Löhne in geschützten WerkstättenManche Behinderte arbeiten für einen Rappen pro Stunde
smi
1.12.2022
Es gibt Menschen mit Behinderung, die für einen symbolischen Lohn arbeiten. Die Uno fordert gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. Der Bundesrat will bis Ende Jahr Empfehlungen dazu abgeben.
smi
01.12.2022, 18:30
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Stell dir vor, deine Arbeit wäre deinem Betrieb einen Rappen pro Stunde wert. So geht es gewissen Menschen mit einer Behinderung. Gemäss einer Studie der Zürcher Hochschule der Angewandten Wissenschaften von 2019 ist das der Minimalbetrag, der Mitarbeitenden gezahlt wird, die in einer geschützten Werkstatt arbeiten.
In sozialen Institutionen können Behinderte Arbeiten erledigen, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Sie fertigen Brettspiele oder andere Gegenstände an, packen Drucksachen für Versände ein oder arbeiten in der Gastronomie mit. Ihren Lebensunterhalt bestreiten sie mit einer IV-Rente, oft auch mit Ergänzungsleistungen. Bei vielen ist der Lohn symbolisch. Im Vordergrund steht, dass die Menschen eine Aufgabe haben.
Der «Blick» zitiert den Arbeitsrechtler Thomas Geiser mit der Aussage: «Vor allem in den Kantonen, in denen es Mindestlöhne gibt, stellt sich die Frage, ob diese auch in Werkstätten eingeführt werden sollten.» Einen gesetzlichen Mindestlohn kennen etwa die Kantone Basel-Stadt, Neuenburg, Jura, Genf und Tessin.
Mindestlohn für Menschen mit Behinderung?
Matthias Kuert Killer, Sprecher der Organisation Inclusion Handicap, kritisiert im «Blick», dass manche Menschen mit Behinderung aus IV-Rente, Ergänzungsleistungen und ihrem Lohn weniger verdienten, als die Mindestlöhne, wie sie gewisse Gesamtarbeitsverträge festlegten.
Selbst die Uno hat in einem Bericht im März 2022 die Bezahlung von Behinderten in geschützten Arbeitsplätzen in der Schweiz auf die Liste der kritischen Punkte («List of issues») gesetzt. Das Gesetz müsse sicherstellen, dass Angestellte für gleichwertige Arbeit den gleichen Lohn erhielten.
Killer schlägt vor, dass soziale Betriebe Behinderten beispielsweise 4000 Franken Lohn zahlen, dafür von der öffentlichen Hand mit 3600 Franken unterstützt würden. So sollen der erste und der zweite Arbeitsmarkt (jener mit geschützten Bedingungen) zusammengeführt werden.
Bundesrat in der Pflicht
Ein höherer Lohn würde nach geltendem Recht bedeuten, dass die IV-Rente sinken würde. Dazu mahnt Ständerat und Staatsrechtler Andrea Caroni im «Blick», IV und Ergänzungsleistungen dürften bei höherem Lohn nicht übermässig gekürzt werden, weil das den Anreiz senken würde, vom eigenen Lohn zu leben statt von einer Rente.
Der Bundesrat hat im März angekündigt, bis Ende 2022 auf der Basis der Uno-Empfehlung «Ziele und Massnahmen der Behindertenpolitik» zu formulieren.