AktuellHochwasser in Brasilien: 149 Tote und Patrouillen gegen Plünderungen
SDA
16.5.2024 - 08:25
Blick auf Mucum im Gebiet Rio Grande do Sul: Der gesamte Bundesstaat wurde schwer von dem verheerenden Hochwasser gezeichnet. Foto: Antonio Valiente/dpa
Keystone
Schwer bewaffnet und mit Taschenlampen ausgerüstet fahren sie in Booten durch das Zentrum der überschwemmten südbrasilianischen Stadt Porto Alegre. Aus Angst vor Plünderungen hat die Polizei die nächtlichen Patrouillen hier eingerichtet. Es ist dunkel, die Stadt wurde vielerorts von der Stromversorgung abgeschnitten. So wie hier ist der gesamte Bundesstaat Rio Grande do Sul schwer von dem verheerenden Hochwasser gezeichnet, das nun schon seit zwei Wochen herrscht und noch immer kein Ende findet.
16.5.2024 - 08:25
SDA
Für Donnerstag werden erneut heftige Regenfälle sowie eine Kaltfront erwartet, die Mindesttemperaturen von bis zu null Grad mit sich bringen könnte. Der Wasserstand des Guaíba, ein Zusammenfluss mehrerer Flüsse in der Regionalhauptstadt Porto Alegre, ist zuletzt wieder angestiegen und zeigte Berichten zufolge in der Nacht auf Mittwoch einen Pegelstand von 5,25 Metern – zehn Zentimeter unter dem Rekordwert vom 5. Mai. Über zwei Millionen Menschen sind in dem Bundesstaat, der flächenmässig fast so gross wie Italien ist, betroffen. Die Zahl der Unwettertoten erhöhte sich nach Angaben des Zivilschutzes am Mittwoch (Ortszeit) auf 149. 108 Menschen wurden vermisst und weitere 806 verletzt.
Beinahe 90 Prozent aller Städte sind laut Nachrichtenagentur Agência Brasil von den Hochwassern betroffen. Viele Gemeinden waren neben der Strom- auch von der Wasserversorgung abgeschnitten. Auch Telefon- und Internetverbindungen wurden vielerorts unterbrochen. Fast 540 000 Menschen mussten ihre Häuser laut Zivilschutz verlassen, mehr als 76 000 Menschen in Notherbergen untergebracht werden.
Eine der grössten Überschwemmungen in der Geschichte Brasiliens
Auf der Südhalbkugel der Erde ist jetzt Herbst, Überschwemmungen kommen im Süden Brasiliens um diese Zeit immer wieder vor. Nach Einschätzung von Wissenschaftlern erhöht sich durch den Klimawandel allerdings deren Häufigkeit und Intensität. Von «Szenen wie im Krieg» hatte der Gouverneur des Bundesstaats, Eduardo Leite, gesprochen. Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva, der am Mittwoch zum dritten Mal in das betroffene Gebiet gereist war, sagte, die Überschwemmungen gehörten zu den grössten in der Geschichte des Landes.
Inmitten der ganzen Not müssen sich Betroffene auch noch Sorgen um ihren Besitz machen. «Die Menschen haben Angst, dass ihr Eigentum geplündert wird», sagt der Leiter der Zivilpolizei von Rio Grande do Sul, Fernando Sodré, im Interview des Nachrichtensenders Record News.
Etwas nördlich von Porto Alegre liegt die Stadt São Leopoldo. Sie trägt offiziell den Titel «Wiege der deutschen Einwanderung», denn hier kamen vor genau 200 Jahren im Jahr 1824 die ersten Siedler an. Das Wasser ist hier bereits etwas zurückgegangen, die ersten Anwohner kehren zu ihren Häusern zurück. «Was für ein Horror, was für eine Situation», zitierte das Nachrichtenportal «G1» eine Bewohnerin beim Eintreten ihres Hauses. Was die Wassermassen nicht zerstört hätten und wertvoll sei, hätten Einbrecher gestohlen. «Sie haben einen Fernseher, einen Computer und ein Videospiel mitgenommen. Man kann sich nicht vorstellen, was alles weg ist, aber man kann schon sehen, dass das, was an der Wand hing, nicht mehr da ist», erzählt ihr Mann. Ein anderer Bewohner klagt über sein gestohlenes Motorrad.
Nach den unzähligen Rettungsmassnahmen der vergangenen Tage würde die Polizei wieder zu ihrer eigentlichen Arbeit übergehen, erklärt Sodré – nämlich sich um die Sicherheit der Menschen zu kümmern. Justizminister Ricardo Lewandowski hatte zuletzt häufiger die Zahl der Beamten im Einsatz aufgestockt. Es wurden auch Notherberge ausschliesslich für Frauen und Kinder angekündigt, nachdem es mehrere Anzeigen von sexuellen Missbräuchen durch Männer gegeben hatte. Dazu müssten sie auch gegen zahlreiche Falschnachrichten vorgehen, wie zum Beispiel über die angebliche Befreiung von Gefangenen, hiess es von der Polizei.
Rettungsaktionen und Solidarität machen Hoffnung
Es gibt aber auch Hoffnung: Bilder von Menschen, die inmitten der reissenden Wassermassen eine Kette bildeten, um andere zu retten, gingen viral. Tausende Feuerwehrleute und Katastrophenschützer sind immer noch täglich im Kampf gegen die Fluten im Einsatz. Die Rettung eines Pferdes, das vier Tage lang auf dem Dach eines Hauses gestrandet war, ehe es betäubt und in einem Schlauchboot an Land gebracht wurde, ist in Brasilien zu einem Symbol der Hoffnung geworden. Ein Gemälde einer Drohnenaufnahme von «Caramelo» – wie das Tier getauft wurde – sei Berichten zufolge für 130 000 Reais (knapp 23 500 Euro) versteigert worden, um den Opfern der Überschwemmungen zu helfen. Insgesamt brachten die Einsatzkräfte nach Angaben des Zivilschutzes über 76 000 Menschen und fast 11 500 Tiere in Sicherheit.
Im ganzen Land, aber auch darüber hinaus ist die Solidarität gross. Zahlreiche brasilianische Promis wie Popstar Anitta oder Fussballstars wie Neymar oder Vinícius Júnior riefen zu Spenden auf und boten ihre eigenen Lastwagen oder Hubschrauber dafür an. Vielerorts wurden Lebensmittel, Hygieneartikel oder Kleidung gesammelt und von Freiwilligen in die betroffenen Regionen gefahren. Auch zahlreiche andere Länder boten Unterstützung an.
Das nach Angaben der Regionalregierung grösste Kriegsschiff Lateinamerikas wurde für humanitäre Hilfseinsätze im Hafen der Stadt Rio Grande in Empfang genommen. Zu den wichtigsten Ausrüstungsgegenständen gehören zwei Wasseraufbereitungsanlagen, die insgesamt 20 000 Liter pro Stunde produzieren können. Zudem verfügt es unter anderem über eine Intensivstation, ein Thermalbad, einen Operationssaal, eine Zahnarztpraxis und eine vollständige Apotheke. Die Entsendung des Schiffes stellt laut Vizeadmiral Fonseca Júnior die grösste Anstrengung der Marine zugunsten der Bevölkerung des Staates dar.
Die Bundesregierung versprach, die Schulden des Bundesstaats für drei Jahre auszusetzen. Präsident Lula kündigte bereits zuvor ein Hilfspaket von mehr als 50 Milliarden Reais (knapp 9 Milliarden Euro) an. «Der Wiederaufbau dieses Staates wird schwierig sein, aber wir verpflichten uns, Rio Grande do Sul so zu belassen, wie es vor dem Regen war», sagte er am Montag.
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