Skandalvideo zieht weitere KreiseSylter Club will «Prosecco-Nazis» verklagen
dpa/toko
26.5.2024 - 14:17
Auf Sylt singen Partygäste rassistische Parolen – nicht nur Politiker reagieren schockiert. Für die Beteiligten hat das Video schon jetzt drastische Konsequenzen.
DPA, dpa/toko
26.05.2024, 14:17
26.05.2024, 14:35
dpa
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der Rassismus-Skandal um ein Partyvideo auf der Luxus-Insel Sylt sorgt weiter für Empörung in Deutschland.
Beteiligte wurden identifiziert und sind ihre Jobs los. Zudem wird strafrechtlich ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Ausserdem will der Club zivilrechtlich gegen die Personen vorgehen. Sie hätten die Marke «Pony» massiv geschädigt, heisst es vom Club.
Das Video hat in Deutschland eine Debatte entfacht und Sorgen über weit verbreiteten Rassismus in der bürgerlichen Elite gesorgt.
Die bekannte Bar Pony im Inselort Kampen auf Sylt hatte nach Bekanntwerden des kurzen Videos Strafanzeige gestellt, der Staatsschutz der Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.
Club fordert Schadenersatz
Doch bei den strafrechtlichen Ermittlungen wird es nicht bleiben. Wie «Bild» berichtet, wollen die Betreiber des schicken Clubs zivilrechtlich gegen die Beteiligten in dem Video vorgehen und Schadenersatz fordern.
Demnach sagte Tom Kinder, einer der Geschäftsführer des «Pony», sagte der Zeitung. «Unsere Marke ist durch die Vorgänge massiv geschädigt worden. Zudem ist einer unserer Kooperationspartner abgesprungen und hat die Zusammenarbeit vorläufig gekündigt.»
«Ganz schlimmen Fehler» gemacht
Einer der Beteiligten, der in dem Video eine Geste andeutet, die an den Hitlergruss denken lässt, schrieb laut «Bild» in sozialen Medien: «Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung.» Er habe einen «ganz schlimmen Fehler» gemacht und schäme sich. Er gab demnach an, sich der Polizei gestellt zu haben und die rechtlichen Konsequenzen tragen zu wollen.
Entsetzen in der Politik
Der Antisemitismusbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Felix Klein, sagte am Wochenende, menschenfeindliche Ideologie sei inzwischen ganz offensichtlich «Teil der Popkultur». Und sie sei in Milieus salonfähig, denen klar sein müsse, dass Ausländer massgeblich zum Wohlstand beitrügen. Vizekanzler Robert Habeck sagte: «Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält.» Bundestagspräsidentin Bärbel Bas rief zu Zivilcourage in solchen Situationen auf.
In dem Video, das am Donnerstag viral gegangen war und zu Pfingsten entstanden sein soll, ist zu sehen und zu hören, wie junge Menschen zur Melodie des mehr als 20 Jahre alten Party-Hits «L’amour toujours» von Gigi D'Agostino rassistische Parolen grölen. Scheinbar ungeniert und ausgelassen singen sie «Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!». Von den Umstehenden scheint sich niemand daran zu stören.
Bundestagspräsidentin Bas sagte im Sender Phoenix: «Wenn man solche unappetitlichen Auftritte sieht, fragt man sich wirklich, was in den Köpfen dieser jungen Menschen vorgeht. Ich wünsche mir viel Zivilcourage und dass andere dagegenhalten.»
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äusserte sich mit Blick auf die rassistischen Gesänge besorgt über die Verrohung der politischen Umgangsformen. Weiter sagte er beim Demokratiefest in Bonn, offensichtlich seien es nicht nur «die Randständigen, Abgehängten», die sich radikalisieren. «Sondern das ist eine Radikalisierung, die mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet.» Am Freitag hatte schon Bundeskanzler Olaf Scholz die Parolen als «ekelig» und «nicht akzeptabel» bezeichnet.
Arbeitgeber distanzieren sich — und kündigen
Für einige Beteiligte hatte das Gegröle ein schnelles Nachspiel: Die Werbeagentur-Gruppe Serviceplan Group erklärte, sie habe einen beteiligten Mitarbeiter fristlos entlassen. Auch die Hamburger Influencerin Milena Karl entliess nach eigenen Angaben eine Mitarbeiterin, die dabei war. «Ich bin selbst Migrantin und als werdende Mutter steht alles, was in diesem Video zu sehen ist, für eine Gesellschaft, in der ich mein Kind nicht grossziehen möchte.»
Die Betreiber des Lokals schrieben dazu auf Instagram: «Hätte unser Personal zu irgendeinem Zeitpunkt ein solches Verhalten mitbekommen, hätten wir sofort reagiert. Wir hätten umgehend die Polizei verständigt und Strafanzeige gestellt. Das haben wir mittlerweile tun können.» Bei der Party waren mehrere Hundert Gäste.
DJ Gigi D'Agostino, dessen Song verhunzt wurde, stellte klar, dass sich dieser ausschliesslich um Liebe drehe. «In meinem Lied «L'amour toujours» geht es um ein wunderbares, grosses und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet», teilte D'Agostino mit. Zentral sei zudem die Freude über die Schönheit des Zusammenseins.
Auch aus Sicht der Expertin Pia Lamberty zeigt das Sylt-Video eine Normalisierung rechtsextremer Inhalte in der Gesellschaft. «Ohne dass es irgendeine Form von Widerspruch gibt, werden die sozialen Normen einfach gebrochen», sagte die Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas), das Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz untersucht.
Vorfälle auch in Bayern und Niedersachsen
Auch der Club Rotes Kliff im Nobelort Kampen berichtete von einem «Rassismus-Vorfall» zu Pfingsten. Die betroffenen Personen seien des Clubs verwiesen worden und hätten jetzt Hausverbot, schrieben die Betreiber am Freitag auf Instagram.
Doch Sylt ist kein Einzelfall. Schon in den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorfälle, bei denen zu dem Lied Nazi-Parolen gerufen wurden – etwa in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. In der Oberpfalz ermittelte die Polizei nach einem möglichen Vorfall bei einem Faschingszug im Februar.
In Erlangen skandierten – wie auf Sylt – zwei Männer auf der Bergkirchweih rassistische Parolen zum Lied «L'amour toujours». Wie die Polizei am Samstag mitteilte, bekamen die Verdächtigen im Alter von 21 und 26 Jahren am Freitagabend ein Betretungsverbot – der Staatsschutz leitete Ermittlungen ein.
Schon am Freitag wurde bekannt, dass es ebenfalls an Pfingsten in Niedersachsen zu einem ähnlichen Fall kam. Auch auf dem Schützenfest im niedersächsischen Löningen westlich von Cloppenburg wurden rassistische Parolen gegrölt, auch zu «L’amour toujours», auch dort ermittelt der Staatsschutz.