Historische «Fake News» Vor 80 Jahren schockierte Orson Welles' «Krieg der Welten» die USA

dpa

29.10.2018

Ein Hörspiel, das Geschichte schrieb: Orson Welles bei der Aufnahme von «Krieg der Welten».
Ein Hörspiel, das Geschichte schrieb: Orson Welles bei der Aufnahme von «Krieg der Welten».
Bild: Keystone

Vor 80 Jahren holt Orson Welles Marsmenschen auf die Erde. Sein geniales Radio-Hörspiel nach der Vorlage «Krieg der Welten» schreckt Hörer auf. Es ist ein frühes Beispiel für Fake News.

Die Schlagzeilen beschrieben Panik und Terror: «Radioshow versetzt Nation in Schrecken», meldete der «Boston Daily Globe». «Viele flüchten aus ihren Häusern "vor Gasangriff vom Mars"», titelt die «New York Times». Es war die Reaktion auf das legendärste Hörspiel der Radiogeschichte, das an einem friedlichen Sonntagabend allem Anschein nach Hysterie auslöste.

Vor 80 Jahren, am 30. Oktober 1938, hatten Orson Welles und das Mercury Theatre ein Hörspiel nach H. G. Wells' Roman «Der Krieg der Welten» über den Äther geschickt. Darin wechselte beschwingte Tangomusik mit immer dramatischeren «News-Bulletins» von einer Invasion vom Mars ab. Vermeintliche Reporter und Augenzeugen beschrieben schleimige Alien-Monster, die in dem kleinen Ort Grover's Mill in New Jersey gelandet seien. Wissenschaftler wurden befragt, schreiende Menschen unterbrachen die Übertragung.

Die knapp einstündige Radioshow beim Sender CBS am Vorabend von Halloween klang erschreckend echt, doch weder die Marsianer waren real, noch die von vielen Zeitungen beschriebene landesweite Panik.

«Es war keine Massenhysterie»

«Einige Leute mögen wirklich Angst gehabt haben, doch es war keine Massenhysterie, wie lange angenommen wurde», erklärt Brad Schwartz, Geschichtsforscher an der Princeton Universität. Der 28-Jährige ist Autor des 2015 erschienen Buches «Broadcast Hysteria: Orson Welles's 'War of the Worlds' and the Art of Fake News». Den Begriff «Fake News» hat US-Präsident Donald Trump inzwischen zu seinem Standardrepertoire gemacht, er wettert damit allerdings gegen Artikel und Beiträge, die ihm nicht passen.

Die gefakte Reportage im Dramastil des erst 23-jährigen Autors, Regisseurs und Schauspielers Welles wurde damals nur von wenigen Millionen Menschen gehört. Gleichzeitig lief beim Konkurrenzsender NBC eine populäre Comedy-Sendung mit einem Bauchredner. Doch die Panik-Mache von den Wenigen, die tatsächlich an eine Marsinvasion glaubten, wurde von den Medien ausgeschlachtet. «Die Zeitungen mussten schnell ihre Schlagzeilen für den nächsten Morgen schreiben», erklärt Schwartz. Im Wettkampf um Leser, auch gegen die Konkurrenz des jungen Mediums Radio, überboten sich reisserische Meldungen, auch wenn es weder Selbstmorde noch weit verbreitete Panik gab.

Erst in den letzten Jahren wurden die «Fake News» von der angeblichen Massenhysterie ausgeräumt. Bei seinem Studium an der Universität von Michigan wertete Brad Schwartz erstmals über 1400 Briefe aus, die Hörer nach der Radiosendung geschrieben hatten. Viele hätten Welles als Genie gepriesen, aber auch ihre Sorge über den Effekt von Massenmedien ausgedrückt. «Eine Frau schrieb, sie habe sich nicht etwa vor Marsmenschen gefürchtet, sie sorge sich aber vor einer leicht zu verdummenden Öffentlichkeit».

Am Tag danach: Orson Welles (Mitte) stellt sich den Fragen von Reportern.
Am Tag danach: Orson Welles (Mitte) stellt sich den Fragen von Reportern.
Bild: Keystone

Nur ein Halloween-Streich

Zum 80. Jahrestag des Hörspiels werden die Briefe jetzt digitalisiert und Schulen und Colleges als Lehrmaterial zur Verfügung gestellt. «Das Material kann uns heute noch über die Wirkung von Fake News warnen», sagt Schwartz. «Es könnte Leute lehren, nicht alles, was sie auf Twitter lesen, auch zu glauben».

Orson Welles und sein Team hatten vor und nach der Sendung Entwarnung gegeben, dies sei nur ein Halloween-Streich gewesen, hiess es am Ende. Das Radiotheater sei verkleidet aus einem Busch gesprungen und habe laut «Buh!» gerufen, witzelte Welles. Doch der Schaden war angerichtet. Telefonanrufe überfluteten die Polizei, Streifenwagen fuhren vor dem Sender vor, Reporter stürzten sich auf die Story.

Welles wurde das Wunderkind der damaligen neuen Medien. Mit 23 Jahren schuf er das geniale Hörspiel, mit 26 drehte und spielte er «Citizen Kane», der als einer der besten Filme in die Kinogeschichte einging.

Oft wurde das Hörspiel kopiert, in Hamburg sogar als «Ufos über der Elbe». Auch in Grover's Mill gibt es noch Andenken, eine Bronzeplatte verweist auf den «Marsianer-Landeplatz». Das Relief zeigt Welles am Mikrofon, eine Familie, die gebannt vor dem Radio sitzt, und ein bedrohlich wirkendes Raumschiff mit langen Fangarmen.

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