Gewinner, Verlierer, Corona Drei Erkenntnisse aus dem Abstimmungstag

Von Alex Rudolf

14.2.2022

Am letzten Abstimmungssonntag war die Stimmbeteiligung geringer als im Vorjahr, als Spitzenwerte gemessen wurden. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Am letzten Abstimmungssonntag war die Stimmbeteiligung geringer als im Vorjahr, als Spitzenwerte gemessen wurden. (KEYSTONE/Anthony Anex)
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Obwohl der Ausgang des Wahl- und Abstimmungssonntags kaum überrascht hat, lässt sich aus den Ergebnissen so einiges ablesen. blue News zieht die wichtigsten Schlüsse.

Von Alex Rudolf

Müsste man den letzten Wahlsonntag zusammenfassen, liesse sich sagen: Das Stimmvolk ist mit der Arbeit von Bundesrat und Parlament unzufrieden und die Parteien mit «Grün» im Namen setzen ihren Siegeszug von 2018 fort. So verlor die Landesregierung drei von vier Vorlagen und die Grünen und Grünliberalen waren die grossen Siegerinnen der Lokalwahlen in Zürich und Winterthur.

Welche Kenntnisse lassen sich aus dem Abstimmungssonntag ziehen? Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

1. Die Pol-Parteien haben in Zürich und Winterthur verloren, die Grünen und die Grünliberalen legen zu. Setzt sich der Trend der nationalen Wahlen von 2023 fort?

«Die grünen Themen bleiben für viele Wähler*innen zentral», sagt Politologe Mark Balsiger zu blue News. Seit rund fünf Jahren lasse sich beobachten, dass die Nachhaltigkeitsparteien konstant zulegen. «Was eine Vorhersage für die nationalen Wahlen angeht, bin ich jedoch vorsichtig», sagt er weiter. Vorerst wählen im Frühling die Kantone Bern und Waadt – nach Zürich die zweit- und drittgrössten Kantone hinsichtlich Bevölkerung. Danach lasse sich vermutlich ein Trend für die nationalen Wahlen 2023 erkennen, so Balsiger.

Für den Politologen Nenad Stojanovic steht fest, dass man aus solchen Lokalwahlen – auch wenn sie in den grossen Städten des bevölkerungsreichsten Kantons durchgeführt wurden – nicht allzu viel herauslesen sollte. «Aus politischer Sicht ist Zürich ein sehr spezifisch städtisch geprägter Ort, der kaum repräsentativ für die Schweiz ist», sagt er. «Der Kanton Aargau und dessen Abstimmungs- und Wahlverhalten ist am ehesten mit jenem der Gesamtschweiz vergleichbar.»

«Es ist viel einfacher, die Botschaften einer Nein-Kampagne zu den Leuten zu bringen.»

Mark Balsiger

Politologe

«Die Resultate der Wahlen in Zürich sind eine Fortsetzung der Trends, die sich seit Jahren zeigen», sagt Thomas Milic, Politologe am Liechtenstein-Institut, zu blue News. Dass dies aber einen erneuten Wahlsieg der Grünen und Grünliberalen 2023 bedeutet, heisse das nicht. «Solche Trends können sich rasch ändern», sagt er. So war an den nationalen Wahlen 2015 ein Sieg der Grünliberalen erwartet worden. Sie verloren jedoch fünf Nationalratsmandate. Dennoch: «Solche mittel- und langfristige Trends, wie es die grüne Welle einer ist, aufzuhalten, ist schwierig.»

Die Grünen und Grünliberalen legen am stärksten zu, die SP sowie die bürgerlichen Parteien verlieren Sitze.
Die Grünen und Grünliberalen legen am stärksten zu, die SP sowie die bürgerlichen Parteien verlieren Sitze.

2. Initiativen und Referenden sind erfolgreich: Was heisst das für die anstehenden Megathemen in der Schweiz?

Glaubt man den Zahlen, haben Bundesrat und Parlament wenig Grund zu Optimismus hinsichtlich der kommenden Abstimmungen. «Von total 14 Referenden, über die das Stimmvolk in der laufenden Legislatur abgestimmt hat, waren deren sechs erfolgreich», so Balsiger. Diese Quote von 43 Prozent zeuge von einem grossen Misstrauen gegenüber der Politik. «Es ist viel einfacher, die Botschaften einer Nein-Kampagne zu den Leuten zu bringen.»

«Dass der Bundesrat Vorlagen verliert, ist in der Schweiz nichts Besonderes.»

Nenad Stojanovic

Politologe

«Dass der Bundesrat Vorlagen verliert, ist in der Schweiz nichts Besonderes», sagt Stojanovic. Dass es an einem Abstimmungssonntag drei von vier sind, sei zwar auffallend, könne aber auch dem Zufall geschuldet sein. «Davon zu sprechen, dass die AHV-Reform einen schweren Stand hat, wäre verfrüht: Vieles hängt davon ab, wie der Abstimmungskampf verläuft.»

Auch Milic will nicht von Misstrauen gegenüber der Regierung sprechen. «Diese Vermutung lässt sich zwar bezüglich der letzten paar Abstimmungssonntage erhärten. Blickt man jedoch auf die Ergebnisse der vergangenen Jahrzehnte, ergibt sich ein anderes Bild.» So hätten die Regierungen in den vergangenen 25 Jahren gelernt, besser auf solche Referenden zu reagieren. 

3. Tiefe Stimmbeteiligung im Vergleich zum Vorjahr: Ist die Politisierung verpufft?

2021 wurde an zwei Abstimmungssonntagen rekordhohe Stimmbeteiligungen registriert. Am 28. November waren es bis zu 65,7 Prozent und am 13. Juni bis zu 59,8 Prozent. Damit rangieren diese beiden Abstimmungssonntage unter den Top 6 mit der höchsten Stimmbeteiligung seit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971. 

Nun kam es jedoch zu einem Einbruch: Am vergangenen Sonntag gaben nur rund 44 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme ab, was in etwa im langjährigen Durchschnitt liegt. War das letzte Jahr eine Ausnahme?

«Die Vorlagen, über die am Sonntag abgestimmt wurde, interessierten nicht im selben Masse wie etwa die Pflege-Initiative oder die Abstimmungen zum Covid-Gesetz.»

Politologe Thomas Milic fühlt sich an die Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative erinnert: «Damals war die SVP auch über ihren Erfolg überrascht, und der Rest der Schweiz stand unter Schock».

Thomas Milic

Politologe

«Ich fand es verfrüht, von einer Politisierung der Gesellschaft zu sprechen», sagt Milic. So habe es bei den jüngeren Wähler*innen tatsächlich eine leichte Erhöhung der Teilhabe gezeigt, diese sei jedoch minim gewesen, so Milic. «Die Vorlagen, über die am Sonntag abgestimmt wurde, interessierten nicht im selben Masse wie etwa die Pflege-Initiative oder die Abstimmungen zum Covid-Gesetz.»