«Fühlen uns als Sieger» So wollen die Linken die Frontex-Schlappe ins Positive umkehren

Von Alex Rudolf

16.5.2022

Frontex: Das sagt Ueli Maurer

Frontex: Das sagt Ueli Maurer

Die Schweiz kann sich am Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex beteiligen. Die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage, die mit Kritik an Frontex ins Feld gezogen waren, erlitten eine krachende Niederlage. An der Medienkonferenz am Sonntagnachmittag äussert sich Bundesrat Ueli Maurer zu seinem Abstimmungssieg und gibt klar zu verstehen, dass gerade in Bezug auf vorgeworfene Menschenrechtsverletzungen «mehr Sorgfalt angewendet werden muss».

15.05.2022

Mit einer 72-Prozent-Mehrheit sprach sich die Schweiz für den Ausbau der Unterstützung der europäischen Grenzschutzorganisation Frontex aus. Wie die Unterlegenen das Resultat dennoch positiv interpretieren.

Von Alex Rudolf

Das Urteil fällt klar aus. Das Stimmvolk will, dass sich die Schweiz mit mehr Geld am Schutz der EU-Aussengrenzen beteiligt. 72 Prozent sprachen sich für die Übernahme der EU-Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache aus. Künftig bezahlt die Schweiz demnach 61 Millionen Franken anstelle von heute deren 24 und stockt auch personell auf.

Weil die Frontex seit Jahren mit illegalen Rückführungen von Migrant*innen in den Negativschlagzeilen steht, hatte das Migrant Solidarity Network das Referendum ergriffen und wurde von SP und Grünen sowie von diversen NGOs unterstützt. Das Argument der Menschenrechtsverletzungen verfing bei den Stimmbürger*innen offensichtlich nicht.

Sind den Schweizer*innen die Einhaltung der Menschenrechte egal? «Wenn man einem Volk diesen Vorwurf nicht machen kann, dann dem Schweizer Volk», sagt Yvette Estermann (SVP/LU), Nationalrätin und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission (APK).

Auch Doris Fiala (FDP/ZH) glaubt nicht, dass bei dieser Abstimmung die Menschenrechte im Vordergrund standen, sondern vielmehr die gesicherten Beziehungen zur EU sowie «das Mittragen von internationaler, geteilter Verantwortung».

«Obwohl die Schweizer Stimmbevölkerung heute Ja zur Frontex gesagt hat, fühlen wir uns als Sieger*innen.»

Der Entscheid ist definitiv: Die Immunität von Sibel Arslan wird nicht aufgehoben.

Sibel Arslan

Nationalrätin (Grüne/BS)

Roland Fischer (GLP/LU) ist ebenfalls APK-Mitglied und findet gar, dass erst mit diesem Ja die Einhaltung der Menschenrechte an der EU-Aussengrenze überhaupt gewährleistet werden kann. «Wollen wir die humanitäre Lage verbessern, braucht es mehr Mittel.»

Die Schweiz werde bei einem Nein automatisch aus Schengen/Dublin ausgeschlossen, hiess es vonseiten des Bundesrates und der Befürworter*innen im Vorfeld zur Abstimmung. Gegner wie der Zürcher SP-Nationalrat Daniel Jositsch widersprachen dem und setzten sich für ein Nein ein. 

«Ich glaube, der Krieg in der Ukraine hat die Menschen bei dieser Abstimmung verunsichert», sagt APK-Mitglied Claudia Friedl (SP/SG). Für sie stehe aber nach wie vor fest: «Die Bevölkerung will, dass an den EU-Aussengrenzen anständig mit den Menschen umgegangen wird und sichere Fluchtwege möglich werden.»

Was bedeutet das deutliche Ja von heute überhaupt? Fiala ist erleichtert. Sie war Schweizer Mitglied des Europarates und präsidierte die Kommission für Migration, Flüchtlingswesen und Vertriebene. «In dieser Funktion habe ich viel Schreckliches in Sachen Flüchtlingswesen live vor Ort gesehen. Es gibt Missstände, die einem das Herz brechen. Mit dem heutigen Ja kann die Schweiz bei der Bekämpfung von solchen Missständen helfen und sich die Kooperation zunutze machen», sagt sie.

«Unsere Vertreter im Verwaltungsrat von Frontex müssen jene Reformen vorwärtstreiben, welche sicherstellen, dass Menschenrechte in jedem Fall eingehalten werden.»

Nationalraetin Elisabeth Schneider-Schneiter, CVP-BL, spricht waehrend einer Medienkonferenz ueber das Thema Ueberparteiliches Komitee «NEIN zur Kuendigungsinitiative», am Dienstag, 30. Juni 2020 in der BernExpo in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Elisabeth Schneider-Schneiter

Nationalrätin (Die Mitte/BL)

Doch auch die Unterlegenen können dem Ergebnis Positives abgewinnen, wie die Nachfrage von blue News zeigt. «Obwohl die Schweizer Stimmbevölkerung heute Ja zur Frontex gesagt hat, fühlen wir uns als Sieger*innen», sagt Sibel Arslan (Grüne/BS) zu blue News. Denn einerseits seien die Probleme der Flüchtenden wieder in einer breiten Öffentlichkeit thematisiert worden. «Und andererseits sprach sich die Schweiz heute dezidiert für eine engere Zusammenarbeit mit der EU aus. Das ist auch in unserem Sinn.»

Frontex: Das sagen die Abstimmungsverlierer

Frontex: Das sagen die Abstimmungsverlierer

Die Schweiz kann sich am Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex beteiligen. Mit dem Ja kann die Schweiz sich definitiv am Ausbau der europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache Frontex beteiligen. Laut Referendums-Komitee ist das Ja zur Finanzierung von Frontex beschämend und rassistisch. Die Schweiz mache sich damit «mitschuldig am Tod von und der Gewalt gegen zehntausende Menschen». Die Grünen Schweiz werden einen Vorstoss einreichen, dass illegale Pushbacks ein Offizialdelikt werden und verfolgt werden können, sagte Balthasar Glättli im Interview mit Keystone-SDA.

15.05.2022

Auch Fischer liest dies aus dem Ergebnis heraus. «Es ist ein Bekenntnis der Bevölkerung zur europäischen Integration.» Zudem wäre bei einem Nein die Zusammenarbeit mit der EU aufs Neue strapaziert worden. «Dies wollten die Stimmbürger*innen verhindern.»

Dass sich die Schweiz mit dem Frontex-Ja an die EU annähern will, glaubt Estermann derweil nicht: «Wenn das jemand in das Abstimmungsergebnis hineininterpretieren will, kann er dies tun.» Sie sei aber der Überzeugung, dass es um den Schutz der EU-Aussengrenze ging. «Die Stimmbürger sahen, dass diese nicht ausreichend geschützt sind.»

Wie wird sich die Schweiz nach diesem Ja in die Frontex einbringen? «Nun ist es wichtig, dass sich die Schweiz in den Führungsgremien – in denen sie bereits heute vertreten ist – für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzt», sagt Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (Die Mitte/BL).

«Unsere Vertreter im Verwaltungsrat von Frontex müssen jene Reformen vorwärtstreiben, welche sicherstellen, dass Menschenrechte in jedem Fall eingehalten werden», sagt sie weiter. Die zusätzlichen finanziellen Mittel helfen dabei, diese Reformen zu unterstützen.

«Wollen wir die humanitäre Lage verbessern, braucht es mehr Mittel.»

Roland Fischer, GLP-LU, spricht waehrend der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 15. Juni 2021 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)

Roland Fischer

Nationalrat (GLP/LU)

Auch Doris Fiala sieht die Politik in der Pflicht: So habe es in Bundesbern zahlreiche Personen, die immer wieder in internationalen Gremien einsitzen, um die Menschenrechte sicherzustellen. «Zudem müssen wir aber auch grössere Beiträge vor Ort leisten.»

Das Personal ist auch laut Arslan zentral: «Ich erwarte vom Bundesrat, dass er genau hinschaut. Für die Schweiz sollen die richtigen Personen im Frontex-Verwaltungsrat sitzen und regelmässig Bericht erstatten. Ich hoffe, dass der Bundesrat wieder eine aktivere Rolle bei der Menschenrechte einnimmt – der Druck aus der Bevölkerung wächst stetig.»

Schneider-Schneiter fordert noch mehr. So solle die Schweiz auch ausserhalb von Frontex alle Gelegenheiten nutzen, um betroffene Länder für menschenwürdigen Grenzschutz zu sensibilisieren. «Denn zahlreiche Verstösse wurden nicht von Frontex, sondern vom lokalen Grenzschutz begangen.» Man müsse mitgestalten, Präsenz markieren und die völkerrechtlichen Werte einbringen.