Pharma Novartis verlost teure Gentherapie – und erntet massive Kritik

uri

31.1.2020

Blick auf den Novartis-Campus in Basel.
Blick auf den Novartis-Campus in Basel.
Bild: Keystone

Das Gentherapeutikum Zolgensma für Kinder, die an einer seltenen Muskelkrankheit leiden, gilt als das teuerste Arzneimittel der Welt. Novartis will nun 100 Gratistherapien verlosen, sieht sich dafür aber scharfer Kritik ausgesetzt.

Nur ungefähr ein Kind von 10'000 leidet an der genetisch bedingten Spinalen Muskelatrophie SMA. Die Krankheit beeinträchtigt alle Muskeln der Betroffenen und führt zum Verlust von Körperfunktionen. Ein Grossteil der erkrankten Säuglinge erlebt den zweiten Geburtstag nicht. Andere müssen bis ins Erwachsenenalter mit Funktionseinschränkungen leben oder künstlich beatmet werden.

Die Gentherapie Zolgensma, von der US-amerikanischen Biotech-Firma Avexis entwickelt, die sich inzwischen im Besitz von Novartis befindet, verspricht mit nur einer Spritze Besserung. Die Behandlung hat aber nicht zuletzt einen riesigen Nachteil: Sie kostet über zwei Millionen Dollar. Obwohl die Gentherapie bisher nur in den USA zugelassen ist, suchen Krankenkassen in Europa seit Monaten nach einem Weg, wie Zolgensma finanziert werden kann.

Kostet gut 2,1 Millionen US-Dollar: das Einmal-Medikament Zolgensma gegen tödlichen Muskelschwund bei Babys. (Archiv)
Kostet gut 2,1 Millionen US-Dollar: das Einmal-Medikament Zolgensma gegen tödlichen Muskelschwund bei Babys. (Archiv)
Bild: Keystone

100 kostenlose Dosen werden verlost

Zwischen Hoffen und Bangen hat eine Nachricht von Novartis nun die Eltern erkrankter Kinder versetzt. Ab Februar will das Pharmaunternehmen nämlich 100 Dosen Zolgensma kostenlos abgeben – an Patienten, die auf Antrag ihrer Ärzte an einem computergesteuerten Losverfahren teilnehmen. Wie das Handelsblatt berichtet, können mit den 100 Dosen indes nur etwa 10 Prozent der jährlich mit SMA in den USA, Europa und Japan geborenen Kindern geholfen werden. Für den Rest bleibt statt der Chance auf Heilung nur die Hoffnung.

Für Fassungslosigkeit sorgte das Vergabeprogramm bereits beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland. Laut «Handelsblatt» spricht man hier von einem «Glücksspiel» mit kranken Kindern. Der Chef von Deutschlands grösster Krankenkasse TK, Jens Baas, kritisierte gegenüber der Zeitung: «Es wäre in der Verantwortung von Novartis gewesen, ein echtes Härtefallprogramm aufzulegen. Weltweit 100 Patienten das Medikament zur Verfügung zu stellen, ist keine Lösung, sondern schlichtweg verantwortungslos.»

Spiel mit dem Leben von Menschen

Ähnlich sieht das auch die Ethikprofessorin Nikola Biller-Andorno. Die Direktorin des Instituts für Biomedizinische Ethik an der Universität Zürich sagte «Blick»: «Es kommt einem ein bisschen so vor, als würde mit dem Leben oder mit dem Wohlergehen von Menschen gespielt.»

Biller-Andorno merkte zwar auch an, man könne einwenden, dass eine Lotterie immer noch fairer sei, als die Frage, bei welcher Kasse man versichert sei oder ob man womöglich auch andere Vorteile und persönliche Beziehungen habe. Allerdings habe der Anspruch an das Gesundheitswesen doch ein anderer zu sein: Effektive Therapien müssten allen zukommen, die sie benötigen.

Ethikrat hat Vergabeprogramm mitentwickelt

Die Medizinethikerin äusserte gegenüber «Blick» deshalb auch Verständnis für die Gesundheitsdirektoren von Österreich, Irland, Holland und Belgien. Diese hatten zuletzt in einer gemeinsamen Mitteilung erklärt, dass Verlosungen einerseits erlaubt seien, andererseits aber die Intransparenz des Verfahrens und die grosse Verunsicherung, die es auslöse, inakzeptabel sei. So werde «das Leiden der betroffenen Familien nur vergrössert.»

Novartis betont hingegen, dass das Vergabeprogramm zusammen mit einem Ethikbeirat entwickelt wurde. Dabei hätten auch Ärzte und Vertreter von Patientenorganisationen mitgewirkt. Man wolle so verhindern, dass Kinder bevorzugt würden und eine bestmögliche Verteilung des raren Medikaments erreichen. Man sei sich der Problematik einer Verlosung aber auch bewusst. 

Es bleibt zu hoffen, dass Novartis und die Krankenkassen bald eine Lösung dafür finden, dass SMA-Patienten künftig nicht auf ihr Losglück hoffen müssen.

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