Die zwei Winterthurer Geschwister, die Ende 2014 nach Syrien zum Islamischen Staat (IS) gereist sein sollen, sind am Montag vor dem Jugendgericht in Winterthur gestanden. Die heute 19-Jährige und ihr ein Jahr älterer Bruder wollten jedoch keine Aussagen machen.
Mittlerweile sehen die Geschwister gar nicht mehr nach IS-Reisenden aus: Der junge Mann mit kurz geschnittenem Vollbart hatte seine Haare für den Gerichtsprozess zu einem kleinen Knoten zusammengebunden. Seine Schwester trug Rossschwanz, Perlenohrstecker, enge Jeans und ein modisches Jäckchen.
Damit unterschied sich zumindest ihre Kleidung drastisch von jener, die sie vor vier Jahren trug, bevor sie im Dezember 2014 mit ihrem Bruder nach Syrien reiste. Damals trat sie verhüllt auf, zum Missfallen ihrer Schule und auch der Familie.
In der Befragung am Montag machten beide Beschuldigen von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Die junge Frau hielt dieses Schweigen konsequent durch. Ihr Bruder durchbrach es hin und wieder, um das Gericht über den Islam sowie die "weltweite Unterdrückung" und den "Terror gegen Muslime" zu belehren.
Vorgehen des IS gutgeheissen
Laut Anklage radikalisierten sich die Geschwister seit 2013. Sie befassten sich mit einer "konservativen Auslegung des Koran, waren entsprechend gekleidet" und besuchten entsprechende Moscheen, wie der Gerichtspräsident sagte, der Auszüge aus der Anklageschrift vortrug. Ihren Mitschülerinnen und Mitschülern gegenüber hätten sie immer wieder das Vorgehen des IS gutgeheissen.
Sie pflegten offenbar auch Kontakt zu IS-Sympathisanten. Im Dezember 2014 flogen die beiden heimlich in die Türkei und von dort weiter nach Syrien ins IS-Gebiet. Dort sollen die damals 15- und 16-jährigen Geschwister in einer Wohnung gelebt und sich für den IS nützlich gemacht haben.
Im Flüchtlingslager geholfen
Wie der junge Mann in einer seiner raren Ausführungen sagte, waren sie aber nicht beim IS, sondern bei einer Organisation, die mit dem IS verfeindet war. Er habe in einem Flüchtlingslager gearbeitet, Kleider, Medikamente und dergleichen verteilt.
Er habe diesen Menschen geholfen, die "von allen Seiten terrorisiert" würden. Dabei habe er sich "gut gefühlt", er habe gemäss seinem Glauben Gutes getan und nicht egoistisch gehandelt. Die Situation in Syrien sei "nicht gut". Man sei dort dem Tod sehr nahe.
Die junge Frau führte gemäss Anklage den gemeinsamen Haushalt und hütete Kinder, spielte mit ihnen und brachte ihnen ein paar Brocken Englisch bei. Daneben hätten beide intensiv den Koran studiert.
Obwohl er fast ausnahmslos auf Schweigen stiess, stellte der Gerichtspräsident am Montag geduldig Frage um Frage. Er hielt den Beschuldigten auch vor, was sie und andere in der Untersuchung gesagt hatten, und wies immer wieder auf Widersprüche hin. Diese blieben aber unkommentiert.
«Papi, hol uns»
Während die Geschwister in Syrien lebten, setzten die Eltern in der Schweiz alle Hebel in Bewegung, um ihre Rückkehr zu erreichen. Gemäss Ermittlungen bat der Sohn schon im April 2015, nur vier Monate nach der Abreise, seinen Vater telefonisch um Hilfe. "Papi hol uns", soll er gesagt haben.
Die Mutter reiste ihnen bis nach Syrien nach und lebte einige Zeit bei ihnen, bis ihnen im Dezember 2015 die Ausreise glückte. Noch am Flughafen Zürich wurden die beiden Jugendlichen festgenommen.
Die Jugendanwaltschaft fordert bedingte Freiheitsstrafen von elf beziehungsweise zwölf Monaten wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über das Verbot von Gruppierungen wie "Al Quaida" und "Islamischer Staat". Zudem hätten die beiden Beschuldigten sich an einer kriminellen Organisation beteiligt beziehungsweise sie unterstützt. Die Anträge der Verteidigung sind noch nicht bekannt.
Wie üblich am Jugendgericht war die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen. Die akkreditierten Journalisten waren lediglich zur Befragung zur Sache zugelassen, eine Anklageschrift wurde nicht ausgehändigt. Laut Gerichtspräsident wird das Urteil erst im nächsten Jahr eröffnet.
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