«Handschrift des Teufels» IT-Mitarbeiter knackt den Geheimcode von Charles Dickens

uri

8.2.2022

Charles Dickens (1812–1870) auf einem Porträt aus dem Jahr 1859. 
Charles Dickens (1812–1870) auf einem Porträt aus dem Jahr 1859. 
Bild: De Agostini via Getty Images

Rund 150 Jahre rätselten Experten über die Kurzschrift des englischen Autors Charles Dickens. Erst ein öffentlicher Wettbewerb führte nun zu Ergebnissen. Diese zeigen den Autor in neuem Licht. 

uri

8.2.2022

Charles Dickens gilt als einer der bedeutendsten Schriftsteller Grossbritanniens und als scharfer Beobachter seiner Zeit, der in Romanen wie «Oliver Twist» die sozialen Missstände des Viktorianischen Zeitalters offenlegt.

Berüchtigt ist der 1812 bei Portsmouth geborene Dickens unter Experten auch für seine unleserliche Schrift – und für eine Art Kurz-Code, der bislang nicht entziffert werden konnte. Dickens bezeichnete dieses Kurzschrift-System angeblich selbst als «Handschrift des Teufels», wie der britische «Guardian» schreibt.

Nur 16 von 1'000 Teilnehmern konnten Hinweise beisteuern

Der 1870 gestorbene Autor benutzte seinen Code demnach vor allem, um Notizen und Kopien seiner Briefe und Dokumente anzufertigen, von denen er offenbar die meisten verbrannte. Seit Jahrzehnten arbeiteten sich Wissenschaftler erfolglos daran ab, die Kurzschrift anhand von lediglich zehn erhaltenen Dokumenten zu entziffern.

Nun scheint das Rätsel um die Schrift aber weitgehend gelöst, nachdem das «The Dickens Code»-Projekt der University of Leicester die Öffentlichkeit um Mithilfe bat. Die beteiligten Wissenschaftler*innen lobten einen Wettbewerb aus, um den Code zu transkribieren, und veröffentlichten dazu einen Text von Dickens, den dieser auf einem Briefpapier des Tavistock House schrieb. In dem Londoner Haus lebte Dickens mit seiner Familie zwischen 1851 und 1860 und schrieb hier seinen neunten Roman «Bleak House».

Zugang hatten die Teilnehmer des Wettbewerbs zudem zu einem Notizbuch von Dickens, in dem dieser wenigstens einige der verwendeten Symbole erläuterte. Von den rund 1'000 Teilnehmern am Wettbewerb reichten nach Monaten allerdings nur 16 Personen Hinweise ein, die dazu beitrugen, den Code zu knacken.

Brief an den «Times»-Herausgeber

Entziffert wurde mit dem Tavistock-Brief allerdings kein Fragment eines unbekannten Dickens-Werkes, wie manche sich erhofft hatten, sondern die Abschrift eines Briefs an John Thadeus Delane, den Herausgeber der Zeitung «The Times».

Dickens forderte Delane darin auf, er möge hinsichtlich einer Zeitungsanzeige intervenieren, die er in der «Times» schalten wollte, um auf sein 1859 gegründetes Magazin «All the Year Round» aufmerksam zu machen. 

Ein Mitarbeiter der «Times» hatte das Ansinnen von Dickens zuvor abgelehnt, weil dieser offenbar den Eindruck erweckte, dass ein anderes Journal-Projekt, an dem er zuvor beteiligt war, eingestellt würde. Dickens hatte sich zuvor mit seinen Kompagnons zerstritten und wollte so offenbar die alte Leserschaft zu seinem neuen Blatt abziehen.

Handschrift von Dickens in seinem 13. Roman Grosse Erwartungen von 1861. 
Handschrift von Dickens in seinem 13. Roman Grosse Erwartungen von 1861. 
Bild: SSPL via Getty Images

Dickens war mit seinem Schreiben offensichtlich erfolgreich. Aus einem Antwort-Brief von Delane, der in einem New Yorker Archiv liegt, geht nämlich hervor, dass sich der «Times»-Herausgeber für Unhöflichkeit des Mitarbeiters entschuldigte und die Anzeige von Dickens hernach auch in der «Times» geschaltet wurde.

Eine schwierige Zeit für den Autor

Laut Hugo Bowles, Anglistik-Professor an der Universität Foggia, zeigt der Brief, wie Dickens in einer für ihn persönlich und wirtschaftlich schwierigen Zeit seine persönlichen Kontakte gezielt nutze, um das angestrebte Ergebnis zu erzielen. Zwar sei der Autor damals schon eine Berühmtheit gewesen, sagte Bowles dem «Guardian», allerdings sei kurz zuvor seine Ehe wegen Gerüchten über eine Affäre mit einer Schauspielerin gescheitert. Nun habe Dickens für eine Scheidung, zehn Kinder und womöglich auch noch für eine Geliebte aufkommen müssen.

Den vom «Dickens Code»-Projekt ausgelobten Preis von 300 Pfund für die meisten transkribierten Symbole sicherte sich übrigens Shane Baggs aus Kalifornien. «Nachdem ich in Literatur meist nur C-Noten bekommen hatte, hätte ich mir nie träumen lassen, dass irgendetwas, was ich jemals tun würde, für Dickens-Forscher von Interesse sein würde», erklärte der IT-Mitarbeiter und Code-Enthusiast.

Das «Dickens Code»-Projekt soll noch ein Jahr weiterlaufen. Die Forscher erhoffen sich laut dem «Guardian» dabei noch weitere Einsichten in Dokumente, die noch bedeutend chaotischer seien als der Tavistock-Brief. Immerhin für einige der Textstücke hat Bowles die berechtigte Hoffnung, dass Dickens hier eine «Geschichte erzählt, die wir noch nie gehört haben».