Behörden warnen Schon ein falsches Like kann Türkei-Reisende in den Knast bringen

Philipp Dahm

24.10.2018

Deutschland warnt seine Bürger neu davor, dass schon ein Social-Media-Like Türkei-Reisenden Probleme machen kann. Ein Vorbild für die Schweiz? Von wegen, eher: Wer hat's erfunden?

Das Auswärtige Amt hat seine Reisehinweise für die Türkei angepasst: Berlin warnt seine Bürger neu vor Problemen, die schon ein Like auslösen kann. Was in Deutschland unter Meinungsfreiheit falle, könne am Ziel ein Grund für mehrjährige Haftstrafen sein, mahnt das Ministerium. 

Feier der Staatsgründung im Jahr 2004: Die Türkei nimmt Patriotismus verhältnismässig ernst.
Feier der Staatsgründung im Jahr 2004: Die Türkei nimmt Patriotismus verhältnismässig ernst.
Keystone

Konkret heisst es: «Ausreichend ist im Einzelfall das Teilen oder ‹Liken› eines fremden Beitrags entsprechenden Inhalts. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch nichtöffentliche Kommentare in sozialen Medien weitergeleitet werden.»

Schneller Klick – weitreichende Folgen

Ein unbedarfter Klick im Internet kann in der Türkei tatsächlich weitreichende Folgen haben: So versteht Ankara keinen Spass, wenn Präsident Recep Tayyip Erdoğan geschmäht wird. Prominentestes Beispiel hier ist der deutsche Moderator Jan Böhmermann, dessen Satire im Fernsehen zu diplomatischen Zerwürfnissen in der Realität führte. Und nicht nur Erdoğan ist unantastbar: Auch Staatsgründer und «Vater aller Türken» Kemal Atatürk ist sakrosankt.

Ein Bild – ebenfalls von 2004 – vom Atatürk Gedenktag.
Ein Bild – ebenfalls von 2004 – vom Atatürk Gedenktag.
Keystone

Grossen Ärger können weiter Sympathiebekundungen für die Gülen-Bewegung, für die PKK und Kurden im Allgemeinen sowie für Islamisten verursachen, denn das bewerten türkische Behörden mitunter als Unterstützung von Terrorismus. Und das kann harte Strafen nach sich ziehen: Zuletzt hatte der Fall des US-Priesters Andrew Brunson für Aufsehen gesorgt, dem Nähe zu Fetullah Gülen und zu Kurden vorgeworfen wurde.

Stellt sich die Frage, ob auch die Schweiz auf derlei folgenreiche Fallstricke hinweist – aber Bern hat seine Schulaufgaben gemacht. Berlin legt nicht vor, das Auswärtige Amt zieht vielmehr nach: «Das EDA macht in seinen Reisehinweisen für die Türkei bereits seit längerer Zeit auf die angesprochene Problematik aufmerksam», erklärt Pierre-Alain Eltschinger auf Nachfrage von «Bluewin». 

Problem Ermessenssache

Die Schweiz warnt also noch vor Deutschland vor strafbaren «Äusserungen im Internet und in den sozialen Medien» – wie auch davor, Lira-Noten zu entstellen oder zu zerstören. Damit nicht genug: Weil auch Institutionen des Staates wie Polizei, Armee oder Behörden heilig sind, ist Strafverfolgung augenscheinlich nach jedweder Kritik möglich – und auch Ermessenssache. «Grundsätzlich gilt: Reisende sind dem Recht des Aufenthaltsstaats unterstellt», stellt EDA-Mann Eltschinger dazu klar.

«Welt»-Reporter Deniz Yücel wieder frei

Während der gewöhnliche Tourist unter dieser Rechtslage wohl eher selten leidet, müssen diejenigen Menschen ihre Worte mit Bedacht wählen, die durch ihren Beruf ins Fadenkreuz der Regierenden geraten können. Vom Satiriker bis zum Geistlichen, vom Journalisten (siehe untere Bildergalerie über den deutschen Redaktor Deniz Yücel) bis zum Politiker: Theoretisch kann es jeden treffen, und gerade das ist so perfide.

Wie man damit am besten umgehen sollte, umschreibt EDA-Sprecher Eltschinger natürlich am diplomatischsten: «Welche Schlüsse [Türkei-Reisende] daraus für ihr Verhalten ziehen, liegt im Ermessen und in der Verantwortung der Personen selbst.» Also schon wieder eine Ermessenssache – aber zumindest eine auf der eigenen Seite.

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