Corona-PandemieSo steht die Schweiz einen Monat nach den grossen Lockerungen da
Von Gil Bieler
26.7.2021
Vor genau einem Monat hat der Bundesrat die Corona-Massnahmen deutlich gelockert. Wie sich die epidemiologische Lage seither entwickelt hat, zeigt ein Blick in die Daten des BAG.
Von Gil Bieler
26.07.2021, 14:13
26.07.2021, 14:40
Gil Bieler
Keine Maskenpflicht mehr im Freien, keine Homeoffice-Pflicht, keine Platzbeschränkungen mehr in Restaurant-Innenräumen, vereinfachte Einreise in die Schweiz und die Clubs dürfen wieder öffnen: Der Bundesrat ging mit seinen Lockerungen vom 26. Juni weiter als erwartet. «Es ist ein mutiger Schritt», erklärte Bundesrat Alain Berset vor den Medien, der angesichts der positiven epidemiologischen Entwicklung aber drinliege. Zugleich warnte er: «Wir dürfen nicht übermütig werden.»
Seit diesem Lockerungsschritt ist ein Monat vergangen, mit Fussball-EM-Partys und vielen neuen Freiheiten im Alltag. Wie hat sich all das auf die epidemiologische Situation im Land ausgewirkt?
Fallzahlen
Bei den täglichen Corona-Fallzahlen zeigt die Kurve wieder deutlich nach oben. Am 26. Juni waren schweizweit 60 neue Corona-Fälle verzeichnet worden; ein so tiefer Wert wurde seither nie wieder erreicht. Der Tag mit den meisten Fällen war der vergangene Mittwoch mit 867 neuen Corona-Fällen.
Der Anstieg zeigt sich auch beim Sieben-Tage-Schnitt: Dieser lag am 26. Juni bei 103,57 Fällen. Seither kletterte er beständig an und lag zuletzt bei 679,86, Fällen, wie die neuesten Zahlen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) vom Montag zeigen.
Aufgeschlüsselt nach Alter zeigt sich: Am häufigsten stecken sich mittlerweile Personen zwischen 20 und 29 Jahren an, gefolgt von den 10- bis 19-Jährigen. Dank der hohen Durchimpfung werden ältere Semester weitaus seltener infiziert.
Virus-Varianten
Als Hauptursache der neuerlich ansteigenden Fallzahlen gilt vor allem die Delta-Variante des Coronavirus, die deutlich ansteckender ist als der Wildtyp und auch in anderen Ländern zu einem Anstieg der Fallzahlen und vielerorts auch zu einer neuerlichen Verschärfung der Schutzmassnahmen geführt hat. In der Schweiz ist ihr Anteil am Infektionsgeschehen diesen Sommer geradewegs explodiert und beträgt aktuell 96,7 Prozent, wie die gelbe Linie zeigt.
Die wissenschaftliche Covid-Taskforce des Bundes sieht in den steigenden Fallzahlen aber auch eine Folge der Politik des Bundesrats. Sie nennt «die Lockerungen der Eindämmungsmassnahmen vom 26.06.2021 mit einer Zunahme der Kontakte und Mobilität» in ihrem neuesten Lagebericht explizit als Treiber der Pandemie.
Spitaleinweisungen
Steigende Fallzahlen allein seien noch kein Grund zur Panik, sagen Experten. So sagte Jürg Utzinger, Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts in Basel, im Interview mit «blue News»: «Momentan gibt es von meiner Seite her aber noch keinen Grund zur Aufregung.» Man dürfe nicht allein auf die Fallzahlen schauen, sondern müsse verschiedene Indikatoren im Blick behalten.
Ähnlich argumentierte auch Patrick Mathys vom BAG vergangene Woche und betonte, es gebe noch keine verlässlichen Daten dazu, wie sich die nun dominante Delta-Variante auf die schweren Krankheitsverläufe auswirke.
Einige Kennziffern zur Situation in den Spitälern liefert das BAG gleichwohl: Seit dem letzten Lockerungsschritt ist auch die Zahl der Hospitalisierungen gestiegen – wenn auch auf tiefem Niveau. Bewegte sich die Zahl der täglichen Spitaleinweisungen bis zum 11. Juli noch bei maximal fünf, waren es am 17. Juli erstmals wieder zehn.
Der Blick auf das Alter der Spitalpatient*innen zeigt: Am häufigsten mussten zuletzt die 60- bis 69-Jährigen hospitalisiert werden, gefolgt von den 40- bis 49-Jährigen. Jüngere müssen sich nur selten in Spitalpflege begeben, obschon der Hauptanteil der Infektionen auf sie entfällt (siehe oben).
Das BAG betont jedoch, dass die Zahl der Hospitalisierungen mit Vorsicht zu geniessen sei. Denn aufgrund von Nachmeldungen können sich diese im Nachhinein nochmals ändern. So passte das BAG etwa am heutigen Montag den Wert für den 6. Juli nochmals an.
Intensivstationen
Das Ziel der Corona-Strategie der Schweiz sei es, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, betonte Patrick Mathys vom BAG vergangene Woche vor den Medien. Wie also steht es um die Auslastung auf den Intensivstationen? Dort zeigt sich seit dem letzten Öffnungsschritt ein relativ stabiles Bild.
Am 26. Juni waren dem Bund noch 267 Betten als frei gemeldet worden, 44 Patient*innen lagen im Zusammenhang mit einer Covid-Erkrankung auf der Intensivstation. Am 23. Juli waren es 253 freie Betten und 32 Covid-Patient*innen. Auch der 15-Tage-Schnitt verblieb auf demselben Niveau, wie die blauen Linien auf der Grafik zeigen.
Am höchsten ist die Auslastung der Intensivstationen aktuell im Kanton Glarus, mit einem Wert von 100 Prozent sind alle Betten belegt. Auch Zug erreicht mit 87,5 Prozent eine sehr hohe Auslastung. In Basel-Land beträgt dieser Wert nur 31,2 Prozent.
Todesfälle
Als letztes noch ein Blick auf die Todesfälle. Insgesamt starben seit dem letzten Öffnungsschritt zwölf Menschen in Verbindung mit dem Coronavirus. Am häufigsten verstarben Personen in den Altersklassen ab 60 aufwärts. Bei den unter 39-Jährigen verzeichnet das BAG gar keinen solchen Fall.
Das heisst?
Die Fallzahlen steigen also seit dem letzten Öffnungsschritt klar an, die Situation in den Spitälern scheint aber noch unter Kontrolle. Man müsse nun die Infektionszahlen genau im Auge behalten, rät Tropen-Institut-Direktor Jürg Utzinger – «und natürlich ist es sinnvoll, das Infektionsgeschehen so tief wie möglich zu halten. So wird nämlich auch das Risiko, dass neue Varianten entstehen und sich ausbreiten, stark eingeschränkt.» Sollte es Anzeichen geben, dass die Situation «aus dem Ruder laufen» könnte, müsse man aber sofort reagieren.
Die wissenschaftliche Covid-Taskforce des Bundes schlägt indes warnendere Töne an: Es sei «essentiell, Entscheidungen [zu den Corona-Massnahmen] nicht nur auf die Entwicklung der Hospitalisationen abzustützen», hält sie in ihrem neuesten Lagebericht fest. Sie mahnt insbesondere zu mehr Tempo bei der Durchimpfung, um eine neuerlich hohe Infektionswelle und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern.
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