E-Autos sind zu leise Jetzt wird's laut und auch etwas schräg

uri

19.6.2021

Ein E-Auto des Typs Audi e-tron im Jahr 2015 auf der Automesse IAA in Frankfurt/Main. Ab 1. Juli müssen die Autohersteller alle E-Fahrzeuge mit dem Acoustic Vehicle Alerting System» (AVAS) ausrüsten. 
Ein E-Auto des Typs Audi e-tron im Jahr 2015 auf der Automesse IAA in Frankfurt/Main. Ab 1. Juli müssen die Autohersteller alle E-Fahrzeuge mit dem Acoustic Vehicle Alerting System» (AVAS) ausrüsten. 
Bild: Keystone

Wer sich für E-Autos nicht zuletzt deshalb begeistern konnte, weil diese so schön leise sind, der muss jetzt stark sein: Diese Zeiten sind nämlich endgültig vorbei. Ab Juli müssen alle neu zugelassenen Fahrzeuge künstlich Lärm erzeugen – die Hersteller geben sich dabei viel Mühe.

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Als grosses Plus von Elektroautos gilt – neben ihrer besseren Ökobilanz – ihre geringe Lautstärke. Doch damit ist ab 1. Juli Schluss. Alle neu zugelassenen Elektroautos müssen dann aus Sicherheitsgründen mit einem sogenannten «Acoustic Vehicle Alerting System» (AVAS) ausgestattet sein.

Bereits seit zwei Jahren ist die Technik für neu entwickelte Fahrzeuge vorgeschrieben – nun müssen die Automobilhersteller auch ältere Elektromodelle nachrüsten, bevor sie in den Verkauf gehen. Damit das nicht zu eintönig wird, drehen die Hersteller bereits mächtig am Soundregler – und dürften so bei nichtsahnenden Passanten für eine gehörige Überraschung sorgen.

Bei AVAS sorgen dann Lautsprecher unter der Karosserie für künstliche Geräusche – wenigstens bei Geschwindigkeiten bis 20 km/h und beim Rückwärtsfahren. Fussgänger und andere gefährdete Verkehrsteilnehmer sollen so rechtzeitig vor den Leisetretern auf der Strasse gewarnt werden.

Vor dem Hintergrund, dass wissenschaftliche Studien zeigen, dass Lärm krank machen kann, erscheint diese Entwicklung mehr als seltsam. Schliesslich können Strassengeräusche, die in einem Haus einen Schallpegel von 65 Dezibel erreichen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen gegenüber einem Wert von 50 bis 55 Dezibel bereits um 20 Prozent erhöhen.

Die künstliche Lautstärke einer Waschmaschine

Bei AVAS müssen die Geräusche immerhin bei 56 Dezibel losgehen, was Regenrauschen oder einem laufenden Kühlschrank entspricht. Maximal dürfen sie 75 Dezibel betragen. Das wäre in etwa der Lärm, den eine Waschmaschine im Schleudergang oder ein vorbeifahrendes Auto absondert.

Begrüsst wird die Technik vom Schweizer Blinden- und Sehbehindertenverband. Ein Sprecher der Organisation meinte gegenüber «20 Minuten», die Stromer seien für sehbeeinträchtigte Menschen eine «lautlose Gefahr». Ebenfalls seien sie ein Risiko für Kinder oder unachtsame Fussgänger. Aus diesem Grund sei er froh, dass die akustische Fahrzeugwarnung nun komme.



Auch ein Astra-Sprecher sieht einen ordentlichen Sicherheitsgewinn durch die Technik. «Wir haben mit der Verordnung rechtzeitig auf die Folgen des E-Auto-Booms reagiert», wird er von «20 Minuten» zitiert.

Auf wenig Begeisterung stösst die Regelung indes beim deutschen Auto-Experten Ferdinand Dudenhöffer, dem Direktor des Center Automotive Research (CAR) in Duisburg. Dudenhöffer sagte dem «Spiegel»: «Die Verordnung ist absolut kontraproduktiv. Wir hätten die Stille geniessen können. Anstelle dessen wird nun ein mögliches Stück Lebensqualität zerstört.»

Auto-Experte sieht die Regel kritisch

Der Experte meint, er habe gemeinsam mit dem CAR-Institut bereits vor mehr als zehn Jahren in einem Versuch schwerhörige, blinde und sehbehinderte Probanden die akustische Wahrnehmung neuer Verbrenner- und Elektrofahrzeuge testen lassen. Es habe sich herausgestellt, dass manche E-Autos bereits ohne künstliche Zusatzgeräusche lauter als manche Verbrenner gewesen seien.

Seitdem habe sich die Autowelt zudem weiterentwickelt und zahlreiche Fahrzeuge seien teilautomatisiert. «Bezogen auf die Verkehrssicherheit» seien Assistenzsysteme in modernen Fahrzeugen «viel effektiver als jegliches Gepiepse», meinte Dudenhöffer im «Spiegel».

Allerdings werde es zukünftig ohnehin kein Piepsen geben, schreibt das Magazin. Nach den Vorgaben müsste AVAS nämlich lediglich Hinweise auf ein Auto und dessen Fahrverhalten geben. Zudem habe die Geräuschkulisse mit der eines Verbrenners der gleichen Klasse vergleichbar zu sein. Die Hersteller würden diesen Umstand nun nutzen, um die eigene Marke zu stärken und entsprechende Sounds zu designen.

Der Passant hört ein Raumschiff vorbeifahren

Der US-Hersteller Ford lasse seinen Mustang Mach-E etwa turbinenartig klingen und mische dem Sound «das Blubbern eines V8-Motors» bei. Bei VW sei der Klang des ID.3 und weiterer ID-Baureihen hingegen von Leslie Mandoki kreiert. Das ehemalige Mitglied der Popband Dschinghis Khan produzierte bereits Songs für Jennifer Rush, Phil Collins oder Lionel Richie. Und er brachte sogar die Kanzlerinnen-Partei CDU zum Klingen, indem er Wahlkampfsongs komponierte.

Bei BMW werde der Klang der E-Fahrzeuge indes vom bekannten Hollywood-Filmkomponist Hans Zimmer gestaltet. «Spiegel» schrieb dazu, das Resultat habe wenig mit bekannten Autogeräuschen zu tun: «Der Passant sieht zwar einen Pkw vorbeifahren, hört aber ein Raumschiff aus einem Science-Fiction-Film.»

Audi scheint sich hingegen vom eigenen Werbeslogan «Vorsprung durch Technik» inspirieren zu lassen. Für den Klang des e–tron GT habe man unter anderem die Geräusche eines Akkuschraubers und eines Modellhubschraubers bemüht. Bei Fiat geht es dafür melodischer zu. Beim elektrischen Fiat 500 sei der finnische «Stimmkünstler» Rudi Rok am Werk und ab 20 km/h klinge zusätzlich eine Melodie aus Federico Fellinis Filmkomödie «Amarcord».

Tesla gebe den Kunden in der USA mit der sogenannten Boombox sogar die Möglichkeit, ihr Autogeräusch selbst zu verändern. Wie man die Sache so kennt, wird man sich hier womöglich bald ein ordinäres und schrilles Gepiepse zurückwünschen.