Politologe zum Abstimmungs-Sonntag «Das ist eine herbe Niederlage für den Bundesrat»

Von Lia Pescatore

13.2.2022

Sowohl Bundesrätin Simonetta Sommaruga als auch Bundesrat Ueli Maurer mussten heute in ihrem Departement eine Schlappe hinnehmen. 
Sowohl Bundesrätin Simonetta Sommaruga als auch Bundesrat Ueli Maurer mussten heute in ihrem Departement eine Schlappe hinnehmen. 
KEYSTONE/Peter Schneider

Die Stimmberechtigten sind nur in einer von vier Vorlagen dem Bundesrat gefolgt – laut Politologe Thomas Milic könnte diese Niederlage historisch sein. Generelles Misstrauen sei aber nicht Grund dafür.

Von Lia Pescatore

13.2.2022

Herr Milic, die Bevölkerung ist nur in einer Vorlage der Empfehlung des Bundesrates gefolgt, ist er der grosse Verlierer heute?

Ja, das ist eine herbe Niederlage für den Bundesrat, vielleicht gar historisch. Ich kann mich auf jeden Fall nicht errinnern, dass der Bundesrat an einem Urnengang bei drei von vier Vorlagen verlor. Gleichzeitig glaube ich jedoch nicht, dass es mit einem generellen Misstrauen gegenüber dem Bundesrat zu tun hat. Im Gegenteil: Der Bundesrat geniesst im internationalen Vergleich hohes Vertrauen, vor allem bei technischen Vorlagen. Punktuell ist die Bevölkerung aber anderer Meinung als der Bundesrat. Das war heute bei drei Themen der Fall.

«Die Bürgerlichen haben ein eigentlich ur-linkes Argument vorgebracht.»

Politologe Thomas Milic fühlt sich an die Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative erinnert: «Damals war die SVP auch über ihren Erfolg überrascht, und der Rest der Schweiz stand unter Schock».

Thomas Milic

Politologe

Sie sehen also keinen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie?

Nein, den sehe ich nicht. Klar gibt es einen Teil in der Bevölkerung, der sogar grosses Misstrauen hegt, jedoch gegen die Politik generell, nicht nur gegen den Bundesrat. Deren Anzahl ist aber vergleichsweise gering. Hinzu kommt: Schon vor der Pandemie hatten diese Menschen wenig Vertrauen in die Behörden, waren politikverdrossen und gingen deshalb wohl generell selten abstimmen. Bei den Abstimmungen über das Covid-Gesetz, wo die Stimmbeteiligung hoch war, hat sich hingegen gezeigt, dass eine ziemlich klare Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Bundesrat steht.

Es ist nun aber schon das sechste Referendum diese Legislatur, das erfolgreich ist. Haben die Behörden Mühe, ihre Vorlagen durchzubringen?

Die Entwicklung in den letzten 20 Jahren ging eigentlich eher in die gegenteilige Richtung: Die Volksinitiativen konnten ihre Erfolgschancen beinahe verdoppeln, die fakultativen Referenden hingegen haben an Schlagkraft eingebüsst. Ich würde darum prinzipiell sagen, dem Bundesrat und dem Parlament ist es in dieser Zeitspanne besser gelungen, auf solche Situationen einzugehen, als es vorher der Fall war. Wenn man die letzten 100 Jahre anschaut, so hatten die fakultativen Referenden eine 50:50-Erfolgschance beim Volk. Das hat sich geändert.

Die Bürgerlichen mussten in zwei Vorlagen eine Niederlage hinnehmen, das Referendum gegen das Mediengesetz haben sie hingegen gewonnen. Was haben sie richtig gemacht?

Die Bürgerlichen haben strategisch geschickt das Argument gepusht, wonach die Mediensubventionen vor allem milliardenschweren Konzernen zugutekämen. Sie haben damit ein eigentlich ur-linkes Argument vorgebracht und die Abstimmung zu einem Kampf zwischen Gross und Klein bzw, Reich und Arm gedeutet. Den Linken war das sichtlich unangenehm. Ich denke da beispielsweise an die Situation, als «Arena»-Moderator Sandro Brotz SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga die Liste der Einnahmen der grössten Medienfirmen präsentierte, was ihr sichtlich unangenehm war. Kurz, die Linke agierte in diesem Abstimmungskampf ungewohnt defensiv.

Dieses Prinzip hat den Linken dafür im Kampf gegen die Abschaffung der Stempelabgabe zum Erfolg verholfen?

Ja, hier lief es umgekehrt. Bei dieser Vorlage waren die Linken aber auch in ihrem Element, sie haben dieselben Argumente vorgebracht wie bei der Unternehmenssteuerreform III. Das Resultat zeigt klar: Sie haben mit diesen Argumenten wohl auch einige bürgerliche Wähler überzeugt, sonst wäre die Ablehnung nicht so hoch ausgefallen.

Die Corona-Pandemie hat die Bevölkerung politisiert. An diesem Abstimmungssonntag fiel die Beteiligung tiefer aus als vergangenes Jahr, schwindet die Politisierung bereits wieder?

In den letzten zwei Jahren war die Stimmbeteiligung hoch, jedoch führe ich das auch auf die stark mobilisierenden Themen, wie zum Beispiel das CO2- oder das Covid-Gesetz, zurück. Dies waren Vorlagen, die jeden betroffen haben. Wenn es wirklich zu einer Politisierung gekommen ist durch die Corona-Pandemie, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass sie so rasch wieder schwindet. Die Themen waren an diesem Sonntag einfach weniger elektrisierend.