Landschaftsschutz «Im Mittelland ist die Schweiz hässlich geworden»

SDA/dor

27.7.2020

Zersiedlung im Mittelland: Luftaufnahme über Zofingen, hinten rechts das AKW Gösgen. (Archiv)
Zersiedlung im Mittelland: Luftaufnahme über Zofingen, hinten rechts das AKW Gösgen. (Archiv)
Bild: Keystone

Der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz kritisiert den Umgang mit Natur und Flächen in der Schweiz. Immerhin: Abseits der Hotspots seien noch Gebiete mit natürlichen Klangwelten und visueller Ruhe zu finden, sagt Raimund Rodewald.

Der Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL), Raimund Rodewald, hat die Nutzung der Flächen in der Schweiz kritisiert. «Der Charme und die Aufenthaltsqualität sind an vielen Orten verloren gegangen», sagte er in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung» vom Montag.

«Es hat nicht mit der reinen Zahl der Menschen zu tun, sondern damit, wie wir mit unseren Flächen umgehen, wie wir sie nutzen für Bauten, Verkehrswege, Infrastruktur, Tourismusaktivitäten», erklärte er. Im Mittelland sei die Schweiz hässlich geworden, bemängelte Rodewald zudem.

«Es geht um die Ästhetik von Landschaften und darum, wie sie uns berührt. Die Wertschätzung der Landschaft basiert auf einer Art Liebesbeziehung», sagte er.

Raimund Rodewald ist seit 28 Jahren Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL). (Archivbild)
Raimund Rodewald ist seit 28 Jahren Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL). (Archivbild)
Bild: Keystone/Gaetan Bally

Die Tourismusbranche betone immer, sie müsse Arbeitsplätze erhalten sowie Geld verdienen und dabei verbrauche sie die Landschaft, kritisierte er. «Die V-Bahn in Grindelwald zum Beispiel soll eine Million Touristen pro Jahr zum Jungfraujoch bringen, aber sie beeinträchtigt die Sicht auf die Eigernordwand», führte Rodewald diesbezüglich an.



Plädoyer für freies Erwandern

Das Bewusstsein, das Schöne zu erhalten, fehle sehr oft. Achtsamer Tourismus bedeute aber ein authentisches Individualerlebnis und nicht Massentourismus, kritisierte er weiter. «Die Ära der Gipfelerschliessung von allen Seiten mit Hochleistungsbahnen sollte spätestens mit Corona vorbei sein», machte Rodewald allerdings etwas Hoffnung für die Natur.

«Das stärkste Erlebnis eines fremden Ortes erschliesst sich mit dem freien Erwandern. Unser Alpentourismus ist aber viel zu infrastrukturlastig», warnte der SL-Geschäftsleiter.

Als Verhinderer von Projekten will Rodewald dabei aber auf keinen Fall gelten. «Mein Antrieb ist, dass es immer eine Harmonisierung zwischen Nutzungsinteressen und der Natur geben muss. Das Austarieren zwischen Nutzen und Schützen ist essenziell», betonte der promovierte Pflanzenbiologe. Er verstehe sich als Ermöglicher von besseren Lösungen – ob es um Windräder gehe oder um Strassenbauten oder um die Frage, ob man Ställe in Ferienhäuser umbauen solle, sagte Rodewald weiter.

Bei ihm selbst sei es so, dass sein Wohlbefinden, sein Glücksgefühl und seine Selbstwahrnehmung ganz stark von der Qualität der Umgebung abhingen, sagte der höchste Landschaftsschützer der Schweiz weiter. «Aus der Neurobiologie und Psychologie sei bekannt, dass der Mensch Landschaften brauche, um zu wissen, wer er ist. «Sie vermitteln Heimat, stiften Identität und Sinn. Ich bin überzeugt, dass das beim Grossteil der Menschen so ist», so Rodewald. Obwohl sehr viel zerstört worden sei und immer noch werde, sei ich zuversichtlich, weil das Bewusstsein für die Ästhetik in der Öffentlichkeit wachse.

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