Klimaforscher über Extrem-Hitze «2023 wird in fünfzig Jahren als noch kühles Jahr gelten»

Von Gil Bieler

19.7.2023

Über 40 Grad in Südosteuropa, rekordheisse Weltmeere – die Klimaerhitzung schlägt gerade voll durch. Wie die Schweiz all das zu spüren bekommt, erklärt Klimaforscher Thomas Frölicher von der Uni Bern.

Von Gil Bieler

19.7.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Südosteuropa ächzt unter einer hartnäckigen Hitzewelle mit Temperaturen von teils weit über 40 Grad.
  • In den Weltmeeren waren zuletzt so hohe Temperaturen gemessen worden wie noch nie. 
  • Das sei «das neue Normal» in Zeiten des Klimawandels, sagt der Chef der UNO-Meteorologiebehörde WMO.
  • Der Berner Klimaforscher Thomas Frölicher stützt diese Aussage. Auch in der Schweiz werde der Sommer künftig tendenziell trockener und heisser.
  • Er erklärt ausserdem, wieso wir in der Schweiz die Erwärmung des Mittelmeers zu spüren bekommen und weshalb sich die Weltgemeinschaft beim Schutz der Ozonschicht besser schlug als jetzt beim Kampf gegen den Klimawandel.

«Diese Hitzewelle ist das neue Normal», sagt der Chef der Weltorganisation für Meteorologie, Petteri Taalas. Stimmen Sie zu?

Ja, wobei ich festhalten möchte: Ich mag diesen Begriff nicht. Das Normal sollte nicht so aussehen. Das neue Normal stellt sich nur wegen des menschengemachten Klimawandels ein. Und wenn wir weiterhin Treibhausgase emittieren, wird sich die Erhitzung fortsetzen. 2023 wird dann als kühles Jahr gelten, wenn wir in 50 Jahren zurückblicken.

Auffällig ist, wie sehr UNO-Fachleute inzwischen betonen, man müsse die Anpassungen an die neuen Gegebenheiten vorantreiben. Ist das ein Eingeständnis, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu erreichen ist?

Zur Person
zVg

Thomas Frölicher ist Professor für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern und fungierte auch schon als Hauptautor eines Berichts des Weltklimarats IPCC.

Die Erde hat sich seit der vorindustriellen Zeit, bevor der Mensch ins Klimageschehen eingegriffen hat, um 1,2 Grad erwärmt. Wir befinden uns also nur noch 0,3 Grad entfernt von der Grenze, die im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurde. Die weltweiten CO2-Emissionen haben in den letzten Jahren zwar ein Plateau erreicht – aber auf dem höchsten Niveau, das je gemessen wurde. Dabei müssten wir auf Netto-null bei den CO2-Emissionen kommen, um die Erwärmung zu stoppen, doch davon sind wir weit entfernt. Und das Zeitfenster schliesst sich rasant. Das heisst: Das 1,5-Grad-Ziel ist in Gefahr und bereits in wenigen Jahren überschritten, wenn wir weiterhin CO₂ emittieren wie bisher.

In Südosteuropa klettern die Temperaturen auf teils weit über 40 Grad, der Sommer in der Schweiz ist heiss und trocken: Sind das Szenarien, die so zu erwarten waren?

Ja, diese neuesten Hitzewellen in China, in Süditalien und generell im Mittelmeerraum kommen aus Sicht eines Klimaforschers nicht überraschend. Es ist halt so: Stossen wir weiter Treibhausgase aus, nimmt die Häufigkeit, die Intensität und Dauer solcher Hitzewellen zu – über Land und über dem Meer. Auch starke Niederschläge, Dürreperioden und Waldbrände werden häufiger eintreten. Kommt hinzu, dass es in diesem Jahr eine Sonderheit gibt.

Welche wäre das?

Der globale Klimawandel ist etwas Langfristiges. In diesem Jahr aber findet der Wechsel eines globalen Klimaphänomens statt, das diese Effekte in den kommenden Jahren zusätzlich verstärkt. Wir befinden uns im Übergang von der eher kühlenden La Niña zum eher aufheizenden El Niño. Der Klimawandel wird dadurch in den nächsten Jahren noch beschleunigt.

Auch die Oberfläche der Weltmeere ist deutlich zu warm, stellenweise um bis zu 5 Grad. Was bedeutet diese Entwicklung?

Mit 21,1 Grad wurde im April die weltweit höchste durchschnittliche Meerestemperatur gemessen seit Beginn der Satelliten-Aufzeichnungen. Vor allem im Nordatlantik und im Mittelmeer ist die Oberflächentemperatur sehr hoch. Eine solch starke Hitzewelle gab es im Meer noch nie – und ohne die menschengemachte Klimaerwärmung wäre sie auch nie vorgekommen. 

Was sind die Folgen?

Primär hat das schädliche Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme. Man hat bereits in früheren Hitzewellen gesehen, dass dies zu einer erhöhten Sterblichkeit von Fischen, Vögeln und Meeressäugern führt, zu Algenteppichen, zum Ausbleichen von Korallen, und ganze Fischgemeinschaften können in kältere Gewässer abwandern. Zusätzlich führt ein warmes Meer zu mehr Verdunstung und damit zu mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre. Wenn sich diese Feuchtigkeit über Land entlädt, spüren wir das auch in der Schweiz in Form von vermehrten starken Niederschlägen.

3. Juli 2023: Der weltweit heisseste Tag der Geschichte

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Forschern aus den USA zufolge war der Montag, 3. Juli 2023, der weltweit bislang heisseste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen. Die durchschnittliche globale Temperatur habe 17,01 Grad Celsius erreicht.

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Dann spüren wir die Erwärmung des Mittelmeers bis in die Schweiz?

Genau, und nicht nur in Form von Niederschlägen: Normalerweise hat das Meer eine kühlende Wirkung, doch weil es jetzt so warm ist, fällt diese weg. Dadurch heizt sich auch das Land weiter auf.

Was bedeutet das: Wird jetzt jeder Schweizer Sommer heiss, trocken und gewittrig?

Es gibt natürlich weiterhin Schwankungen, aber ein Sommer wie jetzt wird in den nächsten fünfzig Jahren viel häufiger vorkommen als noch heute.

Gibt es auch hierzulande künftig Temperaturen von 40 Grad und mehr?

Ich denke schon. Unter der Führung der MeteoSchweiz, dem Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, wurde vor fünf Jahren der Bericht «CH 2018» veröffentlicht. Dieser zeigt: Machen wir nichts gegen den Klimawandel, werden Hitzewellen von 40 Grad und mehr in der Schweiz vorkommen. In einem Szenario, in dem die globale Erwärmung auf 2 Grad beschränkt werden kann, sinkt diese Wahrscheinlichkeit markant. Aber generell wird die Intensität und Häufigkeit von Hitzewellen auch hierzulande zunehmen.

Eine andere Meldung aus jüngster Zeit weckt dagegen Hoffnung: Das Ozonloch schliesst sich weiter. Wie konnte hier die Wende gelingen?

Beim Ozonloch hat sich die internationale Gemeinschaft zusammengerauft und den Ausstoss der schädlichen FCKW-Gase verboten. Beim Pariser Klimaabkommen scheint dieser Schulterschluss nicht gelungen zu sein.

Woran liegt’s?

Es gibt wesentliche Unterschiede. FCKWs wurden in einem überschaubaren Sektor der Wirtschaft eingesetzt, etwa als Kältemittel oder in Sprühdosen. Im breiten Anwendungsbereich waren relativ schnell Alternativen gefunden. CO2 dagegen ist aus der Weltwirtschaft noch nicht wegzudenken.

Ein weiterer Unterschied dürfte sein: Für viele Menschen sind die Folgekosten der Klimaerwärmung immer noch abstrakt. Beim Ozonloch dagegen gab es die Angst vor persönlichen direkten gesundheitlichen Folgen: FCKW zerstört die Ozonschicht, wodurch UV-Strahlen vermehrt zu Hautkrebs und Augenschäden führen könnten.

Nach all den Warnungen, Berichten und Modellen sagen Sie, die Folgen des Klimawandels seien immer noch abstrakt. Ist das aus wissenschaftlicher Sicht frustrierend?

Nun gut: Ich denke, das Bewusstsein für das Problem des Klimawandels ist da. Nur unser persönliches Handeln passen wir nur teilweise an dieses Wissen an. Das kann schon frustrierend sein.

Sprechen Sie eigentlich vom Klimawandel oder von der Klimakrise?

Klimawandel gab es schon immer. Darunter können auch natürliche Phänomene fallen. Wir sind jetzt aber in einer Phase, die vom menschlichen Einfluss auf das Klimasystem geprägt ist. Ich persönlich würde darum eher von Klimaerhitzung sprechen.