«Tour durch die Hölle» Dieser Sanitätsbus ist die letzte Rettung für ukrainische Soldaten

dpa/AFP/tpfi

26.3.2023 - 19:39

Ukraine: Sanitäter kümmern sich um Verletzte nahe der Front

Ukraine: Sanitäter kümmern sich um Verletzte nahe der Front

Nahe dem heftig umkämpften Bachmut im Osten der Ukraine kümmern sich Sanitäter um Soldaten, die bei Kämpfen im Zuge des russischen Angriffskriegs verletzt wurden.

25.03.2023

Sie haben nur knapp überlebt, sind übel zugerichtet und berichten Schreckliches – verletzte ukrainische Soldaten, die ein Sanitätsbus ins Krankenhaus bringt. Das Fahrzeug rettet Leben.

26.3.2023 - 19:39

Der Dreck der Schlachtfelder klebt noch an ihren Körpern. Einige tragen noch immer Kampfstiefel. Mit bandagierten Köpfen oder geschienten Gliedmassen werden sie auf Tragen in einen Bus gebracht. Die Sanitäter sind Mitglieder der Hospitaliter, einer ukrainischen Organisation, die sich unmittelbar hinter den Frontlinien um Soldaten bemüht, die bei der Verteidigung gegen die russischen Angreifer verletzt wurden.

Die Soldaten, die gerade in Sicherheit gebracht werden sollen, waren alle bei den heftigen Gefechten in der Region Donezk im Osten der Ukraine im Einsatz. Die seit Monaten erbittert geführte Schlacht um die Stadt Bachmut, die inzwischen von drei Seiten von russischen Truppen umstellt ist, beschreiben sie als besonders blutig. Sie berichten von schier endlosen Tagen des Kampfes, oft auf engstem Raum.

Ein ukrainischer Militärsanitäter behandelt in einem Feldlazarett nahe Bachmut einen verwundeten Kameraden.
Ein ukrainischer Militärsanitäter behandelt in einem Feldlazarett nahe Bachmut einen verwundeten Kameraden.
Archivbild: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

«Wir waren auf einer Tour durch die Hölle», sagt Jura, als er auf einer der sechs Liegen in dem speziell für den Transport von Verletzten ausgerüsteten Bus angekommen ist. Ein dicker Verband um seinen rechten Unterarm ist von Blut durchtränkt. Am Bizeps zeugt ein dunkelvioletter Fleck von der Aderpresse, die angelegt worden war, um sein Leben zu retten. «Die hatten versucht, mich mit Granaten zu erwischen», sagt Jura, der wie alle der Soldaten nur seinen Vornamen nennen will.

«Die Erde bebte»

Anders als die meisten anderen Verletzten, die mit dem Evakuierungsbus in weiter westlich gelegene Kliniken gebracht werden, ist Jura eigentlich Russe. Trotzdem hatte er seit November auf ukrainischer Seite in Bachmut gekämpft. Bereits vor dem Krieg sei er in das Nachbarland gezogen, sagt er – genau wie ein ebenfalls für die Ukraine kämpfender Freund, der in Russland zweieinhalb Jahre in ein Gefängnis gesperrt worden sei, bloss weil er einen Social-Media-Beitrag weitergeleitet habe, in dem die Annexion der Halbinsel Krim durch Moskau kritisiert worden sei.

In Bachmut erlebte Jura laut eigenen Angaben «acht Tage fast ununterbrochener Kämpfe». Seine Einheit habe zwar alle Angriffe auf ihre Position abwehren können. Aber «am fünften Tag ohne Schlaf dachte ich, ich würde den Verstand verlieren», sagt er. «Es war wirklich unmöglich, dort zu schlafen. Sie haben das Gebiet in einer Weise beschossen, dass die Erde bebte.»

Ein ukrainischer Soldat hilft einem verwundeten Kameraden.
Ein ukrainischer Soldat hilft einem verwundeten Kameraden.
Archivbild: Kostiantyn Liberov/AP/dpa

Der verletzte Soldat zeigt ein Video aus Bachmut auf seinem Smartphone. Zu sehen ist das Innere eines verwüsteten Gebäudes; die Wände sind von Artilleriegeschossen durchlöchert; der Boden ist von Trümmern bedeckt. Durch die Überreste eines Fensterrahmens hindurch sind Teile der Stadt zu erahnen, die einer Hölle gleichen – zerstörte Gebäude, zersplitterte Bäume.

Bestialische Kämpfe in Bachmut

Auch der 37-jährige Jaroslaw wurde in Bachmut verletzt. Laut seinen Angaben wird in der Stadt buchstäblich um jeden Meter gekämpft. Zum Teil würden sich Russen und Ukrainer innerhalb von Gebäuden von Raum zu Raum beschiessen, sagt er. Blass und leicht zitternd stützt er sich nun auf einem Ellbogen ab, während er darauf wartet, dass die Sanitäter ihn von einem Rettungswagen in den Bus tragen.

Ukrainische Soldaten feuern mit Artillerie auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut.
Ukrainische Soldaten feuern mit Artillerie auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut.
Archivbild: Libkos/AP/dpa

Jaroslaw ist am Bein verletzt. Bei einer Explosion hatten ihn Granatsplitter unterhalb des Knies getroffen. «Als ich wieder zu Bewusstsein kam, stellte ich fest, dass um mich herum niemand mehr war. Dann verstand ich, dass Blut in meinen Schuh floss, dass mein Schuh voller Blut war», sagt er, während er ruhig eine Zigarette raucht. «Es war komplett dunkel.»

Als seine Einheit versucht habe, ihre Stellung zu verlassen, hätten russische Truppen das Feuer eröffnet. «Als ich fortging, stand alles in Flammen», berichtet Jaroslaw weiter. Er habe tote Russen, aber auch tote Ukrainer gesehen. «Menschen rannten über die Strassen und fielen zu Boden. Denn Minen explodierten und in der Luft flogen Drohnen umher.»

Rollendes Krankenhaus

Der Bus, der einer rollenden Klinik gleicht, bietet Platz für sechs schwer verletzte Personen auf Liegen. Darüber hinaus können weitere Patienten mitgenommen werden, die noch auf eigenen Beinen stehen können. «Wir evakuieren nach Bedarf. Es können zwei oder drei Fahrten pro Tag sein», sagt die leitende Sanitäterin Katerina Seliwerstowa.

Freiwillige der Sanitätsorganisation Hospitallers transportieren einen verletzten ukrainischen Soldaten. 
Freiwillige der Sanitätsorganisation Hospitallers transportieren einen verletzten ukrainischen Soldaten. 
Bild: Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Finanziert wurde das Fahrzeug über Spenden. Laut Seliwerstowa ist es besser ausgerüstet als manches öffentliche Krankenhaus in der Ukraine. An Bord gibt es Bildschirme, Elektrokardiographen, Beatmungsgeräte und Sauerstoffflaschen. «Dieses Projekt ist wirklich wichtig, weil es dazu beiträgt, Ressourcen effizienter einzusetzen», betont die Sanitäterin. Es könnten jeweils sechs Patienten mit schweren oder mittelschweren Verletzungen transportiert werden, während ein normaler Rettungswagen immer nur Platz für eine einzige Person biete.

Auf der Fahrt, die Jura und Jaroslaw Richtung Westen bringt, sind alle sechs Liegen belegt. Gegenüber von Jura, auf der anderen Seite des Mittelgangs, liegt ein Mann mit einem braunen Verband um den Kopf, der immer wieder das Bewusstsein verliert. Ein Sanitäter überwacht seinen Zustand über einen der Monitore. Der Soldat hinter Jura hat schwere Verbrennungen im Gesicht erlitten und hustet. Auch er hat einen Kopfverband, aus dem nur die Nasenspitze hervorschaut.

Jura unterhält sich leise mit einem der Sanitäter. Ohne dass sich sein Gesichtsausdruck verändert hätte, laufen plötzlich Tränen über seine Wangen. Der Sanitäter lehnt sich zu dem Soldaten herüber und wischst ihm sanft die Tränen aus dem Gesicht.

dpa/AFP/tpfi