Kitsch oder Kult? Der Gartenzwerg bringt Nachbarn auf die Palme

Sebastian Fischer, dpa/tpfi

6.6.2022

Eine Gruppe Gartenzwerge steht auf einer Fensterbank in einem Garten. 
Eine Gruppe Gartenzwerge steht auf einer Fensterbank in einem Garten. 
Symbolbild: Stefan Sauer/dpa/ZB

Früher Ausdruck von Reichtum, heute vielen ein Inbegriff von Geschmacklosigkeit: Am Gartenzwerg scheiden sich die Geister.

Sebastian Fischer, dpa/tpfi

Noch vor Kartoffeln, Autobahnraserei und Socken in Sandalen sind sie vielleicht das grösste Klischee, das mit den Deutschen in Verbindung gebracht wird: Gartenzwerge tummeln sich im Nachbarland zwischen Blumenrabatten lieblicher Vorgärten, am Fuss von Hollywoodschaukeln oder neben dem Kohlrabibeet. Sie stehen bei Wind und Wetter ihren Zipfelmann - mal kleinbürgerlich-fleissig mit Schubkarre, mal frivol-peinlich mit blankem Hinterteil.

Die kleinen Männer (und seltener auch Frauen) aus Gips, Ton, Keramik oder schnödem Plastik geniessen bei den einen Kultcharakter. Für andere sind die Zwerge der Inbegriff von Spiessbürgertum. Man belächelt und verspottet sie - und damit auch ihre Besitzer.

Siegeszug der Knirpse

Dabei reicht ihre Tradition weit zurück. Schon ewig begleiten Gnome als eifrige Helfer mit Zugang zu reichen Schätzen und magischen Kräften den Menschen in Sagen, Märchen und Mythen. Bereits in der griechischen Antike berichten etwa Homer oder Hesiod über das Ackerbau treibende Volk der Pygmäen.

In fürstlichen Gärten aufgestellte Gestalten gibt es seit dem Barock. Im Salzburger Zwergelgarten zum Beispiel sind die Figuren aus weissem Marmor mehr als 320 Jahre alt. Sie gehen auf Kupferstich-Karikaturen des französischen Grafikers und Florenzer Hofmalers Jacques Callot vom Anfang des 17. Jahrhunderts zurück.

Früher Ausdruck von Reichtum, heute der Inbegriff von Geschmacklosigkeit: Am Gartenzwerg scheiden sich die Geister. Dabei hatte er einst einen viel höheren Stellenwert.
Früher Ausdruck von Reichtum, heute der Inbegriff von Geschmacklosigkeit: Am Gartenzwerg scheiden sich die Geister. Dabei hatte er einst einen viel höheren Stellenwert.
Symbolbild: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Ende des 18. Jahrhunderts sind die Gnome weit verbreitet, der Weimarer Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe schreibt im bürgerlichen Epos «Hermann und Dorothea» über einen «in der ganzen Gegend» berühmten Garten mit seinen «farbigen Zwergen». Spätestens mit den Brüdern Grimm und ihren Märchen (1812) etwa von «Schneewittchen» oder «Rumpelstilzchen» setzten die Knirpse zum Siegeszug an.

Deutscher Kult

«In der Zeit von 1870 bis 1920 hatten die Zwerge ihre grösste Blütezeit», schreibt die Regensburger Kulturwissenschaftlerin Esther Gajek einmal in einem Aufsatz. Ausgelöst worden sei die Manie von der Märchenwelle der Neuromantik. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts werden in und um Gräfenroda in Thüringen dann die ersten Zwerge für den Garten in Serie hergestellt - und bis nach Grossbritannien angeboten.

Die Herstellungsschritte sind zunächst vielfältig: In Handarbeit wird in Formen gegossen, getrocknet und gebrannt, bemalt und lackiert. «Manche Zwerge bestanden aus zehn Einzelteilen (Schürze, Bärte, Pfeifen usw.) mit jeweils eigenen Formen», schreibt Gajek.

Lange gelten Gartenzwerge als anerkannte Accessoires gehobener Gesellschaftsschichten. Literaturpreisträger Thomas Mann lässt zum Beispiel seinen Roman-Protagonisten Felix Krull über den «anmutigen Herrensitz» seiner Familie berichten: «Der abfallende Garten war freigebig mit Zwergen, Pilzen und allerlei täuschend nachgeahmtem Getier aus Steingut geschmückt.»

Zankapfel zwischen Nachbarn

Heute prägen besonders Kunststoffwichtel, die etwa ab den 1960ern aufkommen, das verkitschte Bild. Typen und Gesten sind mannigfaltig. Gartenzwerge mit Dolch im Körper oder mit Stinkefinger sind immer wieder mal Zankapfel zwischen Nachbarn.

Der Internationalen Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge im schweizerischen Basel zufolge tragen echte Gartenzwerge - ob mit männlichen oder (mittlerweile auch) weiblichen Zügen - eine Zipfelmütze und gehen «einer naturnützigen oder freundlichen Tätigkeit» nach. Und sie sind aus natürlichen Materialien wie Lehm, Ton oder Holz. Gefährten aus Plastik lassen die Kulturhüter nicht als echt durchgehen.

Auch jenseits deutschsprachiger Gegenden sind die kleinen Herren begehrt: Im Frühjahr 2021 gab es in Grossbritannien gar nicht mehr genug Nachschub. Während des Corona-Lockdows wurde das Gärtnern dort so populär, dass unter anderem auch die Zwerge Mangelware wurden.