978: Eine Bombe wurde dabei nicht gefunden.
    Hunde schnüffeln am 23. Mai in Minsk am Gepäck der Passagiere des Ryanair-Fluges 4978: Eine Bombe wurde dabei nicht gefunden.
    KEYSTONE

    Die islamistische Hamas, die Belarus beschuldigt hat, dementiert gegenüber «Bloomberg» jegliche Beteiligung: «Das stimmt überhaupt nicht und Hamas macht sowas nie», versichert Sprecher Hazem Qassem auf deren Nachfrage.

  • 10.30 Uhr

    Auch sein Vater glaubt an Folter

    Der Vater des inhaftierten Oppositionellen äussert sich am späten Montag erstmals zur Inhaftierung seines Sohnes. Er glaube, dass sein Sohn in dem Video zu einem Schuldeingeständnis durch Anwendung von Gewalt gezwungen worden sei, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. «Es ist möglich, dass seine Nase gebrochen ist, denn ihre Form ist anders, und es ist eine Menge Puder darauf. Die ganze linke Seite seines Gesichts ist abgepudert», sagte Dsmitri Protassewitsch in dem Interview.

    «Es sind nicht seine Worte, es ist nicht sein Tonfall. Er verhält sich sehr reserviert und man sieht, dass er nervös ist.» Und es sei nicht seine Zigarettenschachtel auf dem Tisch – «die raucht er nicht», sagt der Vater weiter. Er denke deshalb, dass sein Sohn zu der Aussage, er habe die Proteste in Belarus angestachelt, gezwungen wurde.

    Die Inhaftierung seines Sohnes sei ein Akt der Vergeltung und solle Regierungskritikern zeigen: «Schaut, wozu wir in der Lage sind.» Was hier passiere sein «totaler Irrsinn», sagte Protassewitschs Vater.

  • 10.15 Uht

    Tichanowskaja: Protassewitsch wird gefoltert

    Die belarussische Bürgerrechtlerin Swetlana Tichanowskaja vermutet, dass der festgenommene Blogger Roman Protassewitsch im Gefängnis gefoltert wird. Die internationale Gemeinschaft müsse nun über gemeinsame Schritte diskutieren, «um die Täter vor Gericht zu stellen», schrieb Tichanowskaja am Dienstag im Nachrichtenkanal Telegram.

    Zugleich forderte sie die sofortige Freilassung des 26-Jährigen und auch anderer politischer Gefangener in Belarus. Tichanowskaja lebt in Litauen im Exil. In einem am Montagabend in Belarus verbreiteten Video sagte der Blogger, er werde weiter mit den Ermittlern zusammenarbeiten und «Geständnisse über die Organisation von Massenunruhen in der Stadt Minsk» abgeben.

    Nach Einschätzung der Opposition wurde Protassewitsch zu den Aussagen vor laufender Kamera gezwungen. Es seien Spuren von Schlägen sichtbar gewesen. Tichanowskaja rief die USA nach einem Telefonat mit Präsident Joe Bidens Nationalem Sicherheitsberater Jake Sullivan auf, eine Untersuchung wegen Flugzeugentführung und der Festnahme von Protassewitsch einzuleiten.

    Beileibe kein Heiliger: Der weissrussische Präsident Alexander Lukaschenko Anfang Mai in Minsk.
    Beileibe kein Heiliger: Der weissrussische Präsident Alexander Lukaschenko Anfang Mai in Minsk.
    KEYSTONE

    Sie verwies auf das Vorgehen der autoritären Führung in Minsk gegen unabhängige Medien. «All das ist Ergebnis der Straflosigkeit des Regimes und des Fehlens einer entschiedenen Reaktion der internationalen Gemeinschaft.»

  • 10 Uhr

    Internationale Pressestimmen am Dienstag

    Die «New York Times» schreibt: «Alexander Lukaschenko, der Präsident von Belarus, ist zu weit gegangen. Ein Verkehrsflugzeug zu entführen, um einen oppositionellen Journalisten zu entführen, ist einfach ein zu gefährlicher Verstoss gegen internationale Normen, als dass die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und andere verantwortungsvolle Länder dies ohne ernsthafte Konsequenzen durchgehen lassen könnten. Die Reaktion sollte schnell erfolgen. Aber die Episode unterstreicht auch eine beunruhigende Realität: Autokraten, die ihre repressiven Methoden über internationale Grenzen hinweg ausweiten wollen, sehen sich zunehmend darin bestärkt, dies zu tun. Abschreckung hat in viel zu vielen Fällen versagt.»

    Die französische Regionalzeitung «Dernières Nouvelles d'Alsace» (DNA): «Die Flugzeugumleitung, die einem Hollywoodfilm entsprungen sein könnte, ist ein beängstigender Präzedenzfall – sogar in diesem Teil der Welt, in dem sich einige Regierungen nicht um das internationale Recht scheren, wenn sie ihre Gegner terrorisieren wollen. Denn genau darum geht es: Zu zeigen, dass niemand ausser Reichweite des Regimes ist, niemals und nirgendwo. Selbst nicht in mehr als 10'000 Metern Höhe. Angst ist immer der sicherste Weg, (...) um an der Macht zu bleiben.»

    Die niederländische Zeitung «de Volkskrant»: «Nur Russland steht noch hinter Belarus und Alexander Lukaschenko. Russlands Aussenminister Sergej Lawrow lobte seinen belarussischen Amtskollegen für dessen Versprechen, bei der Klärung der Zwangslandung Transparenz zu zeigen. Vor den betrügerischen Wahlen in Belarus im August 2020 fasste die EU Lukaschenko mit Samthandschuhen an, um ihn nicht in die Arme von Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu treiben. Das ist inzwischen Vergangenheit. Um politisch zu überleben, hat Lukaschenko vor Putin kapituliert.»

    Die slowakische Tageszeitung «Pravda» schreibt: «Die Entführung eines zivilen Flugzeugs im weissrussischen Luftraum war ein Akt des staatlichen Terrorismus. Anders lässt sich die erzwungene Landung der Ryanair-Maschine in Minsk nicht nennen. Das angebliche Telefonat, dass sich eine Bombe an Bord befinden könne, war nur ein Vorwand für die Festnahme des oppositionellen Medienaktivisten Roman Protassewitsch auch um den Preis einer beispiellosen Verletzung des internationalen Rechts in der Zivilluftfahrt.»

    Die dänische Tageszeitung «Politiken» kommentiert: «Die Behörden haben die Aktion mit Gefahr an Bord des Fluges begründet. So ein Quatsch! Das war ein neuer Angriff auf eine Opposition, die nichts anderes fordert als Demokratie. Aber dieses Mal ist das mehr gewesen. Die Welt ist Zeuge einer Runde belarussischer Staatspiraterie – einer Form von Staatsterrorismus – gegen ein Zivilflugzeug geworden, das auf einer Route zwischen zwei EU- und Nato-Ländern gewesen ist.»

  • 9.45 Uhr

    USA erwägen Sanktionen

    US-Präsident Joe Biden hat die erzwungene Landung auf das Schärfste verurteilt. Mit Blick auf mögliche Sanktionen gegen Belarus erklärte Biden, er habe sein Team angewiesen, «angemessene Optionen» zu entwickeln, «um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen». 

    Der Blogger Roman Protassewitsch und alle weiteren politischen Gefangenen müssten umgehend freigelassen werden, forderte der US-Präsident. Das «offenbar unter Zwang» entstandene Video von Protassewitsch nach seiner Festnahme sei ein «schändlicher Angriff» auf politisch Andersdenkende und die Pressefreiheit. Der Präsident erklärte, er unterstütze die Forderung nach einer internationalen Untersuchung des Vorfalls. 

    Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan sprach zudem mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, wie das Weisse Haus mitteilte. Die USA unterstützten die Forderung der Menschen in Belarus nach «Demokratie, Menschenrechten und grundlegenden Freiheitsrechten», versicherte Sullivan ihr demnach.

    Die USA werden «das Regime» von Präsident Alexander Lukaschenko zur Rechenschaft ziehen, wie es weiter hiess. Sullivan und Aussenminister Antony Blinken sprachen auch mit Irlands Aussenminister Simon Coveney.

  • 9.30 Uhr

    EU verhängt Flugverbot

    Als Antwort auf die erzwungene Landung einer Passagiermaschine in Minsk verhängt die Europäische Union ein Flug- und Landeverbot gegen belarussische Airlines. Dies ist Teil eines neuen Sanktionspakets gegen Belarus, auf das sich die 27 Staaten in der Nacht zum Dienstag beim EU-Sondergipfel in Brüssel einigten.

    «Das Urteil war einstimmig, dies ist ein Angriff auf die Demokratie, dies ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und dies ist ein Angriff auf die europäische Souveränität», sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. «Dieses ungeheuerliche Verhalten bedarf einer starken Antwort.»

    Die EU erweitert zudem die bestehende Liste mit Personen und Unternehmen, gegen die Vermögenssperren und Einreiseverbote gelten. Wegen der gewaltsamen Unterdrückung von Protesten hatte die EU bereits vor Monaten Sanktionen gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und dessen Unterstützer verhängt.