Polit-Experte über Liz Truss «Sie musste nicht viel machen»

Von Alex Rudolf

5.9.2022

Liz Truss wird neue britische Premierministerin

Liz Truss wird neue britische Premierministerin

Liz Truss wird neue britische Premierministerin. Die bisherige Aussenministerin gewann die parteiinterne Abstimmung der britischen Konservativen über die Nachfolge von Boris Johnson, wie die Tory-Partei mitteilte.

05.09.2022

Sie ist die neue Frau an der Spitze der britischen Politik. Ex-Aussenministerin Liz Truss wurde zur Nachfolgerin von Boris Johnson gewählt. Jonathan Slapin, Professor an der Universität Zürich, ordnet ein.

Von Alex Rudolf

5.9.2022

Herr Slapin, worauf kann sich Grossbritannien unter der neuen Premierministerin Liz Truss einstellen?
Die Teuerung und die Energiekrise werden Grossbritannien weiterhin beuteln und auf Liz Truss kommen schwierige Zeiten zu. Truss werde bereits diese Woche ein neues Gesetz ausarbeiten, das Brit*innen bei der Bezahlung ihrer Energierechnung unterstützen soll. Dieses Gesetz ist besonders wichtig, da es nun bereits auf die kalte Jahreszeit zugeht.

Ein entsprechendes Gesetz will sie innert einer Woche umsetzen. Ist dies realistisch?
Jein. In Grossbritannien verfügt die Regierung über viel Macht. Innerhalb kurzer Zeit kann ein Gesetzesentwurf im Parlament durchgesetzt werden. Dass dies innert Tagen der Fall ist, ist aber in der Tat unwahrscheinlich. Eher wird sie diese Woche damit beginnen, ein Paket zusammenzustellen und es so auf den Weg zu bringen. Spürbare Entlastungen für die Brit*innen dürften auf sich warten lassen.

Wäre Truss auch Premierministerin, wenn Neuwahlen ausgerichtet worden wären?
Die Basis der konservativen Tories und die breite Bevölkerung Grossbritanniens sind sehr unterschiedlich. Durchschnittlich haben mehr ältere, weisse Männer, die vorwiegend im Süden des Landes leben, Truss zur Wahl verholfen. Neuwahlen würden für sie eine grosse Herausforderung darstellen.

Jonathan Slapin

Seit 2019 ist Jonathan Slapin Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Dort spezialisiert er sich auf die Institutionen der demokratischen Politik, politische Parteien und die europäische Integration. Zuvor arbeitete an den Universitäten Nevada, Dublin, Houston und Essex.

Mit welchen Argumenten setzte sich Truss durch?
Truss musste nicht viel machen. Ihr Gegner Rishi Sunak ist einfach nicht sonderlich beliebt bei der konservativen Basis. Den eher älteren und weissen Wähler*innen war der Reichtum der Sunaks und die skandalträchtigen Steuertricks ein Dorn im Auge. Ich vermute, dass Truss' Politik nicht viel mit ihrer Wahl zu tun hat.

Es gibt Stimmen, die Truss mit der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher vergleichen. Hält dieser Vergleich stand?
Alle konservativen Politiker*innen in diesem Amt werden früher oder später mit Thatcher verglichen – und viele wollen auch in ihre Fussstapfen treten. Besonders konservative Frauen werden mit Thatcher gleichgesetzt – das liess sich auch bei der letzten weiblichen Premierministerin Theresa May beobachten.

Welche Auswirkungen hat die Wahl auf die Schweiz?
Ich denke nicht, dass Truss' Wahl direkte Auswirkungen auf die Schweiz haben wird. Bern wird aber genau beobachten, wie die Zusammenarbeit zwischen Brüssel und London weiterläuft und welche Probleme sich stellen. Allenfalls kann die Schweiz hier ihre Lehren ziehen.

Truss wettert regelmässig gegen die EU. Wie reagiert Brüssel darauf?
Das ist schwer zu sagen. Denn in der Öffentlichkeit gibt sie sich gern als grosse EU-Skeptikerin, doch wissen wir nicht genau, welche Politik sie nun genau verfolgen wird. Rund 75 bis 85 Prozent der konservativen Basis haben für den Brexit gestimmt. Genau bei diesen Leuten musste Truss in den vergangenen Wochen Wahlkampf machen, da ist es klar, dass sie EU-kritisch auftritt. 

Wo wird sich dies zeigen?
Das grösste Problem ist noch immer die Grenze zwischen Nordirland und dem restlichen Königreich. Dieser Konflikt wird uns noch Jahre beschäftigen.

Welche Rolle wird Boris Johnson künftig spielen?
In naher Zukunft wird ein Comeback für ihn schwierig. Verschwinden wird er aber auch nicht. Ich vermute, dass er künftig mehr Bücher schreiben und mehr in den Medien arbeiten wird. Feststeht: Er ist keiner, der sich zurückzieht und ruhig ist. Er ist nach wie vor eine grosse Figur in der britischen Politik.